Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Sind wir nicht wunderbar nachhaltig?

- Von Harald Ruppert

Was tun wir nicht alles, um nachhaltig­er zu leben. Wir können uns auf die Schulter klopfen – und machen das auch gern. Aber bei genauerem Hinsehen stellt sich die Frage, ob wir uns mit mancher Maßnahme nicht nur ein reines Gewissen verschaffe­n, das es uns erlauben soll, unseren Lebensstil möglichst wenig zu ändern.

Denn was ändert sich beispielsw­eise, wenn die Pkw mit Verbrenner­motor längerfris­tig durch EAutos ersetzt werden? Jedenfalls nicht die Zahl der Autos auf den Straßen. Sie wird eher noch steigen, weil man jetzt mit vermeintli­ch reinem Gewissen aufs Gaspedal drücken darf. Damit verschenkt man aber einen großen Teil des Potenzials, das im Begriff „Verkehrswe­nde“enthalten sein könnte – unter anderem einem öffentlich­en Raum, der nicht mehr vom motorisier­ten Verkehr domiist niert wird. Solange es in den Städten keine Bereitscha­ft gibt, Parkplätze in größerem Maßstab zu streichen, tendiert Nachhaltig­keit zum Lippen- bekenntnis.

Diese Lippenbeke­nntnisse können durchtrieb­en sein, wenn sie zur Legitimier­ung jenes Status quo führen, von dem sich nachhaltig­e Gesellscha­ften verabschie­den müssen. Ein Beispiel liefern auch hier die Parkplätze. Immer wieder werden Fragen laut, ob sich gerade Großparkpl­ätze heute noch vertreten lassen. Es fehle doch an Baugrund, auch heizten sich diese Parkplätze stark auf, was dem Stadtklima schade – die Einwände sind geläufig. Doch es fällt sehr viel schwerer, diese Kritik noch vorzubring­en, wenn geplant wird, die Parkplätze mit Solarpanel­en zu überbauen: Plötzlich produziert der Parkplatz grünen Strom. Aber diese Strategie wirklich nachhaltig? Sie taugt dazu, die Großparkpl­ätze zu legitimier­en. Der Parkplatz immunisier­t sich gegen Kritik. So wird Nachhaltig­keit zum Deckmantel, der es erlaubt, alles zu lassen wie es ist.

Aber ist das denn so schlimm, wenn unter den Solarpanel­en in Zukunft saubere E-Autos stehen? Ja, ist es. Weil es nicht wenige Leute gibt, die glauben, die Welt zu retten, wenn sie sich ein solches EAuto anschaffen – und zwar möglichst schnell. Das ist allein schon deshalb ein Problem, weil dieser Wechsel zu einem Überschuss an Autos mit Verbrenner­motor führt. Sie sind alle noch funktionst­üchtig, doch wer soll sie auf dem Gebrauchtw­agenmarkt jetzt noch kaufen, wenn sie abgestoßen werden? Das heißt, dass eine Menge Energie und Rohstoffe in die Herstellun­g

von Pkw verschwend­et wurde, die nun überflüssi­g werden, obwohl sie noch jahrelang gute Dienste leisten würden. Umgekehrt formuliert: Es ist immer noch nachhaltig­er, seinen Benziner so lange wie möglich zu fahren, weil viele E-Autos dadurch gar nicht erst produziert werden müssen.

Was gemeinhin als nachhaltig gepriesen wird, muss also noch lange nicht nachhaltig sein, nur weil es so vermarktet wird. Mit Nachhaltig­keit wird Werbung gemacht. Das ist hilfreich, um neue Produkte an die Verbrauche­r zu bringen. Eine nachhaltig­e Welt gibt es aber nicht ohne Verbrauche­r, die weniger verbrauche­n. Um das zu schaffen, müssen wir unseren Lebensstil ändern. Das ist leider mühsam. Auf dem Weg der Nachhaltig­keit werden wir uns seltener auf die Schulter klopfen, als wir es derzeit noch tun.

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