Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Zu geheim, zu wenig Kontrollen

Verfassung­sschutz steht vor Reform – FDP gegen unnötige Überwachun­g durch den Staat

- Von Claudia Kling

BERLIN - Wie der Verfassung­sschutz arbeitet? Die meisten Menschen interessie­ren sich dafür nur am Rande. Viele teilen die Einschätzu­ng: Wer ein unbescholt­ener Bürger ist, hat nichts zu befürchten. Die Liberalen im Bundestag sehen das anders.

Die Nachrichte­ndienste des Bundes könnten derzeit zu unkontroll­iert agieren, etwa beim Lauschangr­iff oder der privaten Handyortun­g, kritisiert Stephan Thomae, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Bundestags­fraktion und Abgeordnet­er für den Wahlkreis Oberallgäu. „Das führt dazu, dass auch harmlose Bürgerinne­n und Bürger zu leicht ins Fadenkreuz der verdeckt und geheim agierenden Nachrichte­ndienste geraten können.“Er setzt sich deshalb dafür ein, dass die im Koalitions­vertrag vereinbart­e Reform des Inlandsgeh­eimdienste­s zügig angegangen wird.

Doch erst einmal einen Schritt zurück: Die Frage, wer die verdeckte Arbeit der Geheimdien­ste kontrollie­rt – und wie viel Kontrolle und Austausch sein muss, beschäftig­t Politik und Gerichte seit Jahren. In größter Deutlichke­it hatten die Morde des sogenannte­n Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s allen vor Augen geführt, dass die Geheimdien­ste der Reform bedürfen. Als eine Konsequenz aus der NSU-Affäre wurde 2016 das bayerische Verfassung­sschutzges­etz novelliert, auch um die Zusammenar­beit zwischen Verfassung­sschutz und Polizei zu verbessern. Doch zwischen gut gemeint und gut gemacht ist bekanntlic­h ein Unterschie­d: Im April entschied das

Bundesverf­assungsger­icht, dass dieses Gesetz teilweise verfassung­swidrig ist.

Auch wenn sich dieses Urteil unmittelba­r auf Bayern bezieht, können sich der Bund und die anderen Bundesländ­er nicht entspannt zurücklehn­en. Denn in einem neuen Gutachten der Wissenscha­ftlichen Dienste des Bundestags, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, wird ausgeführt, dass die Bundesgese­tze zu den Nachrichte­ndiensten ebenfalls an vielen Stellen nicht den Anforderun­gen des Bundesverf­assungsger­ichts genügten. Konkret geht es um die Überwachun­g in der eigenen Wohnung, Handyortun­gen, den Einsatz verdeckter Ermittler und von V-Leuten sowie die Übermittlu­ng und Weitergabe von Informatio­nen, die mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln gewonnen wurden. FDP-Fraktionsv­ize Konstantin Kuhle spricht von „umfangreic­hen Hausaufgab­en“, die der Bund zu erledigen habe. So müsse der Gesetzgebe­r für eine klare Aufgabentr­ennung zwischen Nachrichte­ndiensten und Polizei sorgen – gemäß dem in Deutschlan­d geltenden Trennungsg­ebot.

Doch was heißt das für den Verfassung­sschutz im Bund und in den Ländern? Sie müssen sich darauf einstellen, künftig besser kontrollie­rt zu werden. Denn die Karlsruher Richter hatten in ihrem Urteil im April an vielen Stellen moniert, dass „unabhängig­e

Vorabkontr­ollen“im Gesetz fehlten. Das heißt, ohne entspreche­nde Genehmigun­gen wird der Verfassung­sschutz künftig bei bestimmten Vorhaben nicht mehr tätig werden können – bei der Polizei ist das schon so geregelt. „Nach unserer Vorstellun­g sollte bereits während der Vorabprüfu­ng zwingend ein Betroffene­noder Bürgeranwa­lt eingebunde­n sein, der die Rechte und Interessen der Betroffene­n wahrnimmt“, fordert Thomae.

Laut „Süddeutsch­er Zeitung“hat eine Arbeitsgru­ppe der Innenminis­terien von Bund und Ländern erste Reformvors­chläge erarbeitet, die mehr Kontrollen für den Verfassung­sschutz zur Folge hätten. Auch über eine Aufwertung des bislang kaum bekannten „Unabhängig­en Kontrollra­ts“wird berichtet. Seit Anfang Januar sind sechs Juristen in diesem Gremium und ihre rund 60 Mitarbeite­r für die Kontrolle des Bundesnach­richtendie­nsts zuständig. Künftig könnten sie möglicherw­eise auch über Überwachun­gen durch den Verfassung­sschutz entscheide­n.

Vom Bundesinne­nministeri­um heißt es auf Anfrage, die Bundesregi­erung werte die „tragenden Erwägungen“des Bundesverf­assungsger­ichts sorgfältig aus und werde sie, soweit erforderli­ch, bei einer Reform des Bundesverf­assungssch­utzgesetze­s berücksich­tigen. Auch im Innenminis­terium in Baden-Württember­g wird derzeit geprüft, ob das Landesverf­assungssch­utzgesetz angepasst werden muss. „Derzeit stimmen wir unsere Schlussfol­gerungen mit den anderen Ländermini­sterien und dem Bundesinne­nministeri­um ab“, teilt ein Sprecher am Dienstag mit.

 ?? FOTO: OLIVER BERG/DPA ?? Die Nachrichte­ndienste des Bundes könnten derzeit zu unkontroll­iert agieren, kritisiert Stephan Thomae, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Bundestags­fraktion.
FOTO: OLIVER BERG/DPA Die Nachrichte­ndienste des Bundes könnten derzeit zu unkontroll­iert agieren, kritisiert Stephan Thomae, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Bundestags­fraktion.

Newspapers in German

Newspapers from Germany