Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wenn Künstler zum Bohrer greifen
Der Deutsche Pavillon in Venedig wurde schon brutal umgestaltet – Das verbietet heute der Denkmalschutz
STUTTGART - Für Besucher aus anderen Ländern ist es eher ein Spaß. Wer regelmäßig zur Kunstbiennale nach Venedig fährt, fragt sich oft belustigt, was die Deutschen wohl diesmal mit ihrem Pavillon anstellen. Was haben sich die Künstlerinnen und Künstler einfallen lassen?
Auch Maria Eichhorn hat sich der Tradition angeschlossen und ist dem Deutschen Pavillon für die aktuelle Biennale mit Hammer und Bohrer zu Leibe gerückt. Die Künstlerin präsentiert eine Baustelle: Der Boden wurde geöffnet und bietet Einblicke ins Fundament. An den Wänden hat ein Restaurator verschiedene Putzschichten abgetragen. Denn der „Nazi-Pavillon“ist für Künstler Last und Herausforderung zugleich. Er erhielt sein heutiges Aussehen während des Nationalsozialismus – und fordert die Künstler immer aufs Neue heraus, sich vom Geist dieser Architektur zu distanzieren.
So haben sich schon viele Künstler an dem Bau abgearbeitet und ihm dabei übel zugesetzt: 1993 zertrümmerte Hans Haacke den Marmorboden und hängte ein vor Ort ausgenommenes Foto von Adolf Hitler in den Eingang. 2013 tauschten Deutschland und Frankreich kurzerhand ihre Gebäude. 2017 ließ Anne Imhof ihn einzäunen und von drei Dobermänner bewachen. Innen zog sie einen gläsernen Boden ein.
Wer weiß, ob Maria Eichhorn auch gern radikaler vorgegangen wäre. Allzu kühne Eingriffe sind heute aber nicht mehr erlaubt. Man kann es Ironie des Schicksals nennen, aber die italienischen Behörden wachen inzwischen streng darüber, dass die faschistischen Visionen der Nazi-Architektur originalgetreu erhalten bleiben. Denn 2016 wurde dem Bau zugesetzt wie nie zuvor. Auf Wunsch eines Kuratorenteams wurden vier große Mauerdurchbrüche vorgenommen. Acht Tonnen Ziegelsteine wurden aus den denkmalgeschützten Wänden gebrochen, weil man den Pavillon in ein offenes Haus verwandeln wollte.
Letztlich entscheidet heute das italienische Denkmalamt, was realisiert werden kann und was nicht. „Seit 2016 darf grundsätzlich nur noch der Putz angefasst werden“, erklärt Miriam Kahrmann, „Eingriffe in die Substanz der Mauer werden nicht mehr genehmigt.“Da der Boden nicht mehr original ist, konnte er aber im Sinne von Maria Eichhorn geöffnet werden. Sie will damit die wechselvolle Geschichte des Pavillons aufzeigen. Er wurde 1909 auf dem Giardini-Gelände von einer bayerischen Künstlerinitiative errichtet. 1938 wurde er dann von dem Nazi-Architekten Ernst Haiger ausgebaut. Er ließ die Säulen durch mächtige Rechteckpfeiler und das Parkett durch Marmor ersetzen. An der Fassade wurde der Schriftzug „GERMANIA“angebracht.
Wo beginnt aber Haigers Werk und wo endet der Vorgängerbau? Maria Eichhorn zeigt die Fundamente und hat die Umrisse und Fugen von Fensteröffnungen und Wanddurchgängen freigelegt, damit die Nahtstellen zwischen den verschiedenen Gebäudeteilen sichtbar werden. So wird die Vergangenheit wieder in den Blick gerückt. Übrigens gab es durchaus Debatten, den Pavillon doch gleich ganz abzureißen – ohne Erfolg, sodass er zu einem Ort geworden ist, an dem die Kunst kaum umhin kommt, Position zu beziehen und sich auf immer neue Weise mahnend an der eigenen Geschichte abzuarbeiten.