Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Millionen für die Wasserversorgung von morgen
Bodensee-Wasserversorgung lässt im See bohren, um das Wasserwerk der Zukunft zu bauen
SIPPLINGEN - So eine richtige Bohrinsel ist die Bohrinsel vor Sipplingen eigentlich gar nicht. Sie schwimmt zwar auf dem Wasser und es steht ein hoher Bohrturm drauf. Aber die eigenwillige Konstruktion, die da mal näher und mal ferner vom Ufer ankert, ist im Grunde genommen Marke Eigenbau. Von der Bohrgesellschaft Roßlar aus Sachsen-Anhalt, die hier im Auftrag der Bodensee Wasserversorgung im Einsatz ist. Es geht um die Wasserversorgung der Zukunft.
Wer die Bohrinsel besucht, wird in der Regel fünf Männer darauf treffen. Zunächst den „Käpt’n“, der das Beiboot zwischen Festland und Insel steuert. Dann den Bauleiter und drei Männer in weißen Anzügen und gelben Helmen, die um den langen Bohrer herum werken, während sich dieser lautstark klopfend in den Grund des Bodensees gräbt. Die Bohrfachmänner sind dort seit Wochen im Einsatz – im Auftrag der Bodensee Wasserversorgung. Der Zweckverband mit Sitz in Stuttgart betreibt in Sipplingen das größte Wasserwerk Deutschlands, das etwa vier Millionen Menschen mit Wasser versorgt. Zum Beispiel die Hälfte der Landeshauptstadt Stuttgart.
Um die Wasserversorgung für die Menschen sicherzustellen, hatte der Verband bislang die Genehmigung, dem Bodensee 670 Millionen Liter Wasser zu entnehmen – täglich! Die tatsächliche Menge variiert je nach Jahreszeit und pendelt um die 500 Millionen Liter pro Tag. Das sind etwa 500 000 Badewannen voll. Aber es ist denkbar, dass die Maximalmenge irgendwann einmal erhöht wird. Denn das Landesumweltministerium hat seit 2019 einen Masterplan Wasserversorgung Baden-Württemberg in der Schublade liegen, der erstellt wurde, um frühzeitig auf die Herausforderungen des Klimawandels zu reagieren. Wenn es hart auf hart käme und andere Wasserquellen plötzlich sehr viel weniger ergiebig sprudeln sollten, dann müsste der Bodensee stärker angezapft werden als das bisher der Fall ist. Deshalb soll ein Wasserwerk entstehen, das dies leisten kann.
Auf der Bohrinsel zieht das Stahlseil den nassen Bohrer ans Tageslicht. Mit Schaufeln befreien die Männer den tropfenden Bohrkopf von Matsch. Dann spuckt dieser eine schlammige Wurst aus. Um diese Wurst geht es bei den Bohrungen. Deren Inhalt gibt nämlich Auskunft darüber, wie der Untergrund beschaffen ist, welches Material sich in 20, 30, 40, 50 oder 60 Meter Tiefe befindet: Ton, Sand, Schluff oder Kies?
Die Proben werden von Jonas
Brixle vom Baugeologischen Büro Bauer aus München analysiert. „Es ist anspruchsvolles Terrain hier im See vor Sipplingen“, sagt Brixle. „Weiter draußen ist fester Stein und nah am Ufer befindet sich eher loses Sediment, Sand oder Kies.“Das könnte daran liegen, dass vor Urzeiten der Sipplinger Berghang in den See gerutscht ist. Und weil die Situation eine gewisse Flexibilität erfordert, hat die Bohrfirma sich darauf eingestellt und die Gerätschaften auf der Bohrinsel selbst zusammengestellt. Wer es genau wissen will, bei dem Bohrer handelt es sich um das Modell G150KW von Agbo.
Die Analysen der Geologen werden dafür benötigt, um zu entscheiden, wo und auf welche Weise die neuen Entnahmestellen des Wasserwerks gebaut werden. Geplant sind gleich zwei, mit je drei wasserzapfenden Türmen, „die 70 Meter unter der Wasseroberfläche stehen und zehn Meter weit aufragen“, erklärt Jonathan Schmidt, Bauingenieur und Teilprojektleiter der Bodensee Wasserversorgung. „Wir wollen die Wasserversorgung in Baden-Württemberg zukunftssicher machen“, erklärt Schmidt, „dazu gehört, dass wir ein redundantes System haben.“Selbst wenn eine Entnahmestelle ausfiele, wäre die Versorgung sichergestellt. Ein neues Werksgebäude soll ebenfalls entstehen. Laut Schmidt betreibt die Bodensee Wasserversorgung in Sipplingen bereits das größte Wasserwerk Deutschlands. Das neue wird noch größer.
