Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Das rätselhafte Phänomen der Zeit
Friedrich E. Rentschlers Sammlung FER Collection ist zurück an ihrem Ursprungsort in Laupheim
LAUPHEIM - Private Kunstkollektionen sind eine Sache für sich. Zu Lebzeiten der Sammler wachsen sie beständig und sind bisweilen irgendwann auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Doch wenn der Besitzer stirbt, sind sich die Erben oft nicht einig, wem nun was gehört und wie mit den Schätzen umzugehen ist. Auch um die Kunstsammlung des 2018 verstorbenen Pharmaunternehmers Friedrich Erwin Rentschler, die sogenannte FER Collection, gab es anfangs einen Streit zwischen den beiden Söhnen aus erster Ehe und der zweiten Ehefrau des Sammlers, Maria Schlumberger-Rentschler. Dabei ging es unter anderem um einzelne Arbeiten und den Zugang zu den Ausstellungsräumen in Ulm. Mittlerweile ist der Konflikt beigelegt und für die Kollektion ein neuer Standort gefunden: Die Werke sind ab sofort in Rentschlers früherem Wohnhaus in Laupheim zu sehen. Die erste Schau ist dem Thema Zeit gewidmet.
Der lichtdurchflutete Raum im Dachgeschoss war ursprünglich als Atelier geplant, jetzt ist er eine Art Zeitkapsel. Auf Hanne Darbovens „Stundenplan“aus dem Jahr 1975 ist auf 53 fast besessen ausgefüllten Blättern zu beobachten, wie die Tage und Wochen vergehen. Auf On Karwaras Datumsbildern dagegen wirken die einzelnen Tage wie eingefroren. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Die Zeit ist ein rätselhaftes Phänomen. Sie prägt unser Leben, unseren Alltag und ist doch nur durch die Beobachtung von Dauer und Wandel erfahrbar. Für den 1932 geborenen Unternehmer und Kunstfreund Friedrich E. Rentschler war das Formalästhetische stets weniger interessant als künstlerische Anliegen und intellektuelle Hintergründe. Bis zu seinem Tod im Jahr 2018 hat er mehr als fünf Jahrzehnte lang hochkarätige, auf den ersten Blick oft sperrige Werke der Nachkriegsmoderne zusammengetragen. Bevor er 2009 sein Privatmuseum im Ulmer Stadtregal eröffnete, waren sie hier in seiner Laupheimer Villa versammelt, zierten Räume und Flure, Wände und Nischen.
„Diese Kunstsammlung an dem Ort zu erleben, wo sie entstanden ist, ermöglicht einen ganz anderen Zugang“, sagt Stefanie Dathe, Leiterin des Museums Ulm und mit Rentschler zu dessen Lebzeiten eng befreundet, bei der Vorstellung neulich vor Ort. Für den Geschäftsmann war das Ende der 1960er-Jahre von Architekt Günter Schöning entworfene Wohnhaus nämlich mehr als nur ein Domizil. Er sprach vom „Gehäuse meiner Gedanken und Gefühle“. Mit seinen weiten Innenräumen, fließenden Raumfolgen, überraschenden Durchblicken und großen Fenstern fügt sich der Bau harmonisch in die umgebende Hügellandschaft. Zugleich war er ein wunderschönes Gehäuse für seine Leidenschaft: die Kunst.
„Ich bin mit Kunst aufgewachsen“, erzählt Sohn Nikolaus F. Rentschler, der älteste Sohn des Sammlers aus erster Ehe und seit 1999 dessen Nachfolger als Chef der Dr. Rentschler Holding in Laupheim. Seine Begeisterung für die väterliche Sammlung hält sich jedoch in Grenzen. So kennt er zwar jedes einzelne Werk, aber keines ist ihm besonders ans Herz gewachsen.
Dafür kann er sich gut daran erinnern, wie etwa der Schweizer Niele Toroni 1976 mit dem Flachpinsel die roten Farbspuren im Wohnzimmer auf eine Leinwand und die Wand drumherum setzte oder wie Daniel Buren eine schwarz-weiß gestreifte Linie auf der mehrere Räume überspannenden Holzdecke auftrug. Und dass ihn ein Mobile aus Lichtreflektoren von Julio Le Parc als Kind dazu inspirierte, seinem Vater ein selbst gebasteltes zu schenken.
Im Ulmer Stadtregal war die Präsentation der FER Collection stets professionell betreut worden, da liegt es nahe, dass es am neuen Standort in Laupheim so weitergeht. Mit Stefanie Dathe wurde eine Lösung im Sinne des Sammlers gefunden. Zumal sie noch vor seinem Tod ein Konzept für eine Ausstellung zum Thema Zeit entworfen hatte. Die Auftaktschau „Im Spiegel der Zeit“ist aus Platzgründen mit Arbeiten von knapp 28 Künstlerinnen und Künstlern kleiner und intimer geraten als die ursprünglich für das Museum Ulm geplante. Tatsächlich ist weniger ja oft mehr. Das alltägliche und zugleich rätselhafte Phänomen der Zeit bildet dabei die lockere Klammer um die Exponate.
In den frisch renovierten Räumen der Villa gibt es jetzt eine Erdbodenstruktur auf Glas konserviert zu sehen, das Fragment eines Terrakottagefäßes mit menschlichem Körperabdruck, eine verführerisch glänzende Masse, die vermeintlich von der Wand tropft, eine Salatskulptur, eine Metallsäule mit grünem Fett überzogen. Dazu ein riesiges Schüttbild, ein Bettgestell mit Feuer, bunte Seifenblasenbilder, Miniaturporträts, Fotos von menschenleeren Räumen. Oder so manche Textplatte, die zum Nachdenken anregt. Und eine Videometamorphose des Fernsehtestbildes aus den Sechzigern. Am Ende steht im ehemaligen Hobbykeller ein Schattenspiel. Ein Sammelsurium aus Kitsch und Krempel dreht sich auf Holztellern, ihre Silhouetten zeichnen sich auf der Wand dahinter ab. Zwichendrin liegt Spielzeug aus Nikolaus F. Rentschlers Kindertagen.
Sein Vater hat seit 1960er-Jahren rund 550 Werke zusammengetragen, die viele Strömungen des 20. und 21. Jahrhunderts umfassen: Minimal Art, Konzeptkunst, Arte Povera oder Op-Art. Die Namen der Künstler lesen sich wie ein Who-is-who der Szene: Robert Barry, Josef Kosuth, Yves Klein, Salvo, Hans-Peter Feldmann, John M. Armleder, Sylvie Fleury und viele mehr. Sie alle sind in dieser Ausstellung mit mindestens einem Werk vertreten; um die 60 Exponate sind es insgesamt. „Friedrich E. Rentschler ging es um die existentiellen Fragen des Daseins, um das Wesen der Kunst an sich“, sagt Kuratorin Dathe. Soll heißen: Kunst, die Erklärungen braucht und aufgeschlossene Betrachter. Deshalb ist die Sammlung FER Collection auch nur im Rahmen von Führungen zu erleben.
Die FER Collection, Eugen-BolzStraße 11 in Laupheim, hat keine festen Öffnungszeiten, stattdessen werden geführte Besichtigungen angeboten. Anmeldung und weitere Informationen unter www.fer-collection.de