Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die DFB-Elf und ihre zwei Problemzonen
Gegen Ungarn offenbart die Fußball-Nationalmannschaft offensiv wie defensiv große Schwächen
BUDAPEST - Bei Abpfiff ertönte ein gewaltiger Jubelschrei aus Zehntausenden Kehlen. Die Spieler feierten diesen Erfolg ebenfalls euphorisch, gingen wenig später vor ihre Fankurve, wurden mit Ovationen der 67 000 Heimfans bedacht. Und das alles nach einem Unentschieden, einem 1:1. Die ungarische Welt war komplett in Ordnung nach dem Remis gegen die deutsche Nationalelf in der stimmungsvollen Puskás Arena von Budapest. Total konträr die Gesichter, die Mienen, die Stimmung beim DFB-Team.
Ein Remis! Wieder nur ein Unentschieden! Auch im dritten Gruppenspiel der Nations League ein 1:1. Nimmt man das 1:1 von Ende März beim Freundschaftsspiel in den Niederlanden dazu, ist das Quartett an 1:1Partien komplett. Und das Duell mit dem 40. der FIFA-Weltrangliste resultierte im Vergleich zu den Unentschieden in Italien und gegen England aus der schwächsten Leistung. Zwar bleibt Bundestrainer Hansi Flick in seinem zwölften Spiel weiter ungeschlagen, kann aber aktuell auch nicht mehr gewinnen. Viermal hintereinander 1:1 – gab's noch nie in der DFB-Historie.
Eine Marke, auf die der 57-Jährige gerne verzichtet hätte. „Das war ein Rückschritt“, kritisierte Flick den Auftritt seiner Mannschaft und konstatierte: „Wir haben zu viele Fehler gemacht.“Lediglich die Reaktion nach dem frühen 0:1 in der sechsten Minute, nach dem Treffer von Zsolt Nagy infolge totaler Konfusion in der DFB-Abwehr, hat gepasst. Der Gladbacher Jonas Hofmann erzielte nach einem starken langen Ball von Nico Schlotterbeck drei Minuten später den Ausgleich. Lange Schläge aus der Abwehr hinter die letzte Kette der Ungarn – im Grunde das einzige Stilmittel, das der ideenlosen, uninspirierten Offensive einfiel.
Zwei Problemzonen hat diese deutsche Nationalelf aktuell: die Defensive und die Offensive. „Die Ungarn standen wie ein Bollwerk hinten drin“, merkte Kapitän Manuel Neuer an, kritisierte aber auch deutlich: „Vorne hat uns die Kreativität gefehlt, wir haben uns zu wenig Torchancen erspielt, um das zweite Tor zu machen.“Was war los mit den nominellen Angreifern ? Timo Werner? Kein Treffer. Kai Havertz? Thomas Müller? Da steht ebenfalls die Null. Leroy Sané (in Ungarn ohne Einsatz) und Serge Gnabry (wegen muskulärer Probleme diesmal nicht dabei)? Auch ein Satz mit X. Die Joker Julian Brandt, Karim Adeyemi und Lukas Nmecha stachen ebenso wenig. Zum glücklosen Chelsea-Stürmer Werner meinte Flick: „Es hat uns komplett die Überzeugung gefehlt, auch ihm. Er betreibt einen großen
Aufwand, aber wir haben aktuell einfach zu wenig Torchancen, zu wenig Abschlüsse. Da muss er sich vielleicht auch mal den Mut fassen und aus der zweiten Reihe abziehen.“Die beste Chance auf den Führungstreffer vergab der ansonsten gute Hofmann, als er den Ball bei einer 2:1-Situation vor dem Tor der Ungarn zu schlampig Richtung Werner passte. „Ein Sorry von mir an die Mannschaft. Das wäre das Siegtor gewesen“, entschuldigte sich der Rechtsaußen.
Das zweite Manko: Die wacklige Abwehr. In Budapest schonte Flick seinen Abwehrchef Antonio Rüdiger, gab dem künftigen Dortmunder Innenverteidiger-Duo Schlotterbeck und Niklas Süle eine Bewährungschance. Doch die Abstimmung stimmte oft nicht, dazu kamen haarsträubende Fehler im Spielaufbau. Neuer bemängelte noch etwas: „Dass wir die Hereingaben von der Seite so zulassen, sind Auffälligkeiten.“Der Rekordnationaltorhüter fordert: „Für uns sind das wichtige Spiele, in denen man aber auch mal zu null spielen muss. Das ist uns bis jetzt leider noch nicht geglückt, aber dafür haben wir noch ein Spiel Zeit.“Am Dienstag in Mönchengladbach gegen Italien.
Übrigens: Für die Bayern-Profis plus Leroy Sané wäre ein gewonnenes
Spiel gegen den Europameister ein seltenes Glücksgefühl. Ein Sieg der Meister-Abonnenten aus München? Verdammt lang her. Klingt komisch, ist aber so. In der Mixed-Zone betonte Goretzka, es wäre „sehr wichtig, diese Länderspielmaßnahme am Ende doch noch positiv abzuschließen“. Denn augenscheinlich kann die Nationalelf ja nur noch unentschieden spielen. Goretzka: „Ja, langsam fühlt es sich so an. Es ist echt 'ne Weile her, dass wir ein Spiel gewonnen haben. Auch mit den Bayern war es zum Schluss der Saison ja nicht mehr das Gelbe vom Ei.“Als der Mittelfeldspieler auf Nachfrage aus dem Kopf rasch sagen sollte, wann er überhaupt sein letztes Spiel gewonnen habe, meinte er ehrlich: „Puh … weiß ich nicht.“Hier kommt Nachhilfe: Der letzte Sieg der Bayern-Profis datiert vom 23. April. Damals konnten die Bayern am 31. Spieltag mit dem 3:1 im Heimspiel gegen Verfolger Borussia Dortmund die Meisterschaft klarmachen.
Gelingt am Dienstag im vierten Nations-League-Gruppenspiel nun der Turnover aus dem Remis-Niemandsland? „Wir müssen versuchen, mit einem mutigen Auftritt in Mönchengladbach, unbedingt diese drei Punkte einzufahren“, so Neuer. „Gegen Italien müssen wir eine Rakete zünden.“