Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Vom Knochen zum Smartphone

Vor 30 Jahren läuteten Mobiltelef­one eine neue Epoche im Kommunikat­ionszeital­ter ein

- Von Christoph Dernbach

DÜSSELDORF/BONN (dpa) - Der Start des modernen Mobilfunks vor 30 Jahren im Sommer 1992 war eine schwierige Geburt. Der damalige Postminist­er Christian SchwarzSch­illing (CDU) hatte bereits im Dezember 1989 die ersten Lizenzen für digitale Mobilfunkn­etze an die Deutsche Telekom (D1) und den Mannesmann-Konzern (D2) vergeben. Es dauerte aber etliche Monate, um den Betriebsbe­ginn der beiden D-Netze technisch vorzuberei­ten, Funkmasten und Sender aufzubauen. Vor allem fehlte es aber an geeigneten Mobiltelef­onen.

Zum 1. Juli 1992 lud die Telekom dann endlich zum offizielle­n Start seines D1-Netzes ein. Mannesmann Mobilfunk wollte ursprüngli­ch zwei Wochen später mit dem Sendebetri­eb beginnen. Doch in einen PR-Coup wurde der D2-Start spontan auf den 30. Juni 1992 vorgezogen, um in den Geschichts­büchern einen Tag vor dem Wettbewerb­er Telekom zu stehen. Dabei konnte „D2-Privat“seinen Kunden zu diesem Zeitpunkt selbst gar keine Mobiltelef­one verkaufen. Der erste D2-Kunde kam aus Bochum und hatte sich zuvor in einem Elektronik­geschäft eines der ersten „Handys“nach dem GSM-Standard besorgt, ein Ericsson GH-172.

Am Markt setzte sich dann aber bald der legendäre „Knochen“durch, das Motorola Internatio­nal 3200. Die heutige Technik-Chefin von Vodafone Deutschlan­d Tanja

Richter erinnert sich: „Das klobige Telefon wog mehr als 500 Gramm, hatte eine Akkuleistu­ng für maximal 120 Minuten Gesprächsz­eit und kostete rund 3000 DM. Für damalige Verhältnis­se war das ein kleines Vermögen.“Richter hat ihre Karriere bei Mannesmann Mobilfunk begonnen und kam mit der Firmenüber­nahme im Jahr 2000 zu Vodafone. Die frühe Begeisteru­ng für den digitalen Mobilfunk konnten anfangs nur wenige Menschen in Deutschlan­d teilen, auch weil die Preise sehr happig waren. Telekom und Mannesmann waren mit Minutenpre­isen von knapp unter zwei D-Mark oder heute rund ein Euro an den Start gegangen. Die Grundgebüh­r lag bei mehr als 70 D-Mark. Heute sind Flatrates üblich, die nur einen Bruchteil kosten.

Im April 1993, also ein knappes Jahr nach dem Start, waren aber immerhin schon mehrere Hunderttau­send Teilnehmer in den beiden DNetzen unterwegs. Und das Wachstum hätte noch viel dynamische­r ausfallen können, wenn es nur genügend Handys gegeben hätte. Der damalige Technik-Chef von Mannesmann CTO Georg Schmitt löste die Abkürzung für den digitalen Mobilfunks­tandard GSM (Global System for Mobile Communicat­ions) in den Stoßseufze­r „God send Mobiles!“auf. Doch die Mobiltelef­one fielen nicht vom Himmel, sondern mussten bei Motorola, Ericsson, Nokia, Siemens und anderen ergattert werden.

Doch immerhin sanken die Preise. Und ein neuer Dienst machte die Mobiltelef­one insbesonde­re für junge Leute attraktiv. Die Rede ist von SMS (Short Message Service) mit seinen 160 Zeichen. Die erste SMS mit der Botschaft „Merry Christmas“ging am 3. Dezember 1992 an den Vodafone-Mitarbeite­r Richard Jarvis. 1994 führten Mannesmann und die Telekom SMS für ihre Kunden ein. Fünf Jahre später verschickt­en die Deutschen bereits rund 3,6 Milliarden SMS. Der Duden gab sich geschlagen und nahm das Wort „simsen“in seinen Wortschatz auf.

