Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ringen um Geld für Nahverkehr

Eine Initiative sieht den Südwesten benachteil­igt – Was an den Vorwürfen dran ist

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - 25 Millionen Menschen haben im Juni ein Neun-EuroTicket gekauft – das ist mehr als jeder vierte Bürger in Deutschlan­d. Die Verkehrsun­ternehmen wollen möglichst viele davon auch nach dem Ende des Billigange­bots für Bus und Bahn als Kunden halten. Die Ticketprei­se sind dabei aber nur ein Aspekt. Viel wichtiger, da sind sich die Experten weitgehend einig, ist das Angebot – also, ob Menschen ihr Ziel überhaupt mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln erreichen können. Bund und Länder ringen gerade darum, wie viel Geld dafür in den kommenden Jahren zur Verfügung steht. Eine Initiative aus dem Bodenseera­um findet: Baden-Württember­g steht im Vergleich der Bundesländ­er schlecht da. Fragen und Antworten zum Thema.

Wer zahlt für den Nahverkehr auf der Schiene?

Für die Nahverkehr­szüge sind die Bundesländ­er zuständig, die dafür Geld vom Bund erhalten – die sogenannte­n Regionalis­ierungsmit­tel. Die Beträge, die der Bund überweist, steigen bislang jedes Jahr um 1,8 Prozent. Das reicht den Ländern aber nicht. Sie argumentie­ren, dass die Kosten etwa für Treibstoff und Personal noch stärker steigen. Außerdem soll das Angebot ja ausgebaut werden, um die Klimaziele zu erreichen – auch das kostet viel Geld. Die Ländermini­ster sind nicht gut auf Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) zu sprechen, weil sie schon für 2022 mehr Geld erwartet hätten. Der verweist darauf, dass der Bund bereits 2,5 Milliarden Euro für das Neun-Euro-Ticket und weitere 1,2 Milliarden Euro für den CoronaRett­ungsschirm für den ÖPNV gezahlt habe. Nun verhandeln Wissing und seine Länder-Kollegen über einen „Ausbau- und Modernisie­rungspakt ÖPNV“, der die künftige Finanzieru­ng regeln soll. Ergebnisse werden für den Herbst erwartet.

Vergangene­s Jahr hat BadenWürtt­emberg vom Bund Zuweisunge­n in Höhe von 1,05 Milliarden Euro erhalten, Bayern bekam 1,4 Milliarden Euro. Auf diesen Betrag legen die Länder eigenes Geld obendrauf. In Baden-Württember­g waren das 518 Millionen Euro, Bayern nennt einen Wert von 1,5 Milliarden Euro.

Die Bayern pumpen insgesamt also viel mehr Geld in den ÖPNV als die Baden-Württember­ger?

So interpreti­ert die Zahlen die „Initiative Bodensee-S-Bahn“(IBSB), in der sich unter anderem regionale Gliederung­en des Fahrgastve­rbandes Pro Bahn und ökologisch orientiert­e Verkehrscl­ubs in Baden-Württember­g, Bayern und der Schweiz zusammenge­schlossen haben. „BaHier den-Württember­g schneidet in jeder Hinsicht schlechter ab als zum Beispiel Bayern, Sachsen oder Nordrhein-Westfalen“, kritisiert IBSBGeschä­ftsführer Ralf Derwing mit Blick auf die entspreche­nden Zahlen auch aus anderen Bundesländ­ern, die kürzlich in der „Frankfurte­r Allgemeine­n“veröffentl­icht wurden. Derwing erhebt einen doppelten Vorwurf: Baden-Württember­g erhalte zu wenig Geld vom Bund und stelle darüber hinaus selbst zu wenig eigenes Geld bereit.

Wie verteilt der Bund Geld auf die Bundesländ­er?

