Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Im Sog der Emotionen
Berührende Uraufführung und beschwingter Mozart im Wolfegger Kirchenkonzert
Von Katharina von Glasenapp
WOLFEGG – Solche Musik hat man in der Wolfegger Kirche St. Katharina noch nicht gehört: Nicht nur, weil Manfred Honeck, der künstlerische Leiter der Internationalen Wolfegger Konzerte, Mozarts beschwingte „Krönungsmesse“mit einer Uraufführung kombinierte, sondern weil das neue Werk sowohl durch seine Aussage als auch in seiner Vertonung unter die Haut ging und das Publikum tief bewegte.
Eine der beliebtesten Messen Mozarts, die sogenannte „KrönungsMesse“KV 317 eröffnete das Konzert. Sie stammt aus seiner Salzburger Zeit, entstand für das Osterhochamt des Jahres 1779, später brachte Mozart sie bei den Krönungsfeierlichkeiten 1791 in Prag zur Aufführung: Mit Soloquartett, Chor, Streichern, Oboen, Trompeten und Pauken ist sie gebührend festlich, gleichzeitig erfüllt sie die Vorgaben von Fürsterzbischof Colloredo, dem Salzburger Dienstherrn, nach gebotener Kürze. Wie schon am Abend zuvor im Rittersaal mit Beethovens erster Sinfonie und dem Violinkonzert animierte Manfred Honeck die Deutsche Radio Philharmonie zu einem flexiblen, fein phrasierenden, leuchtenden Spiel.
Die Augsburger Domsingknaben – in der Einstudierung von Stefan Steinemann – begeisterten wie bereits einige Male in Wolfegg mit ihrem hellen, beweglichen Chorklang, Honecks rasche Tempi in Gloria und Credo beflügelten die rund 50 Knabenund Männerstimmen. Das Soloquartett wurde von der weichen Sopranstimme von Christina Landshamer überstrahlt – im Agnus Dei schenkt ihr Mozart eine Arie, die an die der Figaro-Gräfin erinnert. Die Mezzosopranistin Nina Maria Edelmann, Tenor Martin Mitterrutzner und der Bariton Paul Armin Edelmann fügten sich zu einem harmonischen Ensemble, das Mozart vor allem im „Et incarnatus est“, im „Benedictus“und im „Dona nobis pacem“einsetzt.
Das Geläut der Glocken und eine lange Stille folgten der Uraufführung des Oratoriums „Bevor wir schweigen“, in dem der Leipziger Komponist, Dirigent und Pianist Florian Frannek sieben letzte Briefe von Gefangenen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu einem ebenso erschütternden wie hoffnungsvollen Ganzen verbunden hat. Der Bariton Paul Armin Edelmann, die Augsburger Domsingknaben, die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern und Dirigent Manfred
Honeck verwirklichten das Werk, das Leichtigkeit und Schwere, Beklemmung und Hoffnung auf erstaunliche Weise zusammenbringt. Bei allem Grauen, von dem die Abschiedsbriefe von gläubigen Christen und verfolgten Juden aus Gefängnissen, Vernichtungslagern und dem Ghetto erzählen, beeindrucken sie in ihrer Glaubenskraft und Hoffnung.
Bläser und Schlagwerk, das zum Teil auf einer der Seitenemporen postiert war, dazu Streicher und den Chor setzt Florian Frannek in seinem Oratorium ein. Die Solostimme des Erzählers wechselt zwischen Sprechen, Sprechgesang, Rezitationston und Singen, führt in der Höhe durchaus gewollt an die Grenzen: Paul Armin Edelmann meistert diese anspruchsvolle Partie auf bewegende Weise, muss einerseits distanziert berichtend bleiben, andererseits emotional beteiligt sein, aber jegliches Pathos vermeiden. Florian Frannek hat die sieben letzten Briefe – man denkt an die sieben letzten Worte Jesu, die von einigen Komponisten vertont wurden – als unterschiedliche musikalische Charaktere gefasst. Aus einem Cellosolo mit zerbrechlich wirkenden Streichern und Bläserfetzen hebt sich a cappella der Chor mit einem poetischen Text aus dem Brief von Klaus Bonhoeffer an seine Kinder: Der Text ist mahnend, moralisch, tröstend, die Stimmen der Buben berührend in ihrer Reinheit, später mischen sich fratzenhaft wie innere Stimmen dröhnende Männerstimmen dazu.
In den anderen Briefen spiegeln sich Verzweiflung, aber ebenso gläubige Zuversicht und Hoffnung in der Verbindung des Solisten mit dem Chor. Oft ist der aufgeteilt in Oberund Unterstimmen, bringt wie kommentierend Texte aus dem Hohen Lied oder von Friedrich Nietzsche oder mündet in einem hymnischen Choral. Komponist Florian Frannek ist ja selbst im Thomanerchor Leipzig ausgebildet worden und die Augsburger Domsingknaben berühren in der Reinheit ihres Klangs.
Herausgehoben ist der Brief von Samuel Tytelman aus dem Warschauer Ghetto, den der Komponist als grimassierenden Totentanz mit Klezmermusik in einem scheinbar fröhlichen Scherzo-Ton vertont. Im Zusammenwirken von Chor, Orchester, Solist und natürlich Manfred Honeck, der sich der Komposition mit tiefer emotionaler Beteiligung angenommen hat, entsteht eine ungeheure Sogkraft, die das Publikum zum Abschluss dieses Konzertwochenendes hineinzieht in eine spirituelle Musik der besonderen Art.