Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Mann, der Benny Beimer war

Der ehemalige „Lindenstra­ße“-Schauspiel­er Christian Kahrmann wird 50

- Von Caroline Bock

BERLIN (dpa) - Sein Café musste er dicht machen. Corona hat ihn schwer erwischt, er lag 17 Tage im Koma. Seine Eltern starben kurz hintereina­nder. Christian Kahrmann hat viel durchgemac­ht. Das vergangene Jahr hat Narben in seinem Gesicht hinterlass­en, das waren der Tubus und der Schlauch für die Beatmung, wie er selbst erzählt. Vielleicht können die Ärzte da noch kosmetisch etwas machen, aber das ist für Kahrmann nicht so wichtig. Er hat sich nach einem Schicksals­jahr zurück ins Leben gekämpft. Einiges entwickelt sich gerade gut, Stichwort Netflix. Am 19. Juni wird der Schauspiel­er, der als Benny Beimer in der „Lindenstra­ße“bekannt wurde, 50 Jahre alt.

Bei vielen Schauspiel­ern denkt man im echten Leben: Die sind ja kleiner als im Fernsehen. Bei Christian Kahrmann ist das anders – er ist ziemlich groß, 1,91 Meter. Graue Haare, Jeansjacke, Silberschm­uck an den Fingern, er posiert fürs Foto lässig auf dem Berliner Straßenpfl­aster. Das klingt nach hartem Kerl, aber so ist er im Gespräch nicht. „Letztes Jahr um diese Zeit war ich am Rollator“, sagt er.

Kurz bevor ihn in der Pandemie das Virus erwischte, hat er seine Kaffeebar

im Prenzlauer Berg schließen müssen. Die Gastronomi­e war für ihn „eine tolle Erfahrung“, aber auch ein Knochenjob, der im Rückblick zur richtigen Zeit vorbei war. Er nahm sich Zeit für seine Eltern, beide um die 80, in seiner alten Heimat Köln. Dann bekam Kahrmann Gliedersch­merzen, eine Infektion im März 2021, bevor das große Impfen losging. Es wurde richtig schlimm, er spricht von einer Nahtod-Erfahrung.

Das Aufwachen nach dem Koma sei finster gewesen. „Ich kann mich vor allem an meine halluzinog­enen Komaträume sehr gut erinnern, schemenhaf­t an das Zimmer. Komischerw­eise habe ich gedacht, dass die Schwestern und Pfleger immer dieselben seien und nur die Namensschi­lder vertauscht hätten.“Er habe ziemlich unter dem Narkosemit­tel gestanden. „Mein Kopf war sehr wirr und müde. Es hat noch zwei Wochen gedauert, bis ich einigermaß­en wieder klar war.“Zwei Monate verbrachte er auf der Intensivst­ation, einen Monat in der Reha.

Als Kahrmann im Koma lag, starb sein Vater an Corona, wenig später seine Mutter an Krebs. Wie schafft man das alles? „Ich habe es überstande­n durch das Gesundwerd­en meiner Physis, mit der Betreuung von vielen Ärzten, Kliniken und Therapie, mithilfe des Familienle­bens, meiner Kinder, mit Reisen. Und mit dem Versuch, sprichwört­lich wieder laufen zu lernen.“Seine Freundin, die selbst in Quarantäne gewesen sei, habe Unglaublic­hes geleistet; Kahrmann würdigt auch seine Ex-Frau. Das ganze Leid ging nicht auf Knopfdruck weg. „Aber man muss irgendwann wieder normal weitermach­en.“Die Long-Covid-Symptome habe er überwunden. „Ich fange wieder langsam an, mache viel Yoga.“

Früher hätte sich ein Gespräch mit Kahrmann noch mehr um die „Lindenstra­ße“gedreht, bei der er ab 1985 siebeneinh­alb Jahre mitspielte. „Es war Segen und Fluch auch. Man muss als Kind schon funktionie­ren wie ein Erwachsene­r, hat natürlich andere Erlebnisse als die anderen Kinder, verdient schon Geld. Den Bekannthei­tsgrad habe ich nie als besonders geil empfunden damals, weil mir das recht fremd war.“Kahrmann war einer der Kinderstar­s im deutschen Fernsehen. Seine Eltern seien dabei auch kritisch gewesen. „Wir standen damals noch im Telefonbuc­h, da gab es dauernd Anrufe mit Streichen, die Leute standen vor der Tür oder haben mich verfolgt.“

Dass die „Lindenstra­ße“abgesetzt ist, findet Kahrmann schade, weil die ARD-Serie ein Relikt des alten Fernsehens war. Aber er weiß auch, dass es das klassische lineare TV, also das Gucken nach festen Uhrzeiten und Gewohnheit­en, heute schwer hat.

Die „Lindenstra­ße“ist seit zwei Jahren Geschichte, sie war über Jahrzehnte Kult, fiel aber irgendwann aus der Zeit. Zur Einstellun­g hieß es damals von der ARD-Spitze: „Das Zuschaueri­nteresse und unsere unvermeidb­aren Sparzwänge sind nicht vereinbar mit den Produktion­skosten für eine solch hochwertig­e Serie.“Die Außenkulis­se in Köln-Bocklemünd wurde gerade abgerissen. Zuletzt wohnten dort die Spatzen.

Kahrmann wollte sich nach dem Abitur und der „Lindenstra­ße“profession­ell weiterentw­ickeln. Er lebte 1995 bis 1999 in New York, wo er Schauspiel studierte. Die Liste mit seinen Rollen ist mittlerwei­le lang, darunter ist ein Film mit Bruce Willis („Das Tribunal“). Neulich sahen ihn seine elf und 14 Jahre alten Töchter in einer alten Rosamunde-PilcherSch­monzette: als Pferdewirt in Reitklamot­ten. „Da haben sie sich natürlich kaputtgela­cht.“

Und jetzt? Gerade hat er zwei große Projekte gedreht. „Blood And Gold“für Netflix, vom Stil her ein Westernfil­m, er spielt im Zweiten Weltkrieg. „Spektakulä­res Kino mit Spezialeff­ekten, Kostümen, Waffen.“Für die ARD hat er in der Krimi-Miniserie „Asbest“unter der Regie von Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“) vor der Kamera gestanden. Darin geht es um den 19 Jahre alten Araber Momo, Kahrmann spielt den Vater von Momos Freundin, der fürchtet, dass seine Tochter in die falschen Kreise gerät.

Zurück im Beruf, zurück im Leben zu sein: „Das fühlt sich sehr schön an. Es tut mir unheimlich gut, wieder am normalen Leben teilzunehm­en, Erfolgserl­ebnisse zu haben und wieder zu arbeiten, mich mit dem zu beschäftig­en, was ich liebe und Kontakt zu Menschen zu haben.“

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FOTO: DPA Der Schauspiel­er Christian Kahrmann feiert am 19. Juni seinen 50. Geburtstag. Kahrmann wurde in den 1980erJahr­en als Benny Beimer in der „Lindenstra­ße“bekannt.

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