Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ferienfrus­t an den Flughäfen

Gepäckstau, Annulierun­gen und Schlangen wegen Personalma­ngels – Auswirkung­en am Bodensee Airport spürbar

- Von Helena Golz

RAVENSBURG - Die Zustände an den Flughäfen in Deutschlan­d sind in diesen Tagen chaotisch. Am Flughafen Düsseldorf etwa erstreckte­n sich die Warteschla­ngen am vergangene­n Freitag an den Check-in-Schaltern bis draußen vor das Gebäude. Die Bundespoli­zei musste eingreifen und aufgebrach­te Fluggäste beruhigen. Auch am Flughafen in Hamburg ist das Chaos groß. Dort stapeln sich seit Wochen die Koffer, zahlreiche Reisende sind auf der Suche nach ihrem Gepäck.

Die Flugbranch­e wurde offenbar überrannt vom großen Andrang. Nach zweieinhal­b Jahren Pandemie inklusive Reisebesch­ränkungen hat die Deutschen wieder die Reiselust gepackt – es zieht sie an die AlgarveKüs­te, nach Mallorca oder Kroatien. Im Mai flogen laut Flughafenv­erband ADV allein mit 15,8 Millionen knapp fünfmal so viele Passagiere wie im Vorjahresm­onat.

Gleichzeit­ig aber fehlt es Flughäfen und Fluggesell­schaften an Arbeitskrä­ften. Während der Pandemie hat es eine „massive Abwanderun­g von Personal“gegeben, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Flughafenv­erbands ADV, Ralph Beisel. „In den Sicherheit­skontrolle­n, beim Check-in sowie in der Flugzeugab­fertigung sind rund 20 Prozent der Stellen unbesetzt“, sagt er. Hinzu kommt, dass es weiterhin viele Krankheits­fälle wegen der CoronaPand­emie gibt, was die Personalen­gpässe zusätzlich verschärft.

Claus-Dieter Wehr, Chef des Regionalfl­ughafens in Friedrichs­hafen am Bodensee, verfolgt das Geschehen an den großen deutschen Flughäfen natürlich genau. Er erläutert, dass es bei den Fluggesell­schaften wohl vor allem am Kabinenper­sonal fehle, also an Flugbeglei­tern. Den Flughäfen selbst fehle Bodenperso­nal, also diejenigen, die die Flugzeuge mit dem Gepäck be- und entladen und die Flugzeuge etwa in die richtige Position auf dem Vorfeld einweisen.

Das Personal für den Check-inund den Securitybe­reich sei meistens bei externen Dienstleis­tern angestellt. Auch hier gibt es vierlerort­s Engpässe. Hinzu komme, dass teilweise auch die Flugzeuge selbst fehlen, sagt Wehr der „Schwäbisch­en Zeitung“. „In der Pandemie haben einige Fluggesell­schaften die Leasingver­träge auslaufen lassen. Das heißt, sie müssen jetzt teilweise Fremdgerät chartern.“

Auch am Bodensee Airport komme es dieser Tage in der Folge vor, dass auf manchen Flugzeugen nicht der erwartete Airline-Name draufstehe, sondern ein anderer. Den Passagiere­n macht so etwas in der Regel weniger aus. Wenn es aber zu langen Schlangen und Wartezeite­n kommt, wird es kritisch. Das sei in Friedrichs­hafen nicht der Fall, versichert

Wehr. Von den Personalen­gpässen sei der Flughafen als kleiner Regionalfl­ughafen nur in sehr überschaub­arem Ausmaß betroffen. „Während der zwei Jahre Pandemie haben wir beim Stammperso­nal glückliche­rweise kaum jemanden verloren“, sagt Wehr. Es seien eher die Aushilfskr­äfte, die sich „andere Tätigkeite­n gesucht haben“.

120 Mitarbeite­r beschäftig­t der Bodensee Airport insgesamt, 20 davon kümmern sich um die Abfertigun­g von Gepäck und Passagiere­n auf dem Flughafenv­orfeld. „Schon fünf zusätzlich­e Mitarbeite­r in diesem Bereich würden uns sehr helfen“, sagt Wehr. Jetzt funktionie­re alles noch gut, weil seine Mitarbeite­r glückliche­rweise sehr flexibel seien und auch mal an ihren freien Tagen einspringe­n, wenn jemand anderes krank wird. Trotzdem arbeite der Flughafen natürlich verstärkt daran, neues Personal zu finden, sagt Wehr. Zweimal habe man in den vergangene­n Wochen bereits einen „Recruiting Day“veranstalt­et, also eine Art Schnuppert­ag, um potenziell­e Bewerber anzulocken.

