Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wasserstoff im Praxistest
In Öhringen bei Heilbronn will der Verteilnetzbetreiber Netze BW 30 Prozent Wasserstoff in die Gasversorgung von Privathaushalten mischen
ÖHRINGEN (dpa) - Auf einer „Insel“in Öhringen wird die Zukunft erprobt. Hier im Hohenlohekreis trennt die EnBW-Tochter Netze BW in den kommenden Wochen einen Teil des Erdgasnetzes ab und bespeist dann rund 30 Haushalte mit einem Gasgemisch, dessen Wasserstoffanteil nach und nach auf 30 Prozent erhöht werden soll. Es ist den Angaben nach ein in dieser Form deutschlandweit einmaliger Testlauf für einen möglichen Energiemix der Zukunft. Nicht zuletzt die am Donnerstag ausgerufene Alarmstufe im „Notfallplan Gas“hat noch einmal deutlich gemacht, dass dringend Alternativen zum Erdgas her müssen.
Wasserstoff liegt dabei nicht erst seit der Invasion Russlands in die Ukraine im Fokus von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Allein in Baden-Württemberg wird seit Jahren dazu geforscht – unter anderem, weil er Kraftstoffkandidat für Fahrzeuge ist. Die Landesregierung hat im Dezember 2020 eine „WasserstoffRoadmap Baden-Württemberg“beschlossen und will die Technologie im Südwesten ausbauen.
Das Umwelt- und Energiewirtschaftsministerium geht davon aus, dass der Wasserstoffbedarf in BadenWürttemberg bis 2035 auf mehr als 16 Terawattstunden steigt. Erzeugt werden kann er durch die sogenannte Elektrolyse. Bei der chemischen Reaktion wird Wasser mit Hilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Stammt der Strom aus erneuerbaren Energien, spricht man von grünem Wasserstoff.
Nach dem Regelwerk des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches können heute bis zu zehn Prozent
Wasserstoff in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden. Im nächsten Schritt soll diese Menge auf 20 Prozent erhöht werden. In Öhringen will Netze BW schon jetzt beweisen, dass ein Wasserstoffanteil von 30 Prozent möglich ist. Und zwar ohne dass die Infrastruktur aufwendig angepasst werden muss.
Alle betroffenen Anwohner seien informiert, sagt Projektleiterin Heike Grüner. Geräte wie Gasherde und -heizungen seien extra überprüft worden, die Hersteller mit im Boot. Auch Installateure, Schornsteinfeger und die Feuerwehr wissen Bescheid.
Dabei ist Grüner zuversichtlich, dass der Versuch klappt: In einer ersten Phase hat Netze BW den Wasserstoffanteil in der eigenen Gasversorgung am Standort Öhringen schon auf 30 Prozent heraufgeschraubt. „Ohne Probleme“, wie Grüner versichert.
30 Prozent seien ein recht hoher Anteil, ordnet eine Sprecherin des
Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ein. Mit der Quote arbeitet auch Gasnetz Hamburg beim Projekt „My Smart Life“. Das Gasgemisch wird dort aber in Blockheizkraftwerke gespeist und fließt nicht wie bei der „WasserstoffInsel Öhringen“direkt in die Häuser.
Deutlich mehr Projekte testen laut BDEW mit einem Wasserstoffanteil von 20 Prozent. Das Thema ist en vogue, derzeit laufen den Angaben nach zahlreiche Projekte. Das
Spektrum sei sehr breit: von klein bis zum industriellen Maßstab, mit Forschungscharakter oder praxisreif, mit engem Fokus oder über viele Wertschöpfungsstufen hinweg.
„Die Wasserstoffprojekte auf Ebene der Verteilernetze tragen dazu bei, dass sowohl lokale als auch regionale und in beiden Fällen oftmals dezentrale Versorgungsstrukturen für Wasserstoff entstehen“, erklärt die Verbandssprecherin. „In den Gasverteilernetzen wird die Energiewende vorangebracht.“Keine Rolle spiele dabei die Größe – ob Einzelprojekte mit wenigen Kunden und einigen Hundert Metern Wasserstoffleitungen, lokale Inselnetze oder große Wasserstoffcluster mit mehreren Hundert Kilometern Leitungen. Wichtig für den weiteren Hochlauf seien die Erfahrungen, die man dabei sammeln könne.
In Öhringen gab es laut Projektleiterin Grüner bislang keine Bedenken der Anwohner. Dazu bestehe auch kein Anlass: Die Explosionsgefahr sei bei einem Wasserstoffanteil von 30 Prozent mit der von reinem Erdgas vergleichbar. Mittelfristig müsse geschaut werden, wie Gaszähler die jeweilige Wasserstoffquote erfassen können – denn H2 verbrennt etwas anders als Erdgas. Das sei wichtig für die Abrechnung, sagt Grüner.
Die Klimaschutzidee beim grünen Wasserstoff ist zudem, überschüssige Energie aus erneuerbaren Quellen, die je nach Wind- und Wetterlage entsteht, für die Spaltung der Wassermoleküle zu nutzen. „Im Moment schmeißen wir die im Grunde weg“, sagt Grüner. Der bei der Elektrolyse erzeugte Sauerstoff wiederum könnte beispielsweise für den medizinischen Einsatz in Krankenhäusern genutzt werden.