Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Führung fehlt
Die Lage in der Ukraine ist nach wie vor das alles bestimmende Thema in der Politik. Wie könnte es auch anders sein? Die Folgen des russischen Angriffskrieges werden weltweit so gewaltig sein, dass vieles noch nicht absehbar ist – und das ist wahrscheinlich gut so. Bundeskanzler Olaf Scholz ging in seiner Regierungserklärung vor dem Gipfelreigen, der ihm bevorsteht, in Ansätzen darauf ein. Allerdings hat er mit keinem Wort die Sorgen in der deutschen Bevölkerung erwähnt, die mit jedem Kriegstag wachsen.
Trotz der großen Solidarität mit der Ukraine fürchten immer mehr Menschen hierzulande die Auswirkungen der Inflation. Sie erleben, wie sich nach Jahren der Niedrigzinspolitik nun ihr Erspartes schmälert, so sie denn etwas zur Seite legen konnten. Noch schlimmer ist die Situation für diejenigen, die gerade so über die Runden kommen. Die Preiserhöhungen für Lebensmittel, an der Tankstelle und fürs Heizen treffen sie besonders hart. Sollte im Winter die Energie so knapp werden, dass Firmen nicht mehr ausreichend mit Gas beliefert werden können, könnten Arbeitsplätze gefährdet sein.
Auf diese Szenarien ist die Bundesregierung nicht gut vorbereitet. Statt einen konkreten Plan zu entwickeln, wie im Sommer maximal Energie eingespart werden kann, streitet sie so lange über die Frage, Atomkraftwerke am Netz zu halten, bis sich die Entscheidung von alleine erledigt hat. Statt das Geld so gut es geht zusammenzuhalten, weil die Ausgaben in Krisenzeiten ohnehin exorbitant hoch sind, bläst sie 2,5 Milliarden Euro für ein Sommergeschenkchen namens Neun-Euro-Ticket in den Wind.
Auch dass Waffenlieferungen in die Ukraine so zögerlich voranschreiten, dass selbst Abgeordnete von Grünen und FDP irritiert sind, passt ins Bild. Dieser Koalition fehlt es an Führung – und dafür wäre der Kanzler zuständig. „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt“, hat Scholz gesagt. Dass es neben seinem Amt keine weitere Bestellung braucht, ist noch nicht bei ihm angekommen.
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