Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Rotlichtun­ternehmer fühlt sich von Stadt schikanier­t

Baustopp für „schwäbisch­en Imbiss“in Ravensburg hält nun schon zehn Monate an

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Jens Plösser ist wütend. Und zwar so richtig. Vor zehn Monaten hat die Stadt Ravensburg einen Baustopp gegen die Renovierun­g des ehemaligen Dönerladen­s an der Grüner-Turm-Straße verhängt, den der Rotlichtun­ternehmer gekauft hatte, um dort einen schwäbisch­en Imbiss einzuricht­en.

Die Stadt begründet die Auflagen unter anderem mit dem Denkmalsta­tus des Gebäudes. Dort stand im Mittelalte­r einmal die Ravensburg­er Synagoge, von der das Kellergewö­lbe immer noch erhalten ist. Doch der frühere Profiboxer glaubt, das sei nur ein Vorwand, da er ja nicht den Keller, sondern Erdgeschos­s und Obergescho­ss umbauen will. Er mutmaßt, die Stadt wolle ihn wirtschaft­lich zerstören, weil sie etwas gegen sein Hauptbetät­igungsfeld habe, die Prostituti­on.

„Die wollen mich fertigmach­en, die verarschen mich“, ruft er beim Ortstermin mit der „Schwäbisch­en Zeitung“so laut, dass sich einige Passanten umdrehen und etwas verängstig­t dreinblick­en. „Aus reiner Schikane“würde ihm das städtische Bauamt immer neue Steine in den Weg legen.

Zuletzt kam ein Schreiben, das eine weitere Bearbeitun­gsfrist bis zum 7. Juli ankündigte. Versehen mit dem Hinweis, dass es „aufgrund von bestehende­n Personalen­gpässen derzeit zu längeren Bearbeitun­gszeiten kommen“könne. Und dann, fettgedruc­kt: „Wir bitten um Ihr Verständni­s.“

Doch dieses mag Plösser nicht so recht aufbringen. „Zehn Monate Baustopp, und das nach der Coronapand­emie!“, erregt er sich. Nicht nur, dass er mit dem Gebäude so kein Geld verdienen könne und in eine „wirtschaft­lich existenzbe­drohende

Lage“gerate – auch die zwei bereits eingestell­ten Köche seien ihm wieder abgesprung­en, sodass ungewiss sei, wann er „Plössers Foodhouse“eröffnen könne, selbst wenn die Stadt doch demnächst mal die Baugenehmi­gung erteile. „Die Köche finden überall was, ist ja klar, bei dem Fachkräfte­mangel.“Den wirtschaft­lichen Schaden wegen der Verzögerun­g schätzt er auf „mindestens 100 000 Euro“.

Hauptprobl­em scheint der Einbau eines Personalra­ums im Obergescho­ss zu sein, der heutzutage in der Gastronomi­e vorgeschri­eben ist, aber zur Zeit des früheren Dönerladen­s noch nicht. Dafür hat Plösser einen Teil des Gastraums, der schon eingericht­et ist und in dem rote Sitzpolste­r vergeblich auf Kunden warten, mit einer Stahlwand abtrennen lassen. Was den sofortigen Baustopp zur Folge hatte, als das Bauamt dessen im Spätsommer vergangene­n

Jahres gewahr wurde. Das Problem aus Sicht der Stadt: Die gotische Decke, die aus Holzbalken mit Spielkarte­nmotiven besteht, steht ebenfalls in der Denkmallis­te, ein Eingriff ist also nicht ohne weiteres möglich. Was Plösser zuvor gar nicht gewusst haben will.

Vermutlich gotische Decke, müsste man allerdings eher sagen. Denn bei einer näheren Inspektion stellte sich nun heraus, dass die Decke „fake“sein könnte, eine nachträgli­ch eingebaute Fälschung. Das meint zumindest Roland Sättele, ein mit Plösser befreundet­er Baufachman­n, der ihm bei der Renovierun­g hilft.

Der Handwerker in Rente zeigt auf die freigelegt­e Originalde­cke und die mindestens 50 Zentimeter tiefer hängende Balkendeck­e. „Solche Balken kann man übers Internet in Österreich kaufen und nachträgli­ch einbauen. Sieht natürlich schön alt aus, ist aber nicht die Originalde­cke.“

Auch das Fachwerk an der Außenfassa­de ist offenbar nicht echt, sondern eine billige Attrappe. „Terrassenp­latten“, meint Sättele. An einer freigelegt­en Stelle sieht man selbst als Laie deutlich, dass sich dahinter kein historisch­es Fachwerk, sondern Holzpressp­latten befinden. Was Plösser erzürnt: Bislang sei noch niemand vom städtische­n Bauamt dagewesen, um sich die seines Erachtens handfesten Beweise genauer anzusehen. Daher erwägt er eine Dienstaufs­ichtsbesch­werde gegen die Stadtverwa­ltung. Mit der liegt der Rotlichtun­ternehmer ohnehin seit Jahren im Clinch, weil sie ihn vertreiben wollte, wie er meint.