„Das Wasser in Sipplingen in 60 Meter Tiefe ist qualitativ hervorragend“, schwärmt Schmidt. „Chemisch und physikalisch einwandfrei. Das Einzige, was noch nicht stimmt, ist die Biologie. Deshalb müssen wir das Wasser noch aufbereiten.“Heißt: Algen und Mikroben müssen herausgefiltert werden. Und – ein immer gravierenderes Problem am Bodensee – die Larven der eingewanderten QuaggaMuschel. Nicht nur, um die Wasserqualität zu verbessern. Sondern vor allen Dingen, um zu verhindern, dass die Muscheln die Rohre verstopfen und schlimmstenfalls das System lahmlegen.
Auf der für das neue Werksgebäude vorgesehenen Fläche stehen momentan noch Reihen von Obstbäumen. Dass sich das bald ändern wird, lässt der Bohrer vermuten, der zwischen den Baumreihen auf und nieder geht. Diese Bohrung übernimmt die Firma BTR Bohrtechnik Roßwag aus Vaihingen an der Enz. Insgesamt sind vier verschiedene Bohrfirmen für das Bauvorhaben im Einsatz. Sie arbeiten parallel, damit es schneller geht.
Der Bau des neuen Wasserwerks wird wohl vier Jahre dauern und einen dreistelligen Millionenbetrag kosten. Wer wird das bezahlen? Die Bodensee Wasserversorgung ist, wie gesagt, ein Zweckverband. Die Modernisierungskosten kommen also auf die 183 Mitglieder zu, die – abhängig davon, wie viel Wasser sie beziehen – Gebühren zahlen. Aber da es sich bei der Mehrzahl der Mitglieder um Kommunen handelt – insgesamt 149 – werden diese möglicherweise nochmal auf das Land zugehen und Zuschüsse fordern, wenn die endgültigen Zahlen feststehen. Schließlich ist der Masterplan des Umweltministeriums ein maßgeblicher Impuls für den Neubau des Wasserwerks. Spätestens dann könnte das Wasserwerk in Sipplingen also noch mal ein landesweites Politikum werden.
Das große Wasserwerk soll am Ende in der Landschaft kaum zu sehen sein. „Unser Plan ist es, fast alles unter der Erde verschwinden zu lassen“, erklärt Schmidt, „sodass am Ende wieder Obstplantagen auf dieser Wiese hier stehen. Zumindest auf Teilen davon. Wir wollen so wenig wie möglich in das Landschaftsbild eingreifen.“
All das werden die Männer auf der Bohrplattform nur noch aus der Ferne miterleben. Ihr wichtigstes Ziel ist es jetzt, alle erforderlichen Bohrungen innerhalb des Zeitplans zu absolvieren. Alles, was danach kommt, hängt von den Bodenanalysen ab. Jede Woche zählt. Jede Woche mehr, kostet mehr Geld. „Aber wir liegen sehr gut in der Zeit“, sagt Bauingenieur Schmidt gut gelaunt. Die Männer geben sich alle Mühe, dass der Zeitplan eingehalten wird. „Wir sind bei jedem Wetter draußen“, erklärt Marko Butz. „Und wenn es sein muss, dann auch in zwei Schichten früh und spät.“Zumindest dann, wenn die Bohrinsel über den tiefen Stellen des Bodensees treibt, wo sie nicht gut festgemacht werden kann. Je schneller die Männer an diesen Stellen fertig sind mit den Bohrungen, desto geringer ist das Risiko, dass Wind und Wetter der Insel Schaden zufügen. Wie ist es denn eigentlich so, bei Wind und Wetter auf dem Bodensee? „Ach“, sagt einer, „Arbeit ist Arbeit. Und die ist überall gleich.“
„Unser Plan ist es, fast alles unter der Erde verschwinden zu
lassen.“Bauingeneiur Jonathan Schmidt
„Wir wollen die Wasserversorgung in Baden-Württemberg zukunftssicher
machen.“Bauingenieur Jonathan Schmidt
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