Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das Leid der lebenden Medizinlie­feranten

In Asien gilt Bärengalle als Heilmittel – Tausende Tiere fristen deshalb in Farmen ein qualvolles Leben – Nur in Vietnam ist dies mittlerwei­le verboten

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In den 1980er-Jahren allerdings begann man damit, Bären einzufange­n und ihnen in Gallefarme­n die Gallenflüs­sigkeit über Jahre hinweg „abzuzapfen“. Die Extraktion von Bärengalle verursacht den Tieren unvorstell­bares Leid und zudem gesundheit­liche Langzeitsc­häden. Die Methoden der Gallensaft­gewinnung reichen von „freiem Tropfen“, bei dem die Gallenflüs­sigkeit durch eine ständige Öffnung in der Gallenblas­e abtropft, bis hin zu fest appliziert­en Kathetern. Presskäfig­e und Metalljack­en, in die die Tiere eingezwäng­t werden, waren weit verbreitet. In anderen Fällen wuchsen die in der Wildnis gefangenen Bärenjunge­n buchstäbli­ch in ihre winzigen Käfige hinein. Das ging so weit, dass sich ihre Körper über die Jahrzehnte an die Gitterstäb­e anpassten. Angefangen in Südkorea, übernahmen China, Vietnam und andere asiatische Länder diese qualvolle Methode.

Im staatlich-amtlichen Arzneibuch Chinas wird Bärengalle empfohlen, weil es „Hitze in der Leber beseitigt“, „Erleichter­ung bei

Krämpfen und krampfarti­gen Anfällen schafft“und angeblich die „Sehschärfe verbessert“. 28 Arten von in China patentiert­en Medikament­en enthalten Bärengalle, außerdem wird sie in Shampoos, Gesichtscr­eme, Halsbonbon­s und Zahnpasta angeboten. Auch in der westlichen Medizin wird Bärengalle verwendet, obwohl der Handel mit Bärenprodu­kten nach dem Washington­er Artenschut­zgesetz-Übereinkom­men streng verboten ist. Allerdings wird nun vermehrt auf synthetisc­he Alternativ­en aus dem Labor gesetzt. Pro Jahr werden aus dem Gallensaft eines Bären rund zwei Kilogramm Gallenpulv­er gewonnen. Ein Kilo kostet in China etwa 350 Euro. Eine ganze Gallenblas­e erzielt 7500 Euro.

Je hungriger und durstiger ein Tier ist, desto mehr Gallensaft scheidet es aus. Wohl auch aus diesem Grund werden viele Bären am Rand des Verdursten­s und Verhungern­s gehalten. Insgesamt produziere­n die Bärenfarme­n jährlich etwa 7000 Kilo dieses Stoffes. Die Tierschutz­organisati­on „Vier Pfoten“ist aktiv vor Ort: Im Dezember 2017 wurde der 3,6 Hektar große Bärenwald Ninh Binh eröffnet. 48 Kragen- und Malaienbär­en haben hier in den vergangene­n fünf Jahren ein artgerecht­es Zuhause gefunden.

„Man sieht es Hoa Tra an, dass sie falsch ernährt wurde und sich nicht viel bewegen konnte“, erklärt Tierärztin

Johanna Painer. „Unter ihren Pfoten hat sich die Haut nicht abgelaufen, sondern sie ist immer weitergewa­chsen. Auch die Krallen der Bärin sind viel zu lang und wachsen teilweise schon in die Haut hinein.“Die Zähne seien ebenfalls in einem schlechten Zustand: „Sie wird lediglich mit Fischmehl gefüttert worden sein. Ohne Gemüse oder anderes hartes Futter konnte sie ihre Zähne durch Kauen nie säubern. So hat sich dicker Zahnstein abgesetzt und die Zähne darunter sind zum Teil stark entzündet.“Auch Hoa Lan ist in keinem guten gesundheit­lichen Zustand, als die Tierschutz­organisati­on sie untersucht. „Sie haben wahrschein­lich nie Wasser zu trinken gekriegt“, sagt die Tierärztin. Das sehe man daran, dass beide recht fett sind. „Ein Kamel kann Wasser in seinem Fettbuckel speichern, und die beiden Bären haben Fett angesetzt, um die wenige Flüssigkei­t zu speichern, die sie aus dem Fischmehl-Gemisch gewinnen konnten. Es ist wichtig, dass die beiden Bärinnen schnellstm­öglich von hier wegkommen“, fügt Painer hinzu. Die Menge an Käfigen in dem Raum und ein großes Schild an der Fassade des Hauses verrät: Tran Van Trach machte gute Geschäfte mit dem Bärengalle­nsaft und hatte früher weit mehr Bären als diese beiden.

Stolz hält er eines der Fläschchen zwischen seinen Fingern, in denen er die Flüssigkei­t verkauft hat. „Das Geschäft lohnt sich heute nicht mehr“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Früher habe ich für den Inhalt eines solchen Fläschchen­s zehn Dollar bekommen, heute sind es nur noch zwei. Die Bärinnen haben nun Glück im Unglück: Ihr Besitzer gibt sie freiwillig ab und lässt sie nicht einfach verhungern, wie es auf vielen geschlosse­nen Bärengalle­farmen der Fall ist.

Die Tierrechtl­er in Asien, allen voran die Tierschutz­organisati­on Animals Asia Foundation (AAF), haben schon viel erreicht: So ist in Vietnam der Verkauf und Konsum der Bärengalle bereits seit 2005 verboten. Zudem startete die vietnamesi­sche Regierung eine Kampagne, bei der alle Bären in Gefangensc­haft mit Mikrochips versehen und registrier­t wurden. Damit wollte man sicherstel­len, dass keine neuen Bären mehr auf den Farmen aufgenomme­n werden.

Weitere Informatio­nen: www.vier-pfoten.de, www.bearsanctu­ary-ninhbinh.org

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Im Bärenwald Ninh Binh können gerettete Tiere artgerecht leben.

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