Für die Verteilung der Regionalis­ierungsmit­tel gilt der „Kieler Schlüssel“, bei dem die Zahl der Einwohner und die Zahl der Zugkilomet­er berücksich­tigt werden. Darauf hatten 2014 vor allem westdeutsc­he Flächenlän­der gedrängt. Denn zuvor waren vor allem die Ost-Länder bevorzugt worden, die aus DDR-Zeiten ein kleinteili­ges, aber schlecht ausgelaste­tes Bahnnetz geerbt hatten. Seitdem schmilzt ihr finanziell­er Vorteil, ist aber noch vorhanden. Insofern stimmt die Kritik der IBSB, die Baden-Württember­g benachteil­igt sieht. „Wir haben schon einen höheren Anteil erkämpft, eine noch größere Umverteilu­ng war jedoch nicht erreichbar“, sagt dazu Südwest-Verkehrsmi­nister Hermann (Grüne).

Und was ist mit den landeseige­nen Mitteln?

sticht Bayern deutlich hervor, das nach eigenen Angaben mit 1,5 Milliarden Euro dreimal so viel Geld aus eigener Tasche in den Nahverkehr investiert wie Baden-Württember­g. Ein Sprecher des bayerische­n Verkehrsmi­nisters Christian Bernreiter (CSU) nennt als größten Einzelpost­en Zahlungen für Schülertic­kets, die in Bayern – anders als in Baden-Württember­g – bis Klasse 10 komplett kostenfrei sind. Allein dafür zahlte der Freistaat im vergangene­n Jahr 103 Millionen Euro. Weitere 95 Millionen Euro flossen vom Freistaat an die bayerische­n Landkreise zur Förderung der lokalen Busverkehr­e.

Das Engagement Baden-Württember­gs sei im Vergleich dazu „eindeutig zu gering“, findet ISBS-Geschäftsf­ührer Derwing. Eine Einschätzu­ng, die auch die opposition­elle SPD teilt. „Baden-Württember­g nimmt diese Aufgabe ganz offensicht­lich nicht so ernst wie andere Bundesländ­er“, kritisiert Hans-Peter Storz, Verkehrsex­perte der SPD-Landtagsfr­aktion. Er wirft der Regierung vor, eigene Projekte mit dem Geld anderer finanziere­n zu wollen. Als Beispiele nennt er die versproche­ne Mobilitäts­garantie, dank der jedes Dorf im Land von 5 bis 24 Uhr stündlich erreichbar sein soll, sowie das 365Euro-Ticket für junge Menschen. Beide Vorhaben des Landes sollen die Kommunen mitfinanzi­eren. „Aus unserer Sicht ein klarer Verstoß gegen das Konnexität­sprinzip“, sagt

Storz – also ein Verstoß gegen den Grundsatz: Wer bestellt, bezahlt.

Das Stuttgarte­r Verkehrsmi­nisterium zweifelt die Zahlen, nach denen Bayern mehr Eigenmitte­l als BadenWürtt­emberg ausgibt, grundsätzl­ich an. Diese seien nicht nachvollzi­ehbar, heißt es.

Müsste es nicht eigentlich klare, vergleichb­are Zahlen geben?

Das ist Teil des Problems. Der Bundesrech­nungshof hat gerade erst den Ländern mangelnde Transparen­z bei der ÖPNV-Finanzieru­ng vorgeworfe­n. Konkret ging es dabei um die Verwendung der Bundesgeld­er. In den aktuellen Bund-Länder-Verhandlun­gen sollen Standards verabredet werden, wie die Länder Rechenscha­ft ablegen sollen. Vorgeworfe­n wurde den Ländern unter anderem, das Geld gar nicht komplett auszugeben, sondern es erst einmal auf die hohe Kante zu legen. Das betrifft auch Baden-Württember­g, was Minister Hermann mit einer sprunghaft­en Aufstockun­g der Gelder im Jahr 2016 erklärt. Das zusätzlich­e Geld habe gar nicht so schnell ausgegeben werden können, sagt Hermann. „Ausschreib­ungen und Hochlauf des Angebotes brauchten Zeit. Deshalb gab es anfangs ‚Reste’, die in den folgenden Jahren aber gebraucht wurden. Das haben der Bundesrech­nungshof und manche in Berlin nicht verstanden.“Durch die steigenden Kosten für den Nahverkehr würden die Reste ohnehin schnell aufgebrauc­ht.

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Regionalzu­g am Bahnhof Ulm: Die Länder fordern vom Bund mehr Geld für den Ausbau des Nahverkehr­s.

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