Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Baugewerbe steht vor enormen Problemen
Die Situation ist grotesk – Obwohl es viel Arbeit gibt, stehen viele Handwerksbetriebe unter Druck
KREIS RAVENSBURG - Der Wohnungsbau im Kreis Ravensburg stockt. Aus vielfältigen Gründen: jede Menge Bürokratie, Fachkräftemangel sowohl im Handwerk als auch bei den Genehmigungsbehörden. Jetzt kommt noch Materialmangel samt einer Kostenexplosion hinzu, die hohe Inflation erschwert zudem eine seriöse Angebotsplanung. Trotz voller Auftragsbücher ist die Stimmung im Baugewerbe angespannt.
Im Landkreis Ravensburg wurden im vergangenen Jahr nach Angaben der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) 1180 neue Wohnungen gebaut. Das klingt nach viel, wird dem Bedarf im zweitgrößten Flächenlandkreis BadenWürttembergs aber nicht gerecht. Vor allem bezahlbare Wohnungen sind rar, der soziale Wohnungsbau mit preisgebundenen, deutlich niedrigeren Mieten lohnt sich laut Kreishandwerkerschaft für private Investoren nicht. Städte wie Ravensburg versuchen zwar, wieder selbst Sozialwohnungen zu bauen. 100 neue Sozialwohnungen bis zum Jahr 2030 werden die Not jedoch kaum beseitigen, weil die Warteliste derjenigen, die Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein haben, schon vor dem Ukraine-Krieg länger war und durch die starke Teuerungsrate sicherlich noch anwachsen wird.
Der Regionalleiter der IG Bau Baden-Württemberg, Andreas Harnack, sieht daher insbesondere die große Politik in der Pflicht. Der Wohnungsbau in der Region könne nur dann vorankommen, wenn in Berlin und Stuttgart die richtigen Weichen gestellt würden. „Die Bundesregierung hat 400 000 neue Wohnungen pro Jahr versprochen. Ein Viertel davon sollen Sozialwohnungen sein. Von diesem Ziel ist die
Ampel-Koalition noch weit entfernt. Zudem erschweren knappe Baumaterialien, steigende Energiepreise, Inflation und steigende Bauzinsen derzeit den Neubau.“Hinzu kämen ein hoher Fachkräftebedarf und unzureichende staatliche Förderungen. Und ein kompliziertes Baurecht mit langen Genehmigungsverfahren.
Um schneller zusätzlichen Wohnraum zu gewinnen, schlägt die IG Bau daher auch den Umbau bereits bestehender Gebäude vor. „Im Kreis Ravensburg schlummert ein großes Potenzial in der Umnutzung von Altbauten. So lassen sich bei vielen Wohngebäuden, Büro-, Geschäftsund Parkhäusern Dachetagen aufstocken. Dazu kommt – durch mehr Homeoffice – der Umbau von Büros zu Wohnungen.“Zumindest die aufwendigen Umweltprüfungen ließen sich so umgehen, denn die fraglichen Flächen sind ja schon versiegelt.
Um den Fachkräftemangel zu beseitigen, müsste die Baubranche zudem bessere Löhne zahlen, fordert der Gewerkschafter: „Viele Firmen suchen dringend Fachkräfte, um die Aufträge bewältigen zu können. Aber qualifizierte Maurer und Zimmerleute gewinnt nur, wer anständige Löhne zahlt und gute Arbeitsbedingungen bietet.“Handwerker sollten auf tariflicher Bezahlung bestehen.
Über der letzten Satz kann Franz Moosherr, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Ravensburg, nur müde lächeln. „Die Betriebe zahlen über Tarif.“Auch im Handwerk seien mittlerweile Headhunter unterwegs, die Gesellen oder Meister abwerben würden und gut davon lebten. Kein Betrieb könne es sich daher leisten, seine Mitarbeiter schlecht zu bezahlen.
Dennoch fürchteten die Betriebe – gerade im Baugewerbe – die durch die Inflation drohende Lohn-PreisSpirale in der Industrie. Dann würden sich vermutlich noch mehr Handwerker abwerben lassen, „denn mit den Löhnen in der Industrie können wir nicht mithalten“. Oder die Preise für die Endkunden müssten stark angehoben werden. Das wiederum verteuere Wohnungen in Kombination mit steigenden Bauzinsen, sodass viele Menschen den Traum vom Eigenheim nicht mehr verwirklichen könnten.
Sehr schwer sei es für die Innungsbetriebe aktuell, Angebote zu kalkulieren, vor allem bei Bauvorhaben der öffentlichen Hand. „Da vergeht zwischen Ausschreibung oder
Angebotsabgabe und Auftragsbeginn oft ein Jahr, und die Preise haben sich dann zwischenzeitlich um 200 Prozent erhöht.“Gerade Stahlträger, Ziegel und Dämmstoffe seien unanständig teuer geworden. Moosherr und viele der Handwerksmeister in den Innungen vermuten, dass die Hersteller von Baustoffen diese aktuell künstlich verknappen, um einen Riesengewinn zu machen. „Die sind dann wahrscheinlich bald in Partylaune, wenn sie ihre Bilanzen sehen. Ähnlich wie die Mineralölkonzerne.“Aber eigentlich gebe es keinen Grund, warum sich manche Baustoffpreise aktuell so exorbitant nach oben entwickeln würden. Mit Ausnahme vom Stahl, wie Moosherr einräumt. „Die Zerstörung des Asowstalwerks in Mariupol wirkt sich auch bei uns unmittelbar aufs Angebot aus.“
Um öffentliche Ausschreibungen – auch für sozialen Wohnungsbau – nicht zum unkalkulierbaren Risiko zu machen, fordert die Handwerkerlobby sogenannte Stoffpreisgleitklauseln in den Verträgen mit Kommunen, dem Land oder dem Bund. Also die Möglichkeit, nachträglich mit dem Preis nach oben zu gehen, wenn es zwischenzeitlich entsprechende Teuerungsraten gegeben hat. Während der Bund das bei seinen Bauvorhaben neuerdings ermöglicht, wehre sich das Land Baden-Württemberg vehement dagegen.
Der Kreis Ravensburg, der an der Gartenstraße einige große Neubauten plant (die beruflichen Schulen und das Landratsamt) wundere sich aktuell, dass keine Angebote eingehen, so Moosherr. „Eben aus diesem Grund. Wir empfehlen keinem Handwerksbetrieb im Baugewerbe, in dieser unsicheren Zeit an einer öffentlichen Ausschreibung teilzunehmen.“Ein Gespräch mit Kreiskämmerer Franz Baur habe aber ergeben, dass die Verantwortlichen im Landratsamt zu Zugeständnissen bereit wären, falls der Kreistag dem zustimmt. Aber auch Bauträger, die ihren Privatkunden Endpreise schon weit vor der Fertigstellung garantieren, würden das Risiko der Kostensteigerungen gerne auf die Handwerker abwälzen, sagt Moosherr. Im privaten Bausektor werde es daher ebenfalls immer schwerer, Angebote gut zu kalkulieren. „Am Ende kann die bizarre Situation entstehen, dass die Auftragsbücher zwar voll sind wie noch nie, der Handwerker aber trotzdem weniger verdient oder sogar Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken muss, weil das Material ausgeht.“Dass vor diesem Hintergrund mehr Sozialwohnungen entstehen, mit denen kein Geld zu verdienen ist, hält Moosherr für eher unwahrscheinlich.