Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
350 Millionen reichen nicht für Gürtelbahn
Verbandsdirektor rechnet mit Kostensteigerung – DB Netz liefert Ergebnisse am 13. Juli
BODENSEEKREIS - Ausbau und Elektrifizierung des maroden Abschnitts der Bodenseegürtelbahn zwischen Friedrichshafen und Radolfzell werden voraussichtlich teurer als angenommen. Angesichts der allgemeinen Baupreissteigerungen werden die bislang veranschlagten 350 Millionen Euro für die Vorzugsvariante sicher nicht ausreichen. Das bestätigte der Geschäftsführer des Interessenverbandes Bodenseegürtelbahn (IV), Regionalverbandsdirektor Wolfgang Heine, der SZ.
Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember ist der Bahnabschnitt zwischen Friedrichshafen und Radolfzell komplett abgehängt. Veraltete Infrastruktur und die eingleisige Strecke sorgen ohnehin schon für viele Probleme. In einem Qualitätsranking landete sie Ende 2021 auf dem letzten Rang im Land (Platz 29 von 29). Nach der Elektrifizierung der Südbahn wird der Verkehr nun gebrochen. Das heißt: In Friedrichshafen müssen aus Ulm kommende Fahrgäste von Zügen mit E-Loks in solche mit Dieselloks umsteigen. Mit der Fertigstellung der Hochrheinbahn (Basel - Radolfzell) ab frühestens 2026 wird sich das Problem weiter verschärfen. „Wir haben im Bereich Friedrichshafen - Radolfzell ein Dieselloch“, sagt Heine.
Ausbau und Elektrifizierung der Strecke werden vom IV, dem die beiden Landkreise Konstanz und Bodensee mit den betroffenen Kommunen angehören, vorfinanziert. Kosten von 10,6 Millionen Euro sind bislang angefallen, 25 Prozent davon übernimmt das Land. Man stehe jetzt am Ende der Vorplanung, sagt Heine. Das heißt, dass die sogenannte Leistungsphase zwei demnächst abgeschlossen sein soll. Kleine Verzögerungen habe es bei der Planung gegeben, sagt Heine auf Nachfrage, man sei aber noch im Rahmen. Die SPDBodenseekreistags-Fraktion hatte mit einem Antrag im Mai einen Bericht über die Leistungsphase zwei konkret eingefordert. Die Planer von DB Netz wollen dem IV ihre Ergebnisse jetzt am 13. Juli in Konstanz präsentieren. Der Termin wird mit Spannung erwartet, denn dann gibt es „belastbare Aussagen, wie der Ausbau vonstattengehen könnte“, wie Heine sagt.
Nach Abschluss der Vorplanung ist auch klar, welche Kosten genau entstehen. Bislang werden dabei zwei Modelle betrachtet. Die sogenannte Vorzugsvariante, die stündlich einen schnellen und halbstündlich einen Regionalzug in jede Richtung vorsieht. Sowie die Referenzvariante mit stündlich je einem schnellen und einem langsamen Zug. Bei der bislang favorisierten Vorzugsvariante standen zuletzt Kosten von 350 Millionen Euro im Raum (Referenzvariante 270 Millionen). Diese Zahl hatte der frühere IV-Geschäftsführer Wilfried Franke im Mai 2020 gegenüber der SZ genannt. „Die Zahl ist nicht mehr aktuell“, sagt Heine jetzt. Die stark steigenden Baukosten würden auch an der Bodenseegürtelbahn nicht vorbeigehen. „Wir erwarten eine Steigerung“, sagt Heine, der aber dem Termin mit DB-Netz nicht vorgreifen will und keine neue Zahl nennt. Laut dem Hauptverband der Bauindustrie haben die Preise allein vom November 2020 bis November 2021 um 11,8 Prozent zugelegt. Die neue Kostenschätzung dürfte also Richtung 400 Millionen laufen.
Nach Abschluss der Vorplanung ist auch klar, welche Maßnahmen für den Ausbau konkret nötig sind. Für die Vorzugsvariante geht man bislang von 16 Kilometern an zwei Gleisabschnitten aus, im Gespräch ist hier der Abschnitt zwischen Markdorf und Salem oder der Bereich
Friedrichshafen-Manzell. Bahnhöfe müssen ausgebaut oder verlängert (zum Beispiel Markdorf), Technik und Stellwerke erneuert werden, teilweise neue Haltepunkte eingerichtet werden. „Die ganze Bodenseegürtelbahn muss auf ein höheres Infrastrukturniveau kommen“, sagt Heine.
Mit dem Einstieg in die Planungsphasen drei und vier soll dann noch dieses Jahr die Entscheidung fallen, welche Variante geplant werden soll. Für Heine liegt es nahe, „dass man die Vorzugsvariante ins Rennen schickt“, wie er der SZ bestätigt. Gut für das Projekt sei, dass das Land sich mittlerweile einen höheren Standard für den ÖPNV auf die Fahne geschrieben hat. „Wir könnten diesen mit der Vorzugsvariante fahren“, sagt Heine, der davon ausgeht, dass die Region dann zumindest für den Betrieb der Strecke später keine Zahlung mehr leisten muss. Diese Phasen drei und vier werden deutlich mehr als die ersten beiden kosten, am Ende soll der Planfeststellungsbeschluss stehen. Wieder muss die kommunale Ebene in Vorleistung gehen.
Was die Investitionen betrifft, bleiben nach aktuellem Stand (von 350 Millionen Euro) rund 70 Millionen, also 20 Prozent, auf der kommunalen Ebene hängen. „Ein immenser Invest“, sagt Heine. Man müsse über die Gesamtfinanzierung noch mal mit dem Land sprechen. „Intensive Gespräche“kündigt er nach Abschluss der Vorplanung an. Darauf zu drängen, dass das Projekt, ähnlich wie die Südbahn, in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen und damit komplett vom Bund bezahlt wird, macht für Heine keinen Sinn. In den beiden Landkreisen wurden im vergangenen Jahr entsprechende Resolutionen verabschiedet. „Chancenlos“, sagt Heine jedoch, der Bund sehe das Projekt als regionales an, auf dem ja auch kein Fernverkehr nach seiner Definition laufe. Man riskiere eher einen jahrelangen Zeitverlust. Die Bodenseegürtelbahn sei ein klassisches GVFG (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz)-Projekt, bei dem sich Bund, Land und Kommunen die Kosten teilen.
Grundsätzlich sieht Heine weiter alle Chancen für das Projekt. Im Koalitionsvertrag der Landesregierung sei ausdrücklich hinterlegt, dass es bis Ende des Jahrzehnts realisiert werden soll. „Das ist ein Wort“, sagt Heine, „und ein richtig gutes Signal.“Die Finanzierungstöpfe seien außerdem gut gefüllt. „Es wird Stand heute nicht am Geld scheitern.“Die Rahmenbedingungen seien weiter gut.