Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Jetzt ist wieder gut Kirschen essen
Netze helfen den Obstbauern vom Bodensee gegen Regen, Hagel und die Kirschessigfliege
KREIS LINDAU - Sommerzeit ist Kirschenzeit – das beliebte Steinobst schmeckt köstlich, ist gesund und kalorienarm. Viele Vitamine und Mineralstoffe stecken darin, und der für die rote Farbe der Früchte verantwortliche Farbstoff soll entzündungshemmend wirken. Die Kirschernte der Landwirte in der Region ist im vollen Gang.
„Kirschen sind meine liebsten Sommerfrüchte. Ich freue mich immer sehr, wenn die Kirschenzeit losgeht“, sagt Gerald Weber vom Obsthof Weber in Wildberg bei Weißensberg und zeigt eine Handvoll tiefrotvioletter, appetitlich glänzender Kirschen, die eine pralle Herzform haben. Er baut zwei Sorten Süßkirschen an. Im Moment ist die Kordia reif, eine recht regenfeste Sorte. Es folgt Regina, die am Baum gut ausreifen muss.
Ab ungefähr Mitte/Ende Juli werden die Sauerkirschen reif sein: Schattenmorellen, die gern zum Einwecken, für Marmelade und Kirschkuchen genommen werden. „Dafür bringen sie die perfekte Säure mit, und eine reife Sauerkirsche hat besonders viel Kirscharoma“, sagt der
Landwirt. Seine Kirschen stehen frei in einer ungeschützten Obstanlage. Noch.
Denn es werde immer schwieriger, Kirschen ungeschützt anzubauen, bis zur Ernte seien sie in latenter Gefahr: Hagel, der ganze Anlagen zerstört, und zu viel und zu starker Regen, der die Kirschen zum Aufplatzen bringt, sind das Problem von oben. „Wir stecken so viel Arbeit in unsere Kirschen. Wenn dann kurz vor der Ernte beispielsweise eine Regenphase kommt, verdirbt ganz schnell ein Teil des Ertrags oder wird unansehnlich.“
Die Kirschessigfliege – ein Einwanderer aus dem asiatischen Raum – ist das Problem von der Seite. Sie macht den Erzeugern seit gut fünf Jahren das Leben schwer. Die Insekten fliegen seitlich in die Kultur ein, wenn die Früchte reifen. Die Kirschen, die sie befällt, ruiniert sie. Deshalb plant Weber eine Regenüberdachung sowie eine Einnetzung seiner Kulturen, um das unerwünschte Insekt fernzuhalten. Feinmaschige Netze haben sich bisher als die effektivste Lösung gegen die Kirschessigfliege bewährt. Denn die habe keine natürlichen Gegenspieler.
Sein Kollege Martin Aichele hat seiner Kirschenanlage im Eichbühlweg in Hochbuch bereits den größtmöglichen Schutz angedeihen lassen. „Das nennt man Volleinnetzung“, erklärt er. „Das ist der Maßstab dessen, was aktuell möglich ist und es nimmt so viel Druck und Sorge von uns“, sagt der Landwirt. Das Klima im Bodenseeraum sei optimal für den Obstanbau. „Wir erleben aber auch wettermäßige Kapriolen“berichtet er. „Wir können super Ware produzieren, aber wir müssen sie schützen.“
Wie ein großer Pavillon spannt sich das Hagelnetz über seine Kirschbäume und die Seiten sind mit einem engmaschigen Netz verschlossen. Nur die Regenfolie, die unterhalb des Hagelnetzes eingebaut wird, fehlt noch. Martin Aichele beschreibt, wie zu viel Regen, den Kirschen schadet. „Am schlimmsten ist es, wenn im Kelch um den Stiel herum das Wasser länger stehen bleibt. Die Kirsche saugt sich damit voll und beginnt irgendwann zu platzen.“Zu sehen ist das an den halbkreisförmigen Rissen um den Stiel, die sicher jeder kennt.
Die Kirschessigfliege, die ihm sonst viele Kirschen verdorben hat, ist in diesem Jahr kaum ein Problem für ihn – obwohl durch das feuchtwarme Wetter die besten Bedingungen für das Insekt herrschen. „Durch das Netz verringert sich der Schädlingsdruck um etwa 70 Prozent – ganz vermeiden kann man die Kirschessigfliege nicht. Dadurch kann ich die Kirschen länger am Baum reifen und wachsen lassen“, sagt er und erklärt auch gleich, warum ihm das so wichtig ist.
Aichele zeigt ein dickes Büschel Kordia – die momentan einen Durchmesser von etwa 26 Millimeter haben. 30 Millimeter sind sein Traumziel. Diese vier Millimeter würden gut zehn Prozent mehr Ernteertrag bringen. Außerdem: „Wir sind Direktvermarkter. Unsere Kunden wollen die großen Kirschen. Dann sind sie glücklich. Das ist uns wichtig.“Bei guter Qualität liege das Kilo Kirschen im Schnitt bei etwa zehn Euro. Martin Aichele erwartet eine gute Ernte. Anders als Webers haben Aicheles keinen Hofladen, sie stehen samstags auf dem Wochenmarkt in Lindau, mittwochs auf dem Lindauer Abendmarkt am Kleinen See und am Freitag in Blaichach.
Martin Aichele freut sich, dass sein Sohn Jo den Familienbetrieb eines Tages übernehmen möchte. Der 20-Jährige tritt in seine Fußstapfen, macht gerade die Meisterschule für Obstbau, und untersucht für seine
Meisterarbeit den Ertrag bei unterschiedlicher mechanischer Bodenbearbeitung. Worüber Aichele sich ärgert: Ein Handwerker kalkuliere seine Aufträge, darf sagen, wie viel er dafür ansetzen muss, um wirtschaftlich zu arbeiten. In der Landwirtschaft sei das anders: „Uns werden vom Handel die Preise diktiert, je nach Marktlage und unabhängig von unseren Kosten.“
Deshalb seien Direktvermarktung und die Kunden, die diese schätzen und nutzen, überlebenswichtig für die Landwirtschaft. Aichele ist sich sicher: „Ohne die Direktvermarktung würden immer mehr kleine Landwirtschaften verschwinden.“