Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Yachten für die neue Ukraine
Beschlagnahmtes Oligarchenvermögen könnte Wiederaufbau dienen – Rechtliche Hürden
BERLIN - Die Idee fasziniert viele in Europa und den USA. Während russische Artillerie ukrainische Städte zerstört, könnten die Vermögen reicher Russen, die ohnehin auf der Sanktionsliste stehen, konfisziert werden. Das Geld und der Erlös aus dem Verkauf von Villen, Yachten und Flugzeugen könnte dann der Ukraine überwiesen werden, um den Wiederaufbau zu finanzieren.
US-Präsident Joe Biden hat dies vorgeschlagen. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, will darüber nachdenken. Und der EU-Außenbeauftragte Josep Borell sagte: „Wir haben das Geld in unseren Taschen.“Ganz so einfach ist es freilich nicht. Die rechtlichen und praktischen Hürden wären beträchtlich.
Schon seit der Annexion der Krim 2014 gibt es Sanktionen der EU gegen Russland. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die EU sie massiv ausgeweitet. 1158 Personen sind inzwischen auf der EU-Liste. Darunter sind Politiker wie Präsident Wladimir Putin und alle DumaAbgeordneten, aber auch Militärs und Unternehmer.
Nach Angaben der EU-Kommission stehen auch über 30 sogenannte Oligarchen auf der Sanktionsliste. Das sind kremlnahe Unternehmer, die meist eher reich als mächtig sind. Vor allem ihnen gilt derzeit das Interesse, weil ein Großteil ihrer gewaltigen Reichtümer im Westen liegt und nun durch die Sanktionen eingefroren wurde.
Konkret heißt das, die Oligarchen können ihr im Westen angelegtes Geld weder abheben noch nach Russland überweisen. Die Villen, Yachten und Privatflugzeuge dürfen sie nicht verkaufen oder vermieten, allerdings weiterhin selbst nutzen. In einer ersten Zwischenbilanz im April stellte die EU-Kommission fest, dass Vermögenswerte von 29,5 Milliarden Euro eingefroren wurden, darunter Villen, Hubschrauber, Kunstgegenstände und ähnliches im Wert von 6,7 Milliarden Euro. Diese Summe hat sich in den letzten zwei Monaten fast verdoppelt auf rund 12,5 Milliarden Euro.
Obwohl ihr Vermögen eingefroren ist, sind die Oligarchen weiterhin die Eigentümer und sollen die Verfügungsgewalt
nach dem Ende der Sanktionen zurückbekommen. Die Idee, ihr Vermögen für den Wiederaufbau in der Ukraine zu verwenden, wäre ein radikaler Bruch mit der bisherigen Sanktionspolitik. Die Oligarchen müssten erst enteignet werden, dann könnte der Staat die Villen und Yachten verkaufen und die Erlöse schließlich zusammen mit dem konfiszierten Geldvermögen an die Ukraine überweisen.
„Das würde gegen das Grundgesetz und die EU-Grundrechte-Charta verstoßen“, sagt Rechtsprofessor und Sanktions-Experte Christian Tietje. Sein Kollege Kilian Wegner stimmt zu: „Privatpersonen allein aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder einer irgendwie gearteten Nähe zu einer Kriegspartei zu enteignen, ist mit Grund- und Menschenrechten unvereinbar.“
„Erforderlich wäre mindestens eine strafrechtliche Verurteilung im Zusammenhang mit dem UkraineKonflikt“, so Experte Tietje, „denn dann könnte Vermögen, das im Zusammenhang mit der Tat steht, vom Staat eingezogen werden.“Das sieht auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) so und verweist auf eine mögliche Beteiligung an Kriegsverbrechen. Praktisch relevanter dürften aber Sanktionsverstöße sein, etwa wenn eingefrorenes Vermögen verkauft oder vermietet wird.
Der Bundestag hat diese bereits bestehende Strafdrohung Ende Mai im „Sanktionsdurchsetzungs-Gesetz“noch ausgeweitet. Danach macht sich nun auch jede Person strafbar, die auf einer EU-Sanktionsliste steht und nicht „unverzüglich“ihr in Deutschland liegendes Vermögen bei den deutschen Behörden anmeldet. Ein Verstoß gegen diese Anzeigepflicht könnte laut Außenwirtschaftsgesetz bereits dazu führen, dass die verschwiegenen Vermögen vom Staat eingezogen, also ersatzlos enteignet werden können. Rechtsprofessor Kilian Wegner sieht hier aber Probleme mit der Verhältnismäßigkeit.
Das eigentliche Problem der Sanktionen ist aber ein praktisches: Oft ist unklar, wem eine Yacht oder eine Villa gehört. Der Oligarch, der sie nutzt, sagt meist, er sei nur Mieter. Offizieller Eigentümer ist dann in der Regel eine Briefkastenfirma im Ausland, die einer anderen Gesellschaft gehört, zum Beispiel aus einem Steuerparadies, das ungern bei Ermittlungen kooperiert.
Deshalb dürfte sich die politische Diskussion bald auf ein anderes Feld verlagern: die Enteignung der russischen Devisenreserven im Westen. Hier geht es um 196 Milliarden Euro der russischen Zentralbank, die im Westen eingefroren sind. Nicht nur die Summen sind höher, auch die rechtlichen und tatsächlichen Probleme sind geringer, weil hier keine Privatpersonen betroffen sind. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat sich jüngst „offen für die Idee“erklärt. Das Thema werde auf EU-Ebene bereits intensiv diskutiert.