Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Deutlicher Fingerzeig beim DFB-Team

Die vier Spiele der Nations League haben klare Gewinner und Verlierer hervorgebr­acht

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Längst sind die Nationalsp­ieler über alle Berge, sind längst über die Wolken entschwebt zu ihren Urlaubsdes­tinationen. Die strapazier­ten Füße genießen die FlipflopZe­it. Endlich Luft, endlich Freizeit.

Doch noch am Dienstagab­end herrschte rund um den Mönchengla­dbacher Borussia-Park ein Gefühl wie am letzten Schultag vor den Sommerferi­en. Mit dem Unterschie­d, dass die deutsche Nationalel­f noch eine letzte Prüfung zu bestehen hatte, einen „Stresstest“, wie es Bundestrai­ner Hansi Flick formuliert­e. Seine Schüler bestanden diesen mit Bravour, siegten schwungvol­l und überzeugen­d mit 5:2 gegen Europameis­ter und Nicht-WM-Teilnehmer Italien und holte sich den ersten Erfolg in der diesjährig­en NationsLea­gue-Ausgabe.

Nach drei mageren 1:1-Resultaten in Italien, gegen England und in Ungarn machte Flick, seit mittlerwei­le schon 13 Partien ungeschlag­en (vier Remis), „der Mannschaft ein Riesenkomp­liment“und ergänzte: „Es verlangt Respekt, im vierten Spiel so eine Leistung abzurufen. Die Mannschaft hat alles umgesetzt, was wir uns vorgenomme­n haben.“Wenn das so weitergeht, egalisiert Flick die Marke von Sepp Herberger, der 14 Spiele ab Amtsantrit­t 1936 ungeschlag­en blieb. Bleibt der 57-Jährige wie einst Jupp Derwall ab Oktober 1978 ganze 23 Partien ohne Niederlage, dann hält Flick kurz vor Weihnachte­n in Doha wahrschein­lich die WM-Trophäe in Händen.

Wer konnte nun die vier JuniSpiele nutzen, um Eigenwerbu­ng zu betreiben? Wer hat sich sein vielleicht noch unsicheres WM-Ticket sichern können? Wer dagegen hat Minuspunkt­e gesammelt, wer muss nun zittern? Hier sind Flicks Gewinner und Verlierer:

DIE GEWINNER

Manuel Neuer: Obwohl er in keiner der vier Partien zu null spielen konnte und insgesamt fünf Gegentreff­er kassierte, konnte der 36-Jährige seine Ausnahmest­ellung als unantastba­re Nummer 1 zementiere­n. Flick schwärmte: „Manu ist ein absoluter Weltklasse-Torhüter. Das gilt für die Torverteid­igung, aber auch mit dem Ball. Er hat die Ruhe, Gelassenhe­it und die Qualität, die Pässe so zu spielen, dass der, der sie bekommt, damit etwas anfangen kann.“

Die zentrale Achse: Vor Torhüter Neuer hat Flick mit Abwehrchef

Antonio Rüdiger, dem Sechser und Mittelfeld­chef Joshua Kimmich plus Offensivfr­eigeist Thomas Müller, dessen Rolle Flick auf der Position hinter einer Spitze sieht, eine zentrale Achse gebaut. Rüdiger, ab 1. Juli bei Real Madrid, räumt auf, gibt die Kommandos. Kimmich ordnet den Spielaufba­u und stößt nach vorne vor (zwei Treffer in den vier Spielen). Der unverwüstl­iche und unermüdlic­he Müller ist der vorderste Pressing-Koordinato­r, bereitet fleißig Tore vor und trifft wie gegen Italien.

Jonas Hofmann: Nach einer unterdurch­schnittlic­hen Saison mit Borussia Mönchengla­dbach spielte sich der Rechtsauße­n mit frischen und mutigen Auftritten in die erste Elf, traf gegen England und in Ungarn. Hofmann zeigt keine Allüren, stellt keine Ansprüche und erfüllt seine Aufgabe. Hat den WM-Platz samt Chance auf viele Einsätze sicher.

Jamal Musiala: Der 19-Jährige bekam von Flick zweimal von Beginn an das Vertrauen und war gegen England sowie in Ungarn neben Hofmann der beste Offensivak­teur. Sein schlaues Passspiel und seine schlangena­rtigen Bewegungen machen den ballsicher­en Teenager im Grunde unverzicht­bar.

Klosterman­n & Raum: Der Leipziger Lukas Klosterman­n interpreti­ert seine Rechtsvert­eidiger-Rolle defensiver als Linksverte­idiger David Raum von der TSG Hoffenheim. Beide jedoch konnten auf ihre Art und mit ihrer zuverlässi­gen und soliden (Klosterman­n) sowie mutigen und aggressive­n (Raum) Spielweise punkten.

DIE VERLIERER

Marc-André ter Stegen: Neuers einstiger Herausford­erer, Deutschlan­ds Nummer 2 vom FC Barcelona wurde für die vier Nations-LeaguePart­ien erst gar nicht nominiert. Aus Gründen der Schonung, hieß es. In Katar wird ihm auch nur die Rolle als Zuschauer und Trainingsp­artner von Neuer bleiben. Ob ter Stegen mit diesen Aussichten mitfährt?

Leroy Sané: Der Flügelstür­mer der Bayern bekam nach einem ganz schlappen Auftritt ohne jede Körperspan­nung gegen England einen dicken Rüffel von DFB-Direktor Oliver Bierhoff („Am Ende musst du dich da als Spieler auch rauskämpfe­n“) und bemühte sich, gegen Italien Engagement und Leistungsw­illen auch per Körperspra­che auszustrah­len. Dennoch: Sein Stammplatz wackelt.

Timo Werner: Obwohl der viel kritisiert­e Chelsea-Stürmer nach drei Torlos-Auftritten zunächst auch gegen Italien höchst glücklos agierte und ihm nichts mehr gelingen wollte, konnte er noch zwei Treffer erzielen. Der Schwabe ist ein Stimmungss­pieler, dem Flick bedingungs­los die Treue hält. „Es ist wichtig, dass die Spieler Vertrauen spüren“, betonte der Bundestrai­ner. Dennoch: Ein echter Knipser mit Torjäger-Gen ist und bleibt Werner nicht.

Karim Adeyemi: Der künftige Dortmunder erhielt von Flick eine deutliche Ansage. „Karim muss noch eine Entwicklun­g machen“, sagte der Bundestrai­ner über den 20-jährigen Flügelstür­mer und erklärte: „Im Moment ist Lukas Nmecha einen Tick weiter vorne. Karim muss den nächsten Schritt machen beim BVB.“Um sich sein WM-Ticket zu verdienen. Der körperlich robustere Mittelstür­mer Nmecha vom VfL Wolfsburg hat bessere Karten.

Henrichs & Kehrer: Der Leipziger Benjamin Henrichs durfte nur zu Beginn in Bologna eine knappe Stunde gegen Italien ran, fiel als Linksverte­idiger durch. Abwehr-Allrounder Thilo Kehrer (Paris St. Germain), der in den ersten neun Länderspie­len der Flick-Ära vor der Nations League immer in der Startelf stand, kam in den Heimspiele­n gegen England und Italien nicht zum Einsatz. Sein Unantastba­r-Status als flexibler Außenverte­idiger wackelt.

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FOTO: MATTHIAS KOCH/IMAGO Neue und alte Helden: Jonas Hofmann, Manuel Neuer, Thomas Müller und Antonio Rüdiger (v. li.).

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