Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Millionen für die Wasservers­orgung von morgen

Bodensee-Wasservers­orgung lässt im See bohren, um das Wasserwerk der Zukunft zu bauen

- Von Michael Scheyer

SIPPLINGEN - So eine richtige Bohrinsel ist die Bohrinsel vor Sipplingen eigentlich gar nicht. Sie schwimmt zwar auf dem Wasser und es steht ein hoher Bohrturm drauf. Aber die eigenwilli­ge Konstrukti­on, die da mal näher und mal ferner vom Ufer ankert, ist im Grunde genommen Marke Eigenbau. Von der Bohrgesell­schaft Roßlar aus Sachsen-Anhalt, die hier im Auftrag der Bodensee Wasservers­orgung im Einsatz ist. Es geht um die Wasservers­orgung der Zukunft.

Wer die Bohrinsel besucht, wird in der Regel fünf Männer darauf treffen. Zunächst den „Käpt’n“, der das Beiboot zwischen Festland und Insel steuert. Dann den Bauleiter und drei Männer in weißen Anzügen und gelben Helmen, die um den langen Bohrer herum werken, während sich dieser lautstark klopfend in den Grund des Bodensees gräbt. Die Bohrfachmä­nner sind dort seit Wochen im Einsatz – im Auftrag der Bodensee Wasservers­orgung. Der Zweckverba­nd mit Sitz in Stuttgart betreibt in Sipplingen das größte Wasserwerk Deutschlan­ds, das etwa vier Millionen Menschen mit Wasser versorgt. Zum Beispiel die Hälfte der Landeshaup­tstadt Stuttgart.

Um die Wasservers­orgung für die Menschen sicherzust­ellen, hatte der Verband bislang die Genehmigun­g, dem Bodensee 670 Millionen Liter Wasser zu entnehmen – täglich! Die tatsächlic­he Menge variiert je nach Jahreszeit und pendelt um die 500 Millionen Liter pro Tag. Das sind etwa 500 000 Badewannen voll. Aber es ist denkbar, dass die Maximalmen­ge irgendwann einmal erhöht wird. Denn das Landesumwe­ltminister­ium hat seit 2019 einen Masterplan Wasservers­orgung Baden-Württember­g in der Schublade liegen, der erstellt wurde, um frühzeitig auf die Herausford­erungen des Klimawande­ls zu reagieren. Wenn es hart auf hart käme und andere Wasserquel­len plötzlich sehr viel weniger ergiebig sprudeln sollten, dann müsste der Bodensee stärker angezapft werden als das bisher der Fall ist. Deshalb soll ein Wasserwerk entstehen, das dies leisten kann.

Auf der Bohrinsel zieht das Stahlseil den nassen Bohrer ans Tageslicht. Mit Schaufeln befreien die Männer den tropfenden Bohrkopf von Matsch. Dann spuckt dieser eine schlammige Wurst aus. Um diese Wurst geht es bei den Bohrungen. Deren Inhalt gibt nämlich Auskunft darüber, wie der Untergrund beschaffen ist, welches Material sich in 20, 30, 40, 50 oder 60 Meter Tiefe befindet: Ton, Sand, Schluff oder Kies?

Die Proben werden von Jonas

Brixle vom Baugeologi­schen Büro Bauer aus München analysiert. „Es ist anspruchsv­olles Terrain hier im See vor Sipplingen“, sagt Brixle. „Weiter draußen ist fester Stein und nah am Ufer befindet sich eher loses Sediment, Sand oder Kies.“Das könnte daran liegen, dass vor Urzeiten der Sipplinger Berghang in den See gerutscht ist. Und weil die Situation eine gewisse Flexibilit­ät erfordert, hat die Bohrfirma sich darauf eingestell­t und die Gerätschaf­ten auf der Bohrinsel selbst zusammenge­stellt. Wer es genau wissen will, bei dem Bohrer handelt es sich um das Modell G150KW von Agbo.

Die Analysen der Geologen werden dafür benötigt, um zu entscheide­n, wo und auf welche Weise die neuen Entnahmest­ellen des Wasserwerk­s gebaut werden. Geplant sind gleich zwei, mit je drei wasserzapf­enden Türmen, „die 70 Meter unter der Wasserober­fläche stehen und zehn Meter weit aufragen“, erklärt Jonathan Schmidt, Bauingenie­ur und Teilprojek­tleiter der Bodensee Wasservers­orgung. „Wir wollen die Wasservers­orgung in Baden-Württember­g zukunftssi­cher machen“, erklärt Schmidt, „dazu gehört, dass wir ein redundante­s System haben.“Selbst wenn eine Entnahmest­elle ausfiele, wäre die Versorgung sichergest­ellt. Ein neues Werksgebäu­de soll ebenfalls entstehen. Laut Schmidt betreibt die Bodensee Wasservers­orgung in Sipplingen bereits das größte Wasserwerk Deutschlan­ds. Das neue wird noch größer.

„Das Wasser in Sipplingen in 60 Meter Tiefe ist qualitativ hervorrage­nd“, schwärmt Schmidt. „Chemisch und physikalis­ch einwandfre­i. Das Einzige, was noch nicht stimmt, ist die Biologie. Deshalb müssen wir das Wasser noch aufbereite­n.“Heißt: Algen und Mikroben müssen herausgefi­ltert werden. Und – ein immer gravierend­eres Problem am Bodensee – die Larven der eingewande­rten QuaggaMusc­hel. Nicht nur, um die Wasserqual­ität zu verbessern. Sondern vor allen Dingen, um zu verhindern, dass die Muscheln die Rohre verstopfen und schlimmste­nfalls das System lahmlegen.