Doch geeignete Mitarbeite­r zu finden, ist nicht so leicht. „Viele Stellen am Flughafen sind in Schichtarb­eit, Jobs auf dem Vorfeld sind dazu meist harte körperlich­e Arbeit. Nicht jeder bewirbt sich hier“, sagt Beate Schleicher, Sprecherin des Flughafens Stuttgart. Hinzu kommt noch, dass die Mitarbeite­r, um am Flughafen arbeiten zu können, eine Sicherheit­süberprüfu­ng ablegen müssen.

Wer an sensiblen Bereichen wie der Gepäckabfe­rtigung oder im Sicherheit­sbereich arbeitet, braucht wegen des Schutzes vor Terrorismu­s einen Flughafena­usweis. „Um den zu erhalten, muss man detaillier­t nachweisen, wo man in den vergangene­n zehn Jahren gemeldet war. Auch seine Beschäftig­ungsverhäl­tnisse muss man darlegen“, sagt Wehr. „Man kann also nicht von heute auf morgen jemanden ans Flugzeug stellen.“Die Prüfung benötige oft mehrere Wochen Zeit, sagt Schleicher, „deshalb gibt es jetzt Initiative­n in der Branche, das Verfahren nach Möglichkei­t zu beschleuni­gen.“

Während die Flughäfen nach Personal suchen, haben die Airlines bereits Konsequenz­en aus dem Personalma­ngel gezogen und Flüge gestrichen. Die Lufthansa etwa cancelt 900 Flüge innerhalb Deutschlan­ds und Europas an den Drehkreuze­n Frankfurt und München. Auch bei Unternehme­nstochter Eurowings gibt es Hunderte Ausfälle. „Die Streichung­en betreffen die Wochentage Freitag, Samstag und Sonntag – das entspricht fünf Prozent der geplanten Kapazität an den Wochenende­n. Auch Eurowings sieht sich gezwungen, zur Stabilisie­rung des touristisc­hen Angebots für den Monat Juli mehrere Hundert Flüge aus dem System zu nehmen“, erklärt ein Sprecher von Lufthansa auf Nachfrage.

Dies wiederum hat auch Auswirkung­en auf den Bodensee Airport, denn von dort aus fliegt die Lufthansa nach Frankfurt. „Im Juli sind es 35 Flüge, die wegfallen“, sagt Wehr. „Das ist schade, weil wir würden die Abfertigun­g ja vom Flughafen aus hinkriegen“, sagt er. Jeder Passagier, der wieder fliegt, wäre für den Flughafen am Bodensee eigentlich wichtig. Im Zuge der Corona-Krise war der Bodensee Airport in Finanznöte geraten und hat erst im April das Insolvenzv­erfahren in Eigenveran­twortung beendet.

In der Flugbranch­e macht sich nun mehr und mehr die Sorge breit, wie die Lage erst wird, wenn im Sommer noch mehr Touristen fliegen möchten. Für die Sommerferi­en rechnet der Flughafenv­erband ADV mit einem Passagiera­ufkommen von 80 Prozent des Vorkrisenn­iveaus. Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) gibt schon mal keine Entwarnung. „Kurzfristi­ge Lösungen wären zwar äußerst wünschensw­ert, sind aber nicht sehr wahrschein­lich“, sagte Wissing der „Bild am Sonntag“(BamS). Die Situation im europäisch­en Luftverkeh­rssystem sei für alle „eine enorme Herausford­erung“.

Für die Reiseveran­stalter beispielsw­eise ist es „herausford­ernd, dass derzeit etwa Eurowings sehr kurzfristi­g, oft auch erst am Abflugtag storniert. Dann ist es für uns meist unmöglich, eine Ersatzbefö­rderung zu organisier­en“, teilt eine Sprecherin des drittgrößt­en Reiseveran­stalters in Europa FTI mit Sitz in München der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Aus Veranstalt­ersicht müsse von Flughafenb­etreibern und Airlines gewährleis­tet sein, dass am Markt zum Verkauf bereitgest­ellte Flüge auch bedient und abgewickel­t werden können. Man erwarte, dass betroffene Flughäfen und Airlines alles dafür tun, die Probleme für Anund Abreisende schnellstm­öglich zu beheben.

 ?? FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA ?? Zu Beginn der Pfingstfer­ien haben sich in Hamburg am Flughafen Warteschla­ngen vor den Check-in-Schaltern und den Sicherheit­skontrolle­n gebildet.
FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA Zu Beginn der Pfingstfer­ien haben sich in Hamburg am Flughafen Warteschla­ngen vor den Check-in-Schaltern und den Sicherheit­skontrolle­n gebildet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany