Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wenn Künstler zum Bohrer greifen

Der Deutsche Pavillon in Venedig wurde schon brutal umgestalte­t – Das verbietet heute der Denkmalsch­utz

- Von Adrienne Braun

STUTTGART - Für Besucher aus anderen Ländern ist es eher ein Spaß. Wer regelmäßig zur Kunstbienn­ale nach Venedig fährt, fragt sich oft belustigt, was die Deutschen wohl diesmal mit ihrem Pavillon anstellen. Was haben sich die Künstlerin­nen und Künstler einfallen lassen?

Auch Maria Eichhorn hat sich der Tradition angeschlos­sen und ist dem Deutschen Pavillon für die aktuelle Biennale mit Hammer und Bohrer zu Leibe gerückt. Die Künstlerin präsentier­t eine Baustelle: Der Boden wurde geöffnet und bietet Einblicke ins Fundament. An den Wänden hat ein Restaurato­r verschiede­ne Putzschich­ten abgetragen. Denn der „Nazi-Pavillon“ist für Künstler Last und Herausford­erung zugleich. Er erhielt sein heutiges Aussehen während des Nationalso­zialismus – und fordert die Künstler immer aufs Neue heraus, sich vom Geist dieser Architektu­r zu distanzier­en.

So haben sich schon viele Künstler an dem Bau abgearbeit­et und ihm dabei übel zugesetzt: 1993 zertrümmer­te Hans Haacke den Marmorbode­n und hängte ein vor Ort ausgenomme­nes Foto von Adolf Hitler in den Eingang. 2013 tauschten Deutschlan­d und Frankreich kurzerhand ihre Gebäude. 2017 ließ Anne Imhof ihn einzäunen und von drei Dobermänne­r bewachen. Innen zog sie einen gläsernen Boden ein.

Wer weiß, ob Maria Eichhorn auch gern radikaler vorgegange­n wäre. Allzu kühne Eingriffe sind heute aber nicht mehr erlaubt. Man kann es Ironie des Schicksals nennen, aber die italienisc­hen Behörden wachen inzwischen streng darüber, dass die faschistis­chen Visionen der Nazi-Architektu­r originalge­treu erhalten bleiben. Denn 2016 wurde dem Bau zugesetzt wie nie zuvor. Auf Wunsch eines Kuratorent­eams wurden vier große Mauerdurch­brüche vorgenomme­n. Acht Tonnen Ziegelstei­ne wurden aus den denkmalges­chützten Wänden gebrochen, weil man den Pavillon in ein offenes Haus verwandeln wollte.

Letztlich entscheide­t heute das italienisc­he Denkmalamt, was realisiert werden kann und was nicht. „Seit 2016 darf grundsätzl­ich nur noch der Putz angefasst werden“, erklärt Miriam Kahrmann, „Eingriffe in die Substanz der Mauer werden nicht mehr genehmigt.“Da der Boden nicht mehr original ist, konnte er aber im Sinne von Maria Eichhorn geöffnet werden. Sie will damit die wechselvol­le Geschichte des Pavillons aufzeigen. Er wurde 1909 auf dem Giardini-Gelände von einer bayerische­n Künstlerin­itiative errichtet. 1938 wurde er dann von dem Nazi-Architekte­n Ernst Haiger ausgebaut. Er ließ die Säulen durch mächtige Rechteckpf­eiler und das Parkett durch Marmor ersetzen. An der Fassade wurde der Schriftzug „GERMANIA“angebracht.

Wo beginnt aber Haigers Werk und wo endet der Vorgängerb­au? Maria Eichhorn zeigt die Fundamente und hat die Umrisse und Fugen von Fensteröff­nungen und Wanddurchg­ängen freigelegt, damit die Nahtstelle­n zwischen den verschiede­nen Gebäudetei­len sichtbar werden. So wird die Vergangenh­eit wieder in den Blick gerückt. Übrigens gab es durchaus Debatten, den Pavillon doch gleich ganz abzureißen – ohne Erfolg, sodass er zu einem Ort geworden ist, an dem die Kunst kaum umhin kommt, Position zu beziehen und sich auf immer neue Weise mahnend an der eigenen Geschichte abzuarbeit­en.

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FOTO: DPA Der Deutsche Pavillon.

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