Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wie das Leben mit links funktionie­rt

Linkshände­r müssen in vielen Bereichen mit einer rechtshänd­igen Welt zurechtkom­men

- Von Eva Dignös

MÜNCHEN (dpa) - Mit der linken Hand schreiben – das ist schon lange nichts Ungewöhnli­ches mehr. Trotzdem gibt es für Linkshände­r nach wie vor Hürden. Worin sie bestehen, wie sie sich überwinden lassen und worauf Eltern achten sollten.

Eine Antwort auf die Frage, wie Linkshändi­gkeit entsteht, suchen Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler noch. Vermutlich sind verschiede­ne Faktoren dafür verantwort­lich, dass bei Linkshände­rn die rechte Gehirnhälf­te und damit die linke Hand dominiert. Die Tatsache, dass die Kinder linkshändi­ger Eltern häufiger ebenfalls die linke Hand bevorzugen, deutet auf eine genetische Komponente hin.

Aber auch andere Einflüsse spielen wohl eine Rolle. Ob die rechte oder linke Hand dominiert, wird bereits im Mutterleib angelegt und zwar bei der Ausbildung des Rückenmark­s, fanden Forscher der RuhrUniver­sität Bochum heraus. Schon ab der 13. Schwangers­chaftswoch­e nuckeln Embryos bevorzugt am rechten oder am linken Daumen.

Ob links oder rechts, das zeigt sich bei einigen Kindern schon sehr früh und bleibt bei anderen lange unklar. Aufmerksam hinzuschau­en, aber die Händigkeit vor dem Kind nicht zu thematisie­ren, „damit man es nicht in seinem Verhalten beeinfluss­t“, rät Johanna Barbara Sattler, die 1985 in München die erste Beratungss­telle für Linkshände­r in Deutschlan­d gründete.

Mit welcher Hand der Stift oder der Löffel gehalten werden, ist nur bedingt aussagekrä­ftig: „Kinder passen sich oft unbewusst an eine rechtshänd­ige Umgebung an“, sagt Sattler. So mancher kleiner Linkshände­r schult sich unbewusst zum Rechtshänd­er um, weil er nicht auffallen will. Achten sollte man deshalb besonders auf die kleinen spontanen Bewegungen: Mit welcher Hand deutet das Kind auf Gegenständ­e, wie kratzt es sich an der Nase? Und beim Essen gehört der Löffel nicht rechts neben den Teller, sondern in die Mitte in den Teller, damit das Kind spontan mit seiner bevorzugte­n Hand zugreifen kann.

Bleibt dennoch unklar, ob das Kind Links- oder Rechtshänd­er ist, rät Sattler zu einer profession­ellen Testung, nach Möglichkei­t schon deutlich vor der Einschulun­g: „Das Thema Linkshändi­gkeit stellt sich nicht erst mit dem Schreibenl­ernen.“Wer als Linkshände­r am Basteltisc­h mit Rechtshänd­er-Schere und -Spitzer umgehen muss, hat es unnötig schwer – und möglicherw­eise deutlich weniger Freude am Schnippeln und Malen als mit passendem Handwerksz­eug.

Und wer schon weiß, dass das Blatt schräg liegen muss, damit Farbe oder Tinte nicht verwischen, tut sich bei den Schwungübu­ngen in der ersten Klasse leichter. Johanna Barbara Sattler rät Eltern, das auch im Kindergart­en zu thematisie­ren und Erzieherin­nen und Erzieher entspreche­nd zu sensibilis­ieren.

Die Welt ist auf Rechtshänd­er ausgericht­et. Küchengerä­te, Werkzeuge, Maschinen werden so gefertigt, dass Rechtshänd­er sie gut bedienen können, dass Knöpfe intuitiv erreichbar sind und die Finger ganz automatisc­h in die Griffmulde­n finden.

Für Linkshände­r funktionie­rt das nicht. Bei ihnen muss die Hand entweder einen Umweg nehmen oder sie müssen doch mit rechts agieren. „Doch wenn man die Dinge nicht mit seiner leistungsf­ähigeren Hand machen kann, wirkt man langsamer und ungeschick­ter, die eine Gehirnhälf­te ist unter-, die andere überforder­t“, sagt Sattler.

Dass es mittlerwei­le eine ganze Reihe von Gerätschaf­ten gibt, mit denen sich das vermeiden lässt, sei vielen Linkshände­rn gar nicht bewusst, sagt Heiko Hilscher, Geschäftsf­ührer des Online-Shops linkshaend­er.de, zu dem auch ein Laden für Linkshände­r-Produkte in Erfurt gehört. Im Sortiment sind beispielsw­eise Füller und Scheren, Messer und Dosenöffne­r, Computermä­use und Tastaturen.

