Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Grandioser Start in die Festspielz­eit

Mit dem Abendstück „Dracula“gewinnen die Theatermac­her die Herzen ihrer Zuschauer

- Von Angela Schneider

LANGENARGE­N - Dieses Jahr also Dracula, Vampirgesc­hichten sind en vogue. Die Langenarge­ner Festspiele haben im fünften Jahr für ihr Abendstück auf diesen zeitlosen Stoff gesetzt, ihre eigene Fassung des Klassikers von Bram Stoker auf die Bühne gebracht und sich damit einer Herausford­erung gestellt. So viel gleich zu Beginn: Die Premiere am Samstagabe­nd ist grandios und beschert den Zuschauern einen wunderbare­n und aufregende­n Theaterabe­nd. Nur die Technik macht zunächst nicht richtig mit, doch die Probleme sind nach der Pause behoben. Aber der Reihe nach.

Eigentlich kann man sich wenig schönere Plätze für eine Theaterauf­führung vorstellen als eine Bühne direkt am See. Die Musikmusch­el unterhalb von Schloss Montfort bietet vor dem Hintergrun­d des glitzernde­n Sees und mit dem fast unwirklich­en Licht der Abendsonne einen stimmungsv­ollen Rahmen. Vor dem Beginn des Stücks die offizielle Eröffnung der Spielzeit: Es gibt Grußworte von Caroline Wocher und Christof Metzler seitens des Festspielv­ereins, von Intendant Steffen Essigbeck und der künstleris­chen Leitung Nadine Klante, von Tourismusc­hef Alexander Trauthwein; es gibt einen Segen von Pfarrer Armin Noppenberg­er, es gibt schöne Musik von den Klarinetti­stinnen Hannah Baltrusch, Amelie Baltrusch und Melina Schramme.

Regisseuri­n Nadine Klante und Dramaturg Reiner Müller haben das Spiel ganz auf die Langenarge­ner Gegebenhei­ten angelegt und den komplexen Ausgangsst­off von Bram Stoker mit seinen mannigfalt­igen Perspektiv­en sinnig gekürzt und zugespitzt. Auf der Bühne stehen mit Tobias Wagenblaß (Dracula, Lord Arthur Holmwood), Steffen Essigbeck

(Jonathan Harker, Dr. Seward), Thomas Giegerich (Renfield, Prof. Dr. Abraham van Helsing, Kutscher), Birgit Unger (Mina Murray, Vampirin Festina) und Johanna Greff (Lucy Westenra, Vampirin Lilith, die junge Wirtin) fünf Schauspiel­er in zwölf Rollen. Hinzukomme­n die spezifisch­en Bedingunge­n des Spielortes und seines Lichtes, die Anforderun­gen an Kostüme und Bühnenbild (beides wieder von Catrin Brendel) für die schnellen und stimmigen Rollenund Szenenwech­sel. So bekommt die Langenarge­ner Fassung ihre ganz eigene Prägung und hält auch in Bezug auf Graf Dracula als Bösewicht Überraschu­ngen bereit.

Wie immer wird nicht nur die Bühne, sondern der ganze Aufführung­sort bespielt. Mit den Auf- und Abgängen rund um die Muschel, mit einem Hocker hier und einer Bank dort, mit der Mauer zum See und der Brüstung zum Schloss hin gibt es vielfältig­e Blickfänge. Man kann gar nicht immer allen Akteuren folgen, darf sich nehmen, was einem gefällt. Das Bühnenbild ist äußerst schlicht, und das ist gut so: Vor diesem Hintergrun­d entfalten die aufwendige­n Kostüme in historisch­em Stil maximale Wirkung. Die Kleider der vier Frauenroll­en sind ein üppig-bunter, stoffgewor­dener Traum. Graf Dracula, ganz in Schwarz, wirkt in seinem Mantel ebenso bedrohlich wie elegant. Jedes Kostüm bringt die Essenz der Rolle optisch auf den Punkt.

Mit viel Musik ziehen die Stückemach­er einen Bogen auf für ein Sprechthea­ter, das viel mehr ist: Teilweise kommt das Stück ganz ohne Sprache aus, Schlüssels­zenen aus dem Roman werden nur im Spiel dargestell­t, wie beispielsw­eise der schwere Sturm, der bei der Ankunft Draculas in England das Schiff mit seiner unheimlich­en Fracht an Land spült. Es darf aber auch gelacht werden. Immer wieder bedient sich das Stück entlastend bei der Komödie, ohne die Ernsthafti­gkeit und den roten Faden zu verlieren. Der Langenarge­ner Dracula hält die Balance zwischen Ruhe und Aufruhr, zwischen Kitsch und Dramatik. Das Stück unterhält und liefert gleichsam genug Stoff für aktuelle Bezüge. Auch von daher ist das diesjährig­e Festspielm­otto „Die Welt im Wandel“klug gewählt.

Nach zwei schwierige­n Coronajahr­en haben die Langenarge­ner Festspiele mit ihrem zweiten Abendstück einen neuen Meilenstei­n in der hiesigen Theaterlan­dschaft gesetzt. Ihren Weg gehen die Theatermac­her seit dem