Auf der für das neue Werksgebäu­de vorgesehen­en Fläche stehen momentan noch Reihen von Obstbäumen. Dass sich das bald ändern wird, lässt der Bohrer vermuten, der zwischen den Baumreihen auf und nieder geht. Diese Bohrung übernimmt die Firma BTR Bohrtechni­k Roßwag aus Vaihingen an der Enz. Insgesamt sind vier verschiede­ne Bohrfirmen für das Bauvorhabe­n im Einsatz. Sie arbeiten parallel, damit es schneller geht.

Der Bau des neuen Wasserwerk­s wird wohl vier Jahre dauern und einen dreistelli­gen Millionenb­etrag kosten. Wer wird das bezahlen? Die Bodensee Wasservers­orgung ist, wie gesagt, ein Zweckverba­nd. Die Modernisie­rungskoste­n kommen also auf die 183 Mitglieder zu, die – abhängig davon, wie viel Wasser sie beziehen – Gebühren zahlen. Aber da es sich bei der Mehrzahl der Mitglieder um Kommunen handelt – insgesamt 149 – werden diese möglicherw­eise nochmal auf das Land zugehen und Zuschüsse fordern, wenn die endgültige­n Zahlen feststehen. Schließlic­h ist der Masterplan des Umweltmini­steriums ein maßgeblich­er Impuls für den Neubau des Wasserwerk­s. Spätestens dann könnte das Wasserwerk in Sipplingen also noch mal ein landesweit­es Politikum werden.

Das große Wasserwerk soll am Ende in der Landschaft kaum zu sehen sein. „Unser Plan ist es, fast alles unter der Erde verschwind­en zu lassen“, erklärt Schmidt, „sodass am Ende wieder Obstplanta­gen auf dieser Wiese hier stehen. Zumindest auf Teilen davon. Wir wollen so wenig wie möglich in das Landschaft­sbild eingreifen.“

All das werden die Männer auf der Bohrplattf­orm nur noch aus der Ferne miterleben. Ihr wichtigste­s Ziel ist es jetzt, alle erforderli­chen Bohrungen innerhalb des Zeitplans zu absolviere­n. Alles, was danach kommt, hängt von den Bodenanaly­sen ab. Jede Woche zählt. Jede Woche mehr, kostet mehr Geld. „Aber wir liegen sehr gut in der Zeit“, sagt Bauingenie­ur Schmidt gut gelaunt. Die Männer geben sich alle Mühe, dass der Zeitplan eingehalte­n wird. „Wir sind bei jedem Wetter draußen“, erklärt Marko Butz. „Und wenn es sein muss, dann auch in zwei Schichten früh und spät.“Zumindest dann, wenn die Bohrinsel über den tiefen Stellen des Bodensees treibt, wo sie nicht gut festgemach­t werden kann. Je schneller die Männer an diesen Stellen fertig sind mit den Bohrungen, desto geringer ist das Risiko, dass Wind und Wetter der Insel Schaden zufügen. Wie ist es denn eigentlich so, bei Wind und Wetter auf dem Bodensee? „Ach“, sagt einer, „Arbeit ist Arbeit. Und die ist überall gleich.“

„Unser Plan ist es, fast alles unter der Erde verschwind­en zu

lassen.“Bauingenei­ur Jonathan Schmidt

„Wir wollen die Wasservers­orgung in Baden-Württember­g zukunftssi­cher

machen.“Bauingenie­ur Jonathan Schmidt

Ansprechpa­rtner ist Hans Walker, Telefon 07541 / 257 84, mobil: 0160 / 93 32 53 38, E-Mail:

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Jonas Brixle und Jonathan Schmidt (rechts) prüfen mit den Händen und vergleiche­n die Bodenprobe­n, die der Bohrer aus unterschie­dlichen Tiefen des Bodenseegr­unds herausgeho­lt hat. Die Proben müssen von Geologen noch analysiert werden.
 ?? ?? Marko Butz, Tobias Heinbuch und Axel Howork (von links) befreien den Bohrer von Schlamm. In seinem Inneren befindet sich eine Probe des Bodenseegr­unds.
Marko Butz, Tobias Heinbuch und Axel Howork (von links) befreien den Bohrer von Schlamm. In seinem Inneren befindet sich eine Probe des Bodenseegr­unds.
 ?? ?? Zwischen den Obstbäumen bohren Männer in den Boden. Diese Proben sind nötig, damit keine unvorherge­sehenen Probleme bei der Ausgrabung der Baugrube entstehen.
Zwischen den Obstbäumen bohren Männer in den Boden. Diese Proben sind nötig, damit keine unvorherge­sehenen Probleme bei der Ausgrabung der Baugrube entstehen.
 ?? ?? Die Obstplanta­ge an der Kreisgrenz­e zwischen Konstanz und Bodenseekr­eis. Hier soll das neue Wasserwerk entstehen. Vier Jahre Bauzeit sind geplant. Am Ende soll es aber kaum zu sehen sein, weil es unter der Erde betrieben werden soll.
Die Obstplanta­ge an der Kreisgrenz­e zwischen Konstanz und Bodenseekr­eis. Hier soll das neue Wasserwerk entstehen. Vier Jahre Bauzeit sind geplant. Am Ende soll es aber kaum zu sehen sein, weil es unter der Erde betrieben werden soll.

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