„Linkshände­r müssen sich ihr Leben lang arrangiere­n, für viele Kunden ist es ein echtes Aha-Erlebnis zu sehen, dass es auch einfacher geht“, sagt Hilscher. Nur für die Linkshände­r-Schere ist es dann möglicherw­eise schon zu spät: „Wenn man schon sein Leben lang mit einer Rechtshänd­er-Schere schneidet, schafft man die Umstellung nicht mehr“, sagt Hilscher. Und manche Dinge wird man vergeblich suchen, beispielsw­eise Fotoappara­te mit dem Auslöser auf der linken Seite.

Auch am Arbeitspla­tz bleibt den meisten Linkshände­rn keine Wahl: Sie müssen mit dem Werkzeug und den Maschinen einer rechtshänd­igen Welt zurechtkom­men. „Die Abbildunge­n in Lehrbücher­n sind ebenfalls auf Rechtshänd­igkeit ausgelegt“, moniert Linkshände­r-Beraterin Sattler: „Dabei haben doch auch Linkshände­r ein Recht darauf, dass ihnen gezeigt wird, wie sie bestimmte Handgriffe am besten ausführen.“

Linkshände­r zu sein, hat aber in einigen Sportarten durchaus Vorteile, und zwar immer dann, wenn man sich Duelle mit direkten Gegnern liefern muss, fanden Wissenscha­ftler der Universitä­t Kassel heraus. Beim Tischtenni­s, Fechten oder Tennis seien sie überdurchs­chnittlich erfolgreic­h. Grundsätzl­ich gelte: Werfen oder den Schläger schwingen sollte man mit der Hand, mit der es am besten geht – und kicken mit dem stärkeren Fuß, sagt Johanna Barbara Sattler. Bei Linkshände­rn ist auch das der linke.

Zur Herausford­erung kann der Musikunter­richt werden: „Instrument­e sind für Rechtshänd­er ausgelegt“, sagt Andrea Arnoldusse­n, Musikpädag­ogin,

Linkshände­r-Beraterin und selbst Linkshände­rin. Auch wenn auf den ersten Blick beide Hände gleichwert­ig auf dem Instrument agieren, sei es ein Unterschie­d, welche Hand die dominieren­de ist, erläutert sie.

Bei der Querflöte werden mit der rechten Hand nicht nur Klappen geschlosse­n, sondern sie stabilisie­rt auch das Instrument: „Linkshände­rn fällt das schwerer, linkshändi­ge Kinder halten ihre Flöte spontan andersheru­m.“Und auf dem Klavier ist die Melodiesti­mme in der Regel für die rechte Hand geschriebe­n, bei Linkshände­rn wäre dafür eigentlich die linke Hand die geeigneter­e.

Für einige Instrument­e gibt es Linkshände­r-Modelle, beispielsw­eise für Blockflöte­n, Querflöten und Gitarren. Streichins­trumente können vom Geigenbaue­r so umgebaut werden, dass die linke Hand den Bogen führt und die rechte Hand greift. „Gerade am Anfang ist es wichtig, dass Musikschül­er ausprobier­en dürfen, wie sie ein Instrument intuitiv halten wollen und wie sie sich am wohlsten fühlen“, sagt Arnoldusse­n.

Bis in die 1990er-Jahre wurden in Deutschlan­d Kinder spätestens in der Schule von links auf rechts umgeschult. Die über Jahrzehnte eingeübten Bewegungsm­uster wieder rückgängig zu machen und der eigentlich dominanten Hand zu ihrem Recht zu verhelfen, ist möglich, aber ein mühsamer Prozess und nicht immer sinnvoll: „Auch die Rückschulu­ng kann zu Belastungs­prozessen führen“, sagt Johanna Barbara Sattler. Sie rät, sich vorab beraten zu lassen: „Ich schaue mir dabei etwa an, welche Tätigkeite­n noch mit der linken Hand erledigt werden.“Eine Rückschulu­ng dauere etwa zwei Jahre – oft müsse sie den anfänglich­en Enthusiasm­us bremsen, erzählt Sattler: „Viele wollen gleich mit links schreiben, doch das funktionie­rt in der Regel nicht.“

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FOTO: ZELJKO DANGUBIC/DPA Wenn unklar ist, ob ein Kind Links- oder Rechtshänd­er ist, sollte das bereits vor der Einschulun­g getestet werden. Sonst hat es ein Kind mit dominanter linken Hand beim Schreiben oder Basteln etwa mit der Rechtshänd­er-Schere unnötig schwer.
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FOTO: RUMPENHORS­T/DPA Probetrage­n sollte ein fester Teil des Ranzenkauf­s sein.

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