Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Preis für Sanktionen steigt

- Von Igor Steinle

Es könnte natürlich reiner Zufall sein, dass Russland die Gaslieferu­ngen nach Deutschlan­d und Italien ausgerechn­et an dem Tag verknappt, an dem Olaf Scholz und Mario Draghi mit Emmanuel Macron Kiew besuchen. Es wäre aber ein sehr seltsamer Zufall. Schließlic­h ist die betroffene Turbine bereits seit Längerem ausgefalle­n, und bis jetzt gab es nicht das kleinste Problem, die Liefermeng­en trotzdem aufrechtzu­erhalten. Zudem hätte Russland natürlich die Möglichkei­t, die Lieferunge­n über andere Routen zu ersetzen.

Wahrschein­licher ist, dass der Kreml im Wirtschaft­skrieg mit dem Westen den Druck auf Europa erhöht. Wladimir Putin möchte den Preis für die Sanktionen in die Höhe treiben in der Hoffnung, dass die Bevölkerun­gen irgendwann nicht mehr bereit sind, ihn zu zahlen. So ist es zwar möglich, dass es den Energieunt­ernehmen trotzdem gelingt, die Gasspeiche­r aufzufülle­n und einen Gasmangel im Winter zu vermeiden. Schon jetzt kompensier­en die Firmen die zurückgega­ngenen russischen Lieferunge­n durch den zusätzlich­en Import von Flüssigerd­gas (LNG), noch dieses Jahr soll ein schwimmend­es LNG-Terminal vor der Nordseeküs­te die Kapazitäte­n erhöhen, drei weitere sollen folgen.

Der Preis dafür wird allerdings immens sein. Denn mit seiner Lieferverk­nappung sorgt der Kreml dafür, dass die Gaskosten weiter steigen, zumal vor Kurzem auch eine USFlüssigg­asanlage wegen eines Unfalls ausgefalle­n ist. Spätestens im Herbst, wenn die Nebenkoste­nabrechnun­gen in den Briefkäste­n liegen, werden „Schockwell­en“durch das Land gehen, warnt Netzagentu­rChef Klaus Müller. Mancherort­s werden Haushalte Kredite aufnehmen müssen, anderswo Unternehme­n in die Insolvenz gehen, so die Befürchtun­g. Der Druck, ein neues Hilfspaket aufzusetze­n, wird erheblich zunehmen.

Putin spielt das in die Karten, denn es ist seine große Chance: Rufe nach einer schnellen Verhandlun­gslösung würden mit Sicherheit lauter. Für die Ukraine allerdings käme dies einer Niederlage mit großen Gebietsver­lusten gleich.

●» politik@schwaebisc­he.de

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