Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Schön gefärbt und trotzdem fleckig
Die Sprache gleicht einem sehr flexiblen Baustoff. Mit ihrer Hilfe lassen sich schräge Wirklichkeiten zurechtzimmern. Sprache lässt sich drehen und beugen, ohne dass es im Gebälk kracht. Das zeigt so manche merkwürdige Wortfindung; auch in Friedrichshafen. Der „Hochpunkt“zum Beispiel. Es handelt sich dabei nicht um einen winzigen Punkt, der in der Höhe schwebt, sondern um den höchsten Punkt eines zwölfstöckiges Hochhauses, das man sich vorstellen muss; quasi unter diesen Punkt druntergeschoben. Da wirkt der Hochpunkt doch gleich viel weniger luftig – weswegen sich mancher Häfler Bürger auch stößt an diesem Pünktchen, das auf dem Schlossgarten-Areal entstehen soll. Schon verdächtig lange hat man von dieBeide sen Hochhaus-Plänen nichts mehr gehört. Was daraus wohl werden wird?
Nicht vom Hochpunkt, sondern von einem „Punkthaus“spricht dagegen die Familie Hüni bei ihrem Wohnungsbauprojekt an der Ecke Gebhardstraße/Moltkestraße. Ein Punkthaus? Was muss man sich denn darunter vorstellen? Doch wohl ein bestenfalls tennissballgroßes Häuschen, in dem eine Haselmaus ihren Winterschlaf abhält. Tatsächlich wird das Punkthaus aber acht Stockwerke hoch sein. Und nicht Mäuschen sollen sich winters darin einmummeln, sondern menschliche Mieter – sofern Putin uns auch noch den Rest des spärlich fließenden Gases abdreht.
Nun sind weder „Hochpunkt“noch „Punkthaus“Euphemismen. Begriffe stammen aus der Architektensprache. Aber weil die wenigsten Einheimischen ein Architekturstudium vorzuweisen haben, können sie eben doch euphemistisch wirken. Für alle, die die den Fremdwörter-Duden nicht durchgelesen haben: Ein Euphemismus hat den Zweck, etwas „Unangenehmes angenehm zu sagen“. Euphemismen beschönigen und verschleiern – wobei sich drüber streiten lässt, ob das Hüni-Projekt wirklich in diese Kategorie einsortiert werden sollte. Immerhin wird damit bislang fehlender Wohnraum geschaffen.
In den meisten Fällen schaffen Euphemismen aber nur Kulissendörfer. In der Müllwirtschaft etwa gehört der Begriff „Entsorgung“längst in die Tonne. Weil wir uns ja gerade nicht einer Sorge entledigen, wenn wir ein Ding, das wir nicht mehr brauchen, einfach wegwerfen. Aufs Ganze gesehen, schaffen wir uns damit im Gegenteil das Problem der Ressourcenverschwendung. Es ist an der Zeit, uns an dieser Stelle „ehrlich zu machen“, wie gemeinhin gesagt wird. Auch das lässt sich klarer ausdrücken: Hören wir auf, uns in die Tasche zu lügen.
Das findet auch Winfried Berner.
Der Unternehmensberater aus Bayern plädiert für eine ehrliche Sprache. Beschönigungen, meint er, bringen eh nichts. Weil sie für hässliche Tatsachen stehen, und diese Tatsachen drücken durch den dünnen Wortfirnis, mit dem sie überzogen werden. „Und schon bald klingt ’Freisetzungen’ um keinen Deut besser als ’Entlassungen’ – eher noch hässlicher, weil der Beigeschmack der versuchten Sprachmanipulation mitempfunden wird.“Kurzum: Bemüht man sich um ein makelloses Image, hinterlässt Schönfärberei lediglich Flecken auf der weißen Weste. Das sollten sich nicht nur Unternehmer merken. Für jedermann gilt, was Goethe sagte: „Und wollt ihr euch erklären, so nehmt nicht Brei ins Maul.“