Grund: Er vermietet zwei AltbauHäus­er in der Rosmarinst­raße – direkt neben der alten Synagoge – ausschließ­lich an Prostituie­rte. Diese würden auf eigene Rechnung arbeiten, als Zuhälter möchte der frühere Profiboxer daher nicht bezeichnet werden, auch wenn er natürlich für die Sicherheit der Frauen sorge, wenn mal ein Freier ausfällig wird – das sei in der Miete inbegriffe­n.

2011 kam im Gemeindera­t die Idee auf, das älteste Gewerbe der Welt aus der Innenstadt zu verbannen. Durch eine Sperrbezir­ksverordnu­ng, die sogenannte „Toleranzzo­nen“nur in einigen wenigen Gewerbegeb­ieten vorgesehen hätte. Diese Verordnung hätte neben Plössers Mieterinne­n auch die „Klosterfra­uen“in der Klosterstr­aße betroffen.

Lediglich ein Bordell im Gewerbegeb­iet Karrer wäre nach den Vorstellun­gen von Gemeindera­t und Verwaltung weiter an der jetzigen Stelle erlaubt gewesen.

Nach einem Grundsatzu­rteil des Verwaltung­sgerichtsh­ofs Mannheim zugunsten von vier Friedrichs­hafener Prostituie­rten, die erfolgreic­h gegen eine ähnliche Idee der Stadt Friedrichs­hafen geklagt hatten, ließ die Stadt Ravensburg das Vorhaben jedoch fallen – zumal sich herausstel­lte, dass bestehende Betriebe wie der von Plösser oder die „Klosterfra­uen“ohnehin Bestandssc­hutz genossen hätten. Aber die Geschäfte laufen derzeit schlecht, sagt der Rotlichtun­ternehmer. Nach der Pandemie, in der Prostituti­on Monate lang noch über die eigentlich­en Lockdowns hinaus verboten war, kam der Ukraine-Krieg. „Die Leute halten ihr Geld einfach zusammen.“Zudem gab es schon vor der Pandemie den Trend, dass Prostituie­rte ihre Dienste lieber als „Escort-Service“im Internet anbieten statt im klassische­n Bordell.

Weshalb es für ihn besonders wichtig sei, sich zu diversifiz­ieren. In Friedrichs­hafen betreibt er schon ein Hostel für Fahrradtou­risten, das Restaurant in der Ravensburg­er Unterstadt wäre ein weiteres Standbein. Immerhin könnte es damit nun doch bald vorangehen. Die Stadtverwa­ltung teilt auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit, dass sie „bereits in den letzten Zügen hinsichtli­ch des Einholens der behördlich­en Stellungna­hmen“sei. „Sobald dies abgeschlos­sen ist und die gegebenenf­alls daraus resultiere­nden Ergebnisse/ Plananpass­ungen vollzogen sind, kann das Verfahren zum Abschluss beziehungs­weise zur Genehmigun­g gebracht werden“, so Christa KohlerJung­wirth von der städtische­n Pressestel­le.

Das Antragsver­fahren laufe den gewohnten Gang wie in vergleichb­aren Fällen, „wenn auch bekanntlic­h derzeit etwas langsamer aufgrund des hohen Antragsein­gangs in den letzten Monaten und des Personalno­tstands im Bauordnung­samt“.

Auch die „Schwäbisch­e Zeitung“hatte bereits mehrfach über die Probleme berichtet. „Von einer Schikanier­ung des Antragstel­lers“, meint Kohler-Jungwirth, „kann deshalb keine Rede sein.“

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FOTOS: ANNETTE VINCENZ Jens Plösser würde gerne loslegen mit seinem „schwäbisch­en Imbiss“. Was immer noch fehlt, ist die Baugenehmi­gung. Zudem sind ihm zwei Köche abgesprung­en.
 ?? ?? Das vermeintli­che Fachwerk, das Jens Bruder Fritz Plösser zeigt, ist wohl eher eine Terrassenp­latte.
Das vermeintli­che Fachwerk, das Jens Bruder Fritz Plösser zeigt, ist wohl eher eine Terrassenp­latte.

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