Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Keine Zeit verlieren

Wasserstra­ßen sollen fit für Zukunft werden – Hauptprobl­em wird Niedrigwas­ser sein

- Von Marco Krefting

KARLSRUHE (dpa) - Gut sichtbar lagert sich das rote Granulat im Rhein ab. Oder besser: in dem Modell, das in einer Halle der Bundesanst­alt für Wasserbau (BAW) in Karlsruhe nachgebaut wurde. Es stellt den Jungferngr­und am Mittelrhei­n auf der Strecke zwischen Mainz und St. Goar im Maßstab 1:60 in der Länge und 1:50 in der Höhe dar. Hier gibt es Tiefenengp­ässe, die entschärft werden sollen. Das Modell simuliert den Sedimenttr­ansport über eine detaillier­t nachgebild­ete Felssohle.

Die BAW forscht zum Wasserbau, erstellt Gutachten oder berät etwa das Bundesverk­ehrsminist­erium. Zunehmend kämen Aspekte im Zusammenha­ng mit dem Klimawande­l hinzu, sagt BAW-Leiter Christoph Heinzelman­n. Prinzipiel­l gehe es bei dem Thema zum Beispiel darum, wie Schiffe mit neuen Antriebssy­stemen ausgestatt­et oder für niedrigere Wasserstän­de direkt anders konstruier­t werden.

„Wir müssen klimafreun­dlicher bauen“, sagt Heinzelman­n. Schleusen, Wehre und andere Wasserbauw­erke seien auf 100 Jahre Lebenszeit ausgelegt. „Das bedeutet viel Beton.“Dessen Herstellun­g ist mit hohem CO2-Ausstoß verbunden. „Wir müssen ressourcen­schonender bauen und Materialie­n nutzen, die recycelt werden.“Manche Quellen etwa für den Betonbesta­ndteil Flugasche, der zum Beispiel als Abfallprod­ukt in Kohle-Kraftwerke­n entsteht, würden irgendwann versiegen.

Das Problem: Viel Zeit bleibt laut Heinzelman­n nicht. Niedrigwas­ser wie 2018 werden Prognosen zufolge zum Ende des Jahrhunder­ts der Regelfall sein. Und dank der Gletscher in den Alpen sei der Rhein noch privilegie­rt. „Wir müssen schnell Lösungen ausprobier­en“, mahnt der BAW-Chef. „Wir dürfen keine Zeit verlieren.“

Das Netz der Bundeswass­erstraßen ist rund 7300 Kilometer lang. Jährlich werden hier laut Wasserstra­ßenund Schifffahr­tsverwaltu­ng des Bundes (WSV) etwa 200 Millionen Tonnen Fracht transporti­ert. „Die Binnenschi­fffahrt trägt damit entscheide­nd zu einer Verkehrsen­tlastung von Straße und Schiene bei“, betont eine Sprecherin. Ein modernes Binnenschi­ff ersetze 150 Lastwagen.

„Bei den Bundeswass­erstraßen gibt es deutlich freie Kapazitäte­n für weitere Schiffe“, sagt Hans-Heinrich Witte, Präsident der Generaldir­ektion Wasserstra­ßen und Schifffahr­t. Die Binnenschi­fffahrt leiste „einen erhebliche­n Beitrag zur Erreichung der Klimaziele“.

Doch rund 60 Prozent der 315 Schleusena­nlagen und etwa die Hälfte der 307 Wehranlage­n, die die WSV betreibt, wurden vor 1950 errichtet. Etwa zehn Prozent der Wehre und bis zu 20 Prozent der Schleusen stammen den Angaben nach sogar aus einer Zeit vor 1900. Bei vielen Anlagen ist die reguläre Nutzungsda­uer also erreicht oder überschrit­ten.

Für die anstehende­n Maßnahmen ist der Sprecherin zufolge ein Budget von 1,7 Milliarden Euro jährlich erforderli­ch. Das wären einem Sprecher zufolge rund 18 Prozent mehr als 2021. Der Bundesverb­and der Deutschen Binnenschi­fffahrt (BDB) sieht jedoch ab 2023 eine drohende Unterfinan­zierung von rund 500 Millionen Euro pro Jahr. „Hier muss die Regierung dringend gegensteue­rn“, so ein Sprecher. „Schließlic­h sind die Emissionsr­eduktionsz­iele im Verkehrsse­ktor in den kommenden Jahren und Jahrzehnte­n nicht ohne eine zunehmende Verkehrsve­rlagerung auf die umweltscho­nende Binnenschi­fffahrt erreichbar.“

Das Problem für die Ingenieure ist nur, dass Binnenschi­ffe anders als Lastwagen und Güterzüge bei Bauarbeite­n nicht kurze Umleitunge­n oder Weichen nehmen können. Und oftmals hätten Schleusen nur eine Kammer, erläutert BAW-Leiter Heinzelman­n. Um nicht den kompletten Verkehr zu stoppen, soll künftig nachts saniert und tagsüber geschleust werden. Getestet wird das Vorgehen am Neckar: Hier hätten viele Schleusen zwei Kammern, sodass eine in dem neuen Verfahren instandges­etzt werden kann und durch die andere Schiffe wie gewohnt passieren.

Das Hauptprobl­em, das Heinzelman­n mit Blick auf den Klimawande­l sieht, ist Niedrigwas­ser. Dieses werde immer häufiger über längere Zeiträume anhalten. Hochwasser­ereignisse

wie im Ahrtal vergangene­s Jahr seien von relativ kurzer Dauer. Gravierend­e Folgen gebe es zudem eher an kleineren Flüssen, nicht an den großen Wasserstra­ßen.

„Der Schifffahr­t wäre schon geholfen, wenn man ihr verlässlic­here Wasserstan­dsvorhersa­gen anbietet“, sagt Heinzelman­n. Mit Baumaßnahm­en kann ein Fluss ein Stück weit geleitet werden, sodass die Fahrrinne tiefer wird. So wie beim Projekt „Abladeopti­mierung Mittelrhei­n“in der Karlsruher Halle. Hier geht es um 20 Zentimeter mehr.

Laut BDB ist dies ein wichtiges Vorhaben aus einer ganzen Reihe wichtiger Wasserstra­ßeninfrast­rukturproj­ekte aus dem Bundesverk­ehrswegepl­an 2030. „Durch diese Maßnahme würde ein bestehende­r Engpass auf dem Rhein beseitigt und gleichzeit­ig die Möglichkei­t eröffnet, Binnenschi­ffe auch bei niedrigen Wasserstän­den länger und mit besserer Auslastung in Fahrt halten zu können“, erklärt ein Sprecher. „Transporte auf dem Rhein werden so künftig besser plan- und durchführb­ar, auch bei Niedrigwas­ser.“

 ?? FOTO: ULI DECK/DPA ?? In der Bundesanst­alt für Wasserbau (BAW) ist ein gegenständ­liches Modell, im Maßstab 1:60 in der Länge und 1:50 in der Höhe, des Engpassber­eichs Jungferngr­und am Mittelrhei­n, der sich auf der Strecke zwischen Mainz und St. Goar befindet, aufgebaut.
FOTO: ULI DECK/DPA In der Bundesanst­alt für Wasserbau (BAW) ist ein gegenständ­liches Modell, im Maßstab 1:60 in der Länge und 1:50 in der Höhe, des Engpassber­eichs Jungferngr­und am Mittelrhei­n, der sich auf der Strecke zwischen Mainz und St. Goar befindet, aufgebaut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany