Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Bremse hart, lenke zart
Beim Fahrsicherheitstraining lernen Feuerwehrleute, wie sie ihre tonnenschweren Fahrzeuge sicher zum Einsatzort bringen. Obwohl Praktiker solche Trainings fordern, sind sie nicht vorgeschrieben.
KEMPTEN - Knapp, aber sicher: Das tonnenschwere Feuerwehrauto bremst, kommt wenige Zentimeter vor dem Hindernis zum Stehen. „Gut gemacht“, lobt Fahrsicherheitstrainer Dirk Elies, „immer dran denken: hart bremsen, zart lenken.“Am Lenkrad des Löschfahrzeugs aus Wohmbrechts im Landkreis Lindau sitzt Lisa Wagner. Die 25-Jährige, Mutter von zwei kleinen Töchtern, hat zwar schon seit einigen Jahren den LkwFührerschein, ist Atemschutzträgerin und Gruppenführerin, saß aber noch nie auf einer Einsatzfahrt am Steuer. „Gerade für diese Zielgruppe, junge Leute mit ganz wenig Erfahrung auf großen, schweren Fahrzeugen, bietet der ADAC das Fahrsicherheitstraining an“, erklärt Dirk Elies.
Lisa Wagner ist nicht allein gekommen. Auch ihr Vater ist dabei, Jens Wißelinck, gleich in zwei Feuerwehren aktiv: Bei der Berufsfeuerwehr München arbeitet der 50-Jährige auf der Leitstelle, in Wohmbrechts war er lange Zeit stellvertretender Kommandant. Er blickt auf mehrere Tausend Einsatzfahrten zurück, weiß aber: „Man muss gerade für kritische Situationen fit bleiben und sich ständig schulen.“
An diesem schönen Frühsommerabend vermittelt Trainer Elies Neulingen und Routiniers am Steuer von Einsatzfahrzeugen theoretische Kenntnisse über die Fahrphysik und insbesondere praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten, damit sie auch in schwierigen Verkehrssituationen während der Einsatzfahrt richtig reagieren. Gefahrenbremsungen und Ausweichmanöver gehören ebenso zum Programm, um ein besseres Gefühl für die Fahrzeuge zu bekommen.
Auf dem ADAC-Gelände in Kempten trifft Elies auf 14 Feuerwehrleute aus dem Landkreis Lindau. Beispielsweise auf Rainer Wochner. Der 38-Jährige ist seit 18 Jahren bei der Feuerwehr, kennt Gefahrensituationen auf der Insel mit ihren Touristen, die vor Einsatzfahrzeugen noch schnell über die Straße laufen. Trotz jahrelanger Routine will er lernen: „Ich will mein Fahrgefühl für Großfahrzeuge verbessern.“Die Männer der freiwilligen Feuerwehr Lindau haben ein Wechselladerfahrzeug und ihr fabrikneues Feuerwehrauto LF 10 dabei und sammeln erste Erfahrungen. Jan Wannaga, 23 Jahre, möchte damit Grenzsituationen zwar nicht erleben, sie aber notfalls beherrschen. Andere Teilnehmer wollen wissen, wie ihr Fahrzeug auf nasser Straße, auf spiegelglatter Fahrbahn oder beim berühmten Elchtest reagiert.
Immer wieder kommt es zu Unfällen mit Einsatzfahrzeugen. Immerhin ist das Risiko für Einsatzfahrzeuge, in einen Unfall mit hohem Sachschaden verwickelt zu werden, 17-mal höher als bei normalen Fahrten, meldet die Hanseatische Feuerwehr-Unfallkasse Nord.
Professor Dieter Müller von der Hochschule der Sächsischen Polizei nennt vor allem zwei Ursachen: „Der Verkehr wird immer dichter, es kommen pro Jahr rund eine Million Fahrzeuge dazu, entsprechend schwieriger wird es für Einsatzfahrzeuge, in den durchschnittlich 12 bis 15 Minuten zum Ziel zu kommen.“
Außerdem potenzieren Einsatzfahrten mit Blaulicht unter hoher psychischer Belastung das Risiko. Neben den schon hohen normalen
Anforderungen beim Fahren von großen Fahrzeugen kommen noch der Zeitdruck in der Einsatzsituation , das unberechenbare Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer. Weiter seien die Fahrer der Rettungsfahrzeuge mitunter überfordert: Ihnen fehlen Routine und Erfahrung. Gleichzeitig tragen sie die Verantwortung – auch strafrechtlich nach Unfällen.
Dennoch fehlt für Einsatzfahrten bundesweit ein verpflichtendes Fahrsicherheitstraining. „Die Berufsfeuerwehren und auch einige Landespolizeien wie die Polizei NRW machen das sehr gut, dort finden umfangreiche Schulungen statt, bevor das Personal zu Einsatzfahrten ausrücken darf“, sagt Müller. „Aber die freiwilligen Feuerwehren und private Rettungsdienste sind leider eine große Fehlerquelle.“Zudem sei das Fahrpersonal vielfach im Alter zwischen 18 und 25 Jahren und gehöre damit zu einer Risikogruppe, was Verkehrsunfälle betrifft.
Trainer Dirk Elies ergänzt „Sehen und gesehen werden. Die Herausforderung ist, einerseits möglichst schnell am Einsatzort zu sein und andererseits dabei sicher durch den fließenden Verkehr hindurchzukommen.“
Bevor es auf die Fahrbahn geht, schaut sich Elies die Fahrzeuge genau an: „Hier kann ein Schlauch herausrutschen“, bemängelt er, „dort ist ein Trennschleifer schlecht gesichert.“Gesicherte Ladung sei in der Vorbereitung das A und O, im Alarmfall müsse sich das Team auf ein ordentlich gesichertes Fahrzeug verlassen können: „Ich habe es schon erlebt, dass sich eine schlecht gesicherte Leiter bei einer Vollbremsung vom Dach gelöst hat“, berichtet er aus seiner Erfahrung, „da lag dann ein 17 Meter langer Leitersatz vor dem Löschfahrzeug auf der Straße.“
Auf dem weitläufigen Übungsplatz hat Elies für die erste Übung eine Slalomstrecke aufgebaut. Hier müssen die Teilnehmer ihre Autos um die Lübecker Hüte herum manövrieren. Wie beim berühmten Elchtest schaukeln sich die Aufbauten hoch, geraten gefährlich ins Wanken. „Wie würde wohl eure Mannschaft reagieren, wenn ihr so fahrt“, fragt Elies nach den ersten Runden, „denkt dran: Die Mannschaft muss am Einsatzort richtig arbeiten, den Männern und Frauen darf auf dem Weg dorthin nicht schlecht werden!“Er rät zu möglichst wenig Lenkbewegungen. Und dann fällt der Satz, den die Teilnehmer sich nach diesem Abend ganz sicher merken: „Bremse hart, lenke zart.“
Vor der nächsten Übung zeigt Elies scheinbar Einfaches: „Stellt den Fahrersitz in eine aufrechte Position, habt stets beide Hände am Lenkrad: Die linke Hand auf der Position ,9 Uhr’, die rechte Hand auf ,3 Uhr’.“Den Sicherheitsgurt sollte man dicht am Körper führen und dazu die Feuerwehrjacke öffnen.
Theorie und Praxis wechseln sich an diesem Abend in schöner Reihenfolge miteinander ab. Jetzt stehen richtiges Bremsen, kontrolliertes Ausweichen auf glatter Fahrbahn und sicheres Kurvenfahren auf dem Programm. Den Teilnehmern fällt es sichtlich schwer, ihre Fahrzeuge zur Vollbremsung zu zwingen. Dirk Elies mahnt erneut zur Sicherung aller Gegenstände: „Wenn jetzt eine Wasserflasche durch den Innenraum fliegt, wird sie zum kiloschweren Geschoss.“
Dann geht es auf eine nasse Fahrbahn. Wieder müssen die Fahrer „voll in die Eisen“gehen. Denn plötzlich baut sich eine Wasserwand vor ihrem Fahrzeug auf: „Ein 40-Tonner, dessen Fahrer euch weder gesehen noch gehört hat“, beschreibt Dirk Elies das Hindernis und rät mal wieder: „Bremse hart, lenke zart.“
Nach dem ersten Durchgang ist Elies enttäuscht: „Da war keine einzige Vollbremsung dabei.“Bei keinem der Feuerwehrautos habe das ABS auch nur ansatzweise regelnd eingreifen müssen. „Noch mal bitte“, sagt Elies, „und jetzt bitte voll draufhämmern.“Im zweiten Durchgang klappt es besser.
Auf einer Kurve mit glatter Fläche tasten sich die Fahrer langsam an den „Rutschpunkt“heran, wie Fahrtrainer Elies sagt: Den Punkt also, an dem das Fahrzeug nicht mehr in der Spur zu halten ist. Elies sammelt Vorschläge: Wie sollen die Fahrer dann reagieren? Gegenlenken? Langsam abbremsen? Alles falsch, sagt der Trainer: „Ein kurzer, kräftiger Bremsschlag stoppt die Fliehkraft.“Zudem müsse man behutsam an der Kurve entlanglenken. „Und jetzt“, ruft Elies, „probieren wir das gleich noch mal aus.“
Am Ende des Abends, kurz nach 23 Uhr, ziehen die Teilnehmer ihr Resümee. Manuel Freitag aus Bösenreutin sagt: „Wir haben gelernt, was wir hoffentlich nie brauchen.“Jens Wißelinck aus Wohmbrechts will die Maschinisten seiner Wehr zu mehr Bewegungsfahrten motivieren, um das Fahrgefühl und die Routine zu verbessern. Und Lisa Wagner, die schon den ganzen Abend mit ihrem Löschfahrzeug stets den kürzesten Bremsweg gemeistert hat, nimmt sich vor, mehr zu fahren: Irgendwann steht auch für sie die erste Alarmfahrt an: „Und dann will ich es meistern!“