Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Sind wir nicht wunderbar nachhaltig?
Was tun wir nicht alles, um nachhaltiger zu leben. Wir können uns auf die Schulter klopfen – und machen das auch gern. Aber bei genauerem Hinsehen stellt sich die Frage, ob wir uns mit mancher Maßnahme nicht nur ein reines Gewissen verschaffen, das es uns erlauben soll, unseren Lebensstil möglichst wenig zu ändern.
Denn was ändert sich beispielsweise, wenn die Pkw mit Verbrennermotor längerfristig durch EAutos ersetzt werden? Jedenfalls nicht die Zahl der Autos auf den Straßen. Sie wird eher noch steigen, weil man jetzt mit vermeintlich reinem Gewissen aufs Gaspedal drücken darf. Damit verschenkt man aber einen großen Teil des Potenzials, das im Begriff „Verkehrswende“enthalten sein könnte – unter anderem einem öffentlichen Raum, der nicht mehr vom motorisierten Verkehr domiist niert wird. Solange es in den Städten keine Bereitschaft gibt, Parkplätze in größerem Maßstab zu streichen, tendiert Nachhaltigkeit zum Lippen- bekenntnis.
Diese Lippenbekenntnisse können durchtrieben sein, wenn sie zur Legitimierung jenes Status quo führen, von dem sich nachhaltige Gesellschaften verabschieden müssen. Ein Beispiel liefern auch hier die Parkplätze. Immer wieder werden Fragen laut, ob sich gerade Großparkplätze heute noch vertreten lassen. Es fehle doch an Baugrund, auch heizten sich diese Parkplätze stark auf, was dem Stadtklima schade – die Einwände sind geläufig. Doch es fällt sehr viel schwerer, diese Kritik noch vorzubringen, wenn geplant wird, die Parkplätze mit Solarpanelen zu überbauen: Plötzlich produziert der Parkplatz grünen Strom. Aber diese Strategie wirklich nachhaltig? Sie taugt dazu, die Großparkplätze zu legitimieren. Der Parkplatz immunisiert sich gegen Kritik. So wird Nachhaltigkeit zum Deckmantel, der es erlaubt, alles zu lassen wie es ist.
Aber ist das denn so schlimm, wenn unter den Solarpanelen in Zukunft saubere E-Autos stehen? Ja, ist es. Weil es nicht wenige Leute gibt, die glauben, die Welt zu retten, wenn sie sich ein solches EAuto anschaffen – und zwar möglichst schnell. Das ist allein schon deshalb ein Problem, weil dieser Wechsel zu einem Überschuss an Autos mit Verbrennermotor führt. Sie sind alle noch funktionstüchtig, doch wer soll sie auf dem Gebrauchtwagenmarkt jetzt noch kaufen, wenn sie abgestoßen werden? Das heißt, dass eine Menge Energie und Rohstoffe in die Herstellung
von Pkw verschwendet wurde, die nun überflüssig werden, obwohl sie noch jahrelang gute Dienste leisten würden. Umgekehrt formuliert: Es ist immer noch nachhaltiger, seinen Benziner so lange wie möglich zu fahren, weil viele E-Autos dadurch gar nicht erst produziert werden müssen.
Was gemeinhin als nachhaltig gepriesen wird, muss also noch lange nicht nachhaltig sein, nur weil es so vermarktet wird. Mit Nachhaltigkeit wird Werbung gemacht. Das ist hilfreich, um neue Produkte an die Verbraucher zu bringen. Eine nachhaltige Welt gibt es aber nicht ohne Verbraucher, die weniger verbrauchen. Um das zu schaffen, müssen wir unseren Lebensstil ändern. Das ist leider mühsam. Auf dem Weg der Nachhaltigkeit werden wir uns seltener auf die Schulter klopfen, als wir es derzeit noch tun.