Allein im Jahre 1999 verdoppelt­e sich die Zahl der Mobilfunkk­unden in Deutschlan­d auf 48 Millionen. Der Erfolg kostete Mannesmann schließlic­h die Eigenständ­igkeit: Der britische Riese Vodafone übernahm die Düsseldorf­er im Jahr 2000 nach einem mehrmonati­gen Abwehrkamp­f zum Preis von 190 Milliarden Euro.

Mitte der 1990er-Jahre wurden zwei weitere Mobilfunkl­izenzen in Deutschlan­d vergeben – es entstanden die E-Netze mit den Anbietern E-Plus und Telefónica O2. E-Plus kam 2014 unter das Dach von Telefónica, sodass sich aus dem Duopol der Anfangsjah­re inzwischen ein Kopf-an-Kopf-Rennen von drei Anbietern entwickelt hat. Und mit der Versteiger­ung der Lizenzen für die fünfte Mobilfunk-Generation (5G) betrat 2019 mit 1&1 Drillisch ein neuer Player die Bühne, der aber bislang noch kein eigenes Netz aufgebaut hat. Der Markt insgesamt ist riesig: Im vergangene­n Jahr stieg die Zahl der Mobilfunka­nschlüsse in Deutschlan­d auf 161 Millionen.

Als ein einschneid­ender Moment in der Geschichte des digitalen Mobilfunks erwies sich die Premiere des iPhones im Jahr 2007. Das erste iPhone funkte zwar nur im vergleichs­weise lahmen EDGE-Netz. Das „JesusPhone“von Apple-Mitbegründ­er Steve Jobs verhalf aber mit innovative­n Funktionen und einer neuartigen Bedienober­fläche den Smartphone­s zum Durchbruch. Das iPhone veränderte auch die Machtverhä­ltnisse – von den Providern hin zu den Gerätehers­tellern aus den USA und Asien. Mit dem ersten Samsung Galaxy begann 2009 das ewige Duell zwischen dem iPhone und dem Google-Betriebssy­stem Android.

Nicht weniger einschneid­end auf das Geschäft der Mobilfunkp­rovider wirkte sich auch der Erfolg der kostenlose­n Messenger wie Whats App, Facebook Messenger, Apple iMessage, Signal, Telegram, Line und Threema aus. Sie haben der SMS schon vor Jahren den Rang abgelaufen und ein Milliarden­geschäft zunichte gemacht.

Daher müssen die Mobilfunkg­esellschaf­ten heute nicht nur im Kerngeschä­ft, sondern auch in anderen Bereichen ihren wirtschaft­lichen Erfolg suchen. Immerhin spülen die Web-Shops und Ladenlokal­e von Telekom, Vodafone und Telefónica, die Mobiltelef­one und die damit verbundene­n Zusatzleis­tungen wie Handyversi­cherungen vertreiben, viel Geld in die Kasse.

Gleichzeit­ig nehmen die Provider einen neuen Anlauf, am wirtschaft­lichen Erfolg der großen Internetko­nzerne angemessen beteiligt zu werden. In einem gemeinsame­n Appell forderten die Deutsche Telekom, Vodafone, Telefónica und der französisc­he Provider Orange Mitte Februar die großen Plattforme­n auf, die Kosten der europäisch­en digitalen Infrastruk­tur teilweise zu übernehmen. Der Datenverke­hr nehme jährlich um bis zu 50 Prozent zu – und über 70 Prozent des gesamten Datenverke­hrs entfielen auf Videostrea­ming, Spiele und soziale Medien. Diese Plattforme­n würden von stark skalierend­en Geschäftsm­odellen zu geringen Kosten profitiere­n. Doch ob die Provider irgendwann mal Geld von den großen Internetpr­ovidern sehen werden, steht in den Sternen.

 ?? FOTO: ACHIM SCHEIDEMAN­N/DPA ?? Die ersten Mobiltelef­one, die vor 30 Jahren eine neue Epoche im Kommunikat­ionszeital­ter einleitete­n, waren noch so schwer wie ein Vollkornbr­ot. Am Anfang wussten die Verbrauche­r noch nicht viel damit anzufangen. Das sollte sich aber schnell ändern.
FOTO: ACHIM SCHEIDEMAN­N/DPA Die ersten Mobiltelef­one, die vor 30 Jahren eine neue Epoche im Kommunikat­ionszeital­ter einleitete­n, waren noch so schwer wie ein Vollkornbr­ot. Am Anfang wussten die Verbrauche­r noch nicht viel damit anzufangen. Das sollte sich aber schnell ändern.

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