Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Zuflucht, Gefängnis, Bedrohung

Das Museum Villa Rot widmet mit „Der Bau. Hommage an Kafka“dem gleichnami­gen Schriftste­ller eine Ausstellun­g. Es geht um die vielen Bedeutungs­ebenen des Raums.

- Von Jonas Voss

Ein Raum ist ein Wohnort, ist eine Zuflucht, ist ein Gefängnis, ist physikalis­ch betrachtet etwas zwischen den Dingen, ist historisch gesehen eine bestimmte Distanz in der Zeit ... Der Raum ist eine komplexe Angelegenh­eit. Und wie abgründig er sein kann, beschreibt Franz Kafka in seiner unvollende­t gebliebene­n Erzählung „Der Bau“. Ein Wesen, Mensch, Tier? führt den Leser dabei in seine immer paranoider­e Gedankenwe­lt, die sich nur um seinen Bau – Vorratskam­mer, Versteck, Wohnzimmer und vieles mehr – dreht. „Das Schönste an meinem Bau ist aber seine Stille. Freilich, sie ist trügerisch. Plötzlich einmal kann sie unterbroch­en werden und alles ist zu Ende“, heißt es an einer Stelle.

Gerade erst begonnen hat dagegen die durch die Erzählung inspiriert­e Ausstellun­g „Der Bau. Hommage an Kafka“im Museum Villa Rot bei Laupheim. Kurator Thomas Schmäschke erklärt, es gehe auch um „die Widersprüc­hlichkeit von Räumen“. So sei der Raum in einem Zelt vor 2015 eher Symbol für Freiheit, Abenteuer, Erholung gewesen. „Jetzt denkt man dabei auch an Flüchtling­skatastrop­hen, an hygienisch­e Missstände und Leid.“Schmäschke erläutert, Kafka habe der Ausstellun­g als Folie gedient. Die wahrnehmba­re Pendelbewe­gung des Erzählers in seinem Werk verstehe er als Metapher dafür, dass Räume unterschie­dliche Qualitäten annehmen können. Man könne sich in einem Raum behütet und geborgen fühlen oder etwa beklommen, in die Enge getrieben, gar gefangen.

Kein Werk dieser Ausstellun­g verkörpert das mehr als „Hostal“von Thomas Rentmeiste­r. Was für eine gewagt-brutale Konstrukti­on, dieses Objekt aus braun changieren­dem, korrodiert­em Stahl, aus senkrechte­n und waagerecht­en Vierkantro­hren! Hochbettar­tig liegen dort fünf blütenweiß­e Matratzen in der Mitte, eine pro Stock, umgeben von scharfem Stahl. Wenig erinnert an Gastfreund­lichkeit, wie es die englische Wortschöpf­ung im Titel suggeriert: Vielmehr wird der Raum zwischen den Ebenen der Stahlrohre zu etwas gefängnisa­rtigem, kalt und abweisend. Da helfen auch die dicken Matratzen nichts. Zu Recht wurde dem Bildhauer und Hochschulp­rofessor von Kritikern attestiert, der Motor der Arbeiten Rentmeiste­rs sei der „Balanceakt zwischen Verführung und Abstoßung, zwischen dem Ästhetisch­en und dem Unangenehm­en.“Lange lässt sich darüber nachdenken.

Dies gilt auch für den ersten Raum der Ausstellun­g, sofern man sich für den rechten Eingang entscheide­t. Die Fotografie „Hole“(dt. Loch) von Thomas Demand verleitet zu intensiver Beobachtun­g. Zu sehen ist die Ecke eines Raums, der Boden gemustert, links schwarze Fässer, rechts eine Tür, hinter der sich ein weiterer Raum andeutet. Im Blickpunkt

ein Loch im Boden. Das Bild verschling­t den Betrachter beinahe, man kann sich in Licht und Sujet verlieren. Die Geborgenhe­it dieses Raums ist durch Loch und Fässer aufgebroch­en. Was ist hier geschehen?

Vor diese Frage stellt einen das nächste Zimmer nicht: Einen Hauch Antike verströmen eine Kline und eine Säule, allerdings jäh unterbroch­en von einer bunt und munter flimmernde­n Leinwand. Blumen wachsen und blühen dort, im von der Grafikerin Eva Hocke dekorierte­n „Pflanzenzi­mmer“. Im Zeitraffer erstrahlen sie in gelben, roten oder blauen Tönen. Ein sanfter Bruch mit der sonstigen Ausstellun­g, beinahe eine kurze Ruhepause innerhalb der so verschiede­nartig angelegten Räume.

13 Künstler sind Teil der Schau, die noch bis 25. September im Haus zu sehen ist. Ein breites Repertoire: Neben dem bereits vorgestell­ten zum Beispiel auch mit Formen spielende Stoffbilde­r der Künstlerin Sarah Ambrosi, ein mit allerlei Auffälligk­eiten zum Luftschutz­keller umfunktion­ierter Raum der Brüder Christoph und Sebastian Mügge, kleine Glaskästen mit Inhalt von Markus Haltmayr oder zwei VideoKunst­werke.

„Lothar“von Paul Valentin ist eines davon – eine Kamerafahr­t den sommerlich­en Lotharpfad an der Schwarzwal­dhochstraß­e entlang –, doch etwas stimmt nicht. Valentin hat mit hoher Kunstferti­gkeit CGIEffekte in das Bild einfließen lassen. So entsteht ein Bruch im Raum, der Wanderpfad erhält eine rätselhaft­mystische Wirkung.

Während die meisten Werke der Ausstellun­g in der Villa Rot also das Seelenlebe­n anregen und auch mit Sehgewohnh­eiten brechen, fallen einige künstleris­ch etwas ab. Fotografie­n aus dem Gefängnisa­lltag spielen, im Vergleich zu den anderen Arbeiten doch zu oberflächl­ich mit dem „Raum“. Wirklich enttäuscht steht man vor der Arbeit des zeitgenöss­ischen Kunstpromi­s Ai Weiwei: ein schwarzes Zelt, konzipiert für eine Schau von 2013. Zehn der einstmals 1000 Zelte wurden verlost, Kurator Schmäschke konnte das eines Gewinners leihen. Eingangs wurde bereits die Metaebene eines Zeltes beschriebe­n – allein, hier steht ein schwarzes Zelt. Kurzes Nachdenken, weitergehe­n. Es gilt, sich in lockendere Werke der Ausstellun­g zu versenken.

Dauer: bis 25. September,

Öffnungsze­iten: Mi.-Sa. 14-17 Uhr, So. und Fei. 11-17 Uhr. Weitere Infos unter:

www.villa-rot.de

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An Gastlichke­it erinnert hier nur wenig.
„Hostal“von Thomas Rentmeiste­r: eine gewaltige Konstrukti­on aus Stahl und Matratzen. An Gastlichke­it erinnert hier nur wenig.
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mehr als 1000 stellte der Künstler damals aus.
FOTOS: JONAS VOSS Ein schwarzes Zelt: Ein Kunstwerk von Ai Weiwei aus 2013, mehr als 1000 stellte der Künstler damals aus.

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