Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die DFB-Elf und ihre zwei Problemzon­en

Gegen Ungarn offenbart die Fußball-Nationalma­nnschaft offensiv wie defensiv große Schwächen

- Von Patrick Strasser

BUDAPEST - Bei Abpfiff ertönte ein gewaltiger Jubelschre­i aus Zehntausen­den Kehlen. Die Spieler feierten diesen Erfolg ebenfalls euphorisch, gingen wenig später vor ihre Fankurve, wurden mit Ovationen der 67 000 Heimfans bedacht. Und das alles nach einem Unentschie­den, einem 1:1. Die ungarische Welt war komplett in Ordnung nach dem Remis gegen die deutsche Nationalel­f in der stimmungsv­ollen Puskás Arena von Budapest. Total konträr die Gesichter, die Mienen, die Stimmung beim DFB-Team.

Ein Remis! Wieder nur ein Unentschie­den! Auch im dritten Gruppenspi­el der Nations League ein 1:1. Nimmt man das 1:1 von Ende März beim Freundscha­ftsspiel in den Niederland­en dazu, ist das Quartett an 1:1Partien komplett. Und das Duell mit dem 40. der FIFA-Weltrangli­ste resultiert­e im Vergleich zu den Unentschie­den in Italien und gegen England aus der schwächste­n Leistung. Zwar bleibt Bundestrai­ner Hansi Flick in seinem zwölften Spiel weiter ungeschlag­en, kann aber aktuell auch nicht mehr gewinnen. Viermal hintereina­nder 1:1 – gab's noch nie in der DFB-Historie.

Eine Marke, auf die der 57-Jährige gerne verzichtet hätte. „Das war ein Rückschrit­t“, kritisiert­e Flick den Auftritt seiner Mannschaft und konstatier­te: „Wir haben zu viele Fehler gemacht.“Lediglich die Reaktion nach dem frühen 0:1 in der sechsten Minute, nach dem Treffer von Zsolt Nagy infolge totaler Konfusion in der DFB-Abwehr, hat gepasst. Der Gladbacher Jonas Hofmann erzielte nach einem starken langen Ball von Nico Schlotterb­eck drei Minuten später den Ausgleich. Lange Schläge aus der Abwehr hinter die letzte Kette der Ungarn – im Grunde das einzige Stilmittel, das der ideenlosen, uninspirie­rten Offensive einfiel.

Zwei Problemzon­en hat diese deutsche Nationalel­f aktuell: die Defensive und die Offensive. „Die Ungarn standen wie ein Bollwerk hinten drin“, merkte Kapitän Manuel Neuer an, kritisiert­e aber auch deutlich: „Vorne hat uns die Kreativitä­t gefehlt, wir haben uns zu wenig Torchancen erspielt, um das zweite Tor zu machen.“Was war los mit den nominellen Angreifern ? Timo Werner? Kein Treffer. Kai Havertz? Thomas Müller? Da steht ebenfalls die Null. Leroy Sané (in Ungarn ohne Einsatz) und Serge Gnabry (wegen muskulärer Probleme diesmal nicht dabei)? Auch ein Satz mit X. Die Joker Julian Brandt, Karim Adeyemi und Lukas Nmecha stachen ebenso wenig. Zum glücklosen Chelsea-Stürmer Werner meinte Flick: „Es hat uns komplett die Überzeugun­g gefehlt, auch ihm. Er betreibt einen großen

Aufwand, aber wir haben aktuell einfach zu wenig Torchancen, zu wenig Abschlüsse. Da muss er sich vielleicht auch mal den Mut fassen und aus der zweiten Reihe abziehen.“Die beste Chance auf den Führungstr­effer vergab der ansonsten gute Hofmann, als er den Ball bei einer 2:1-Situation vor dem Tor der Ungarn zu schlampig Richtung Werner passte. „Ein Sorry von mir an die Mannschaft. Das wäre das Siegtor gewesen“, entschuldi­gte sich der Rechtsauße­n.

Das zweite Manko: Die wacklige Abwehr. In Budapest schonte Flick seinen Abwehrchef Antonio Rüdiger, gab dem künftigen Dortmunder Innenverte­idiger-Duo Schlotterb­eck und Niklas Süle eine Bewährungs­chance. Doch die Abstimmung stimmte oft nicht, dazu kamen haarsträub­ende Fehler im Spielaufba­u. Neuer bemängelte noch etwas: „Dass wir die Hereingabe­n von der Seite so zulassen, sind Auffälligk­eiten.“Der Rekordnati­onaltorhüt­er fordert: „Für uns sind das wichtige Spiele, in denen man aber auch mal zu null spielen muss. Das ist uns bis jetzt leider noch nicht geglückt, aber dafür haben wir noch ein Spiel Zeit.“Am Dienstag in Mönchengla­dbach gegen Italien.

Übrigens: Für die Bayern-Profis plus Leroy Sané wäre ein gewonnenes

Spiel gegen den Europameis­ter ein seltenes Glücksgefü­hl. Ein Sieg der Meister-Abonnenten aus München? Verdammt lang her. Klingt komisch, ist aber so. In der Mixed-Zone betonte Goretzka, es wäre „sehr wichtig, diese Länderspie­lmaßnahme am Ende doch noch positiv abzuschlie­ßen“. Denn augenschei­nlich kann die Nationalel­f ja nur noch unentschie­den spielen. Goretzka: „Ja, langsam fühlt es sich so an. Es ist echt 'ne Weile her, dass wir ein Spiel gewonnen haben. Auch mit den Bayern war es zum Schluss der Saison ja nicht mehr das Gelbe vom Ei.“Als der Mittelfeld­spieler auf Nachfrage aus dem Kopf rasch sagen sollte, wann er überhaupt sein letztes Spiel gewonnen habe, meinte er ehrlich: „Puh … weiß ich nicht.“Hier kommt Nachhilfe: Der letzte Sieg der Bayern-Profis datiert vom 23. April. Damals konnten die Bayern am 31. Spieltag mit dem 3:1 im Heimspiel gegen Verfolger Borussia Dortmund die Meistersch­aft klarmachen.

Gelingt am Dienstag im vierten Nations-League-Gruppenspi­el nun der Turnover aus dem Remis-Niemandsla­nd? „Wir müssen versuchen, mit einem mutigen Auftritt in Mönchengla­dbach, unbedingt diese drei Punkte einzufahre­n“, so Neuer. „Gegen Italien müssen wir eine Rakete zünden.“

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FOTO: IMAGO Enttäuschu­ng nach dem Schlusspfi­ff: Das 1:1 in Budapest fühlt sich für die DFB-Auswahl um Thomas Müller (Mitte) an wie eine Niederlage.

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