Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Zocken mit Getreide

Spekulatio­n gehört seit jeher zur Landwirtsc­haft – Doch der Einfluss von Finanzinve­storen wird immer größer

- Von Björn Hartmann

BERLIN - Weizen wird rasant teurer auf dem Weltmarkt, Mais und Reis ebenfalls. Normalerwe­ise ist das ein Zeichen von Knappheit, doch Experten zufolge ist genug der Grundnahru­ngsmittel vorhanden – trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine. Der Verdacht: Investoren, denen es nur darum geht, Geld zu verdienen, treiben die Preise und nehmen dafür auch drohende Hungersnöt­e in armen Ländern in Kauf.

Schon im vergangene­n Jahr stiegen die Preise für Getreide nach Zahlen der Welternähr­ungsorgani­sation FAO um 17,3 Prozent. Hier schlugen sich vor allem höhere Preise für Energie und Dünger nieder. Seit Anfang 2022 betrug das Plus 42,2 Prozent. Nachdem Russland die Ukraine angegriffe­n hatte, ermittelte die FAO im März sogar ein Allzeithoc­h. Gleichzeit­ig erwartet die Welternähr­ungsorgani­sation, dass 2022 rund 2,784 Milliarden Tonnen Getreide angebaut und 2,788 Milliarden Tonnen verbraucht werden. Eine Nahrungsmi­ttelknapph­eit herrscht also nicht.

Allerdings wachsen Weizen, Mais oder Reis nicht immer dort, wo sie auch verbraucht werden. Zudem bauen wenige Länder große Mengen bestimmter Getreide an, der Welthandel wird von fünf Konzernen dominiert, schreibt die Menschenre­chtsorgani­sation Fian in einer Studie: Die Familienun­ternehmen Cargill (USA) und Louis Dreyfus (Niederland­e), die börsennoti­erten Firmen Archer Daniels Midland und Bunge (beide USA) – die sogenannte ABCD-Gruppe. Dazu kommt der chinesisch­e Staatskonz­ern Cofco. Vor allem die ABCD-Firmen sichern sich umfangreic­h an den Börsen ab.

Und auch dort haben sie durch ihre Größe Macht. Dazu kommt ein eher undurchsic­htiger Markt.

Ein Landwirt etwa spekuliert, wenn er den Weizen, den er im August ernten will, bereits heute zu einem festen Preis verkauft, zu dem er dann im August liefern muss.

Entspreche­nde Termingesc­häfte laufen an großen Handelsplä­tzen wie der Chicago Mercantile Exchange (CME), der größten Börse dieser Art.

„Auch Lagerung ist eine Art Spekulatio­n und seit Jahrtausen­den bekannt: „Getreide nach der Ernte einzulager­n, um es verkaufen zu können, wenn der Bedarf hoch ist und das Angebot niedrig, etwa zum Ende des Winters. Oder für schlechter­e Zeiten“, sagt Lukas Kornher, Experte vom Zentrum für Entwicklun­gsforschun­g (ZEF) an der Universitä­t Bonn. Er beschäftig­t sich seit Jahren mit dem Geschehen auf den sogenannte­n Commoditie­s-Märkten. Spekulatio­n sei für den Getreidema­rkt wichtig. Die Produzente­n können sich absichern, bereits jetzt einen Preis für einen Lieferterm­in in der Zukunft aushandeln.

„Problemati­sch wird es, wenn Finanzinve­storen einsteigen, die sich nicht an den Marktdaten orientiere­n, sondern Finanzmark­tstrategie­n verfolgen, weil sie eine höhere Rendite erwarten als bei einer anderen Anlageform“, sagt Kornher. „Es besteht das Risiko, dass dies gegenwärti­g bereits die Preise treibt.“Bei der letzten großen weltweiten Nahrungsmi­ttelkrise vor 15 Jahren hätten Finanzspek­ulanten

aus Sicht des ZEF einen Anteil an Preisspitz­en gehabt. Das lasse sich aber nicht direkt auf die heutige Lage übertragen.

Deutlicher ist IPES Food, ein Zusammensc­hluss von Experten mit Sitz in Brüssel. An der CME seien die Preise für sogenannte Getreide-Futures, Papiere für Getreideli­eferungen in einigen Monaten, im März binnen neun Tagen um 54 Prozent gestiegen – trotz vergleichs­weise gut gefüllter Lager weltweit. Die Experten ermittelte­n, dass mehr Geld an der CME investiert wurde, das Handelsvol­umen stark stieg und damit auch der Anteil von Spekulante­n in Weizen und Mais.

Begünstigt wird die Spekulatio­n von der Unsicherhe­it, die gerade herrscht und durch den Angriffskr­ieg

Russlands befeuert wird. Russland ist nach Zahlen des US-Landwirtsc­haftsminis­teriums mit 16,4 Prozent Anteil der größte Weizenexpo­rteur der Welt, vor der EU, Australien und der Ukraine. Die Ukraine ist die Nummer 3 bei Mais (rund zwölf Prozent). Ob genug gesät und geerntet wird, ist unklar, ebenso, wie die Exporte wegen Krieg und Sanktionen laufen.

Selbst für Experten ist der Weltmarkt in Teilen undurchsic­htig: Wer wie viel wo gelagert hat, ist nur selten bekannt – weil manche Länder Getreidere­serven anlegen und die Nachbarn nicht in jedem Fall wissen sollen, wo und wie viel. Gleichzeit­ig speichern auch Konzerne Getreide.. Die Mengen sind wegen der Konkurrenz oft Firmengehe­imnis.

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FOTO: THOMAS WARNACK/DPA Mähdresche­r erntet Getreidefe­ld ab: Finanzinve­storen beeinfluss­en laut Experten den Getreidema­rkt stark. Es drohen Knappheite­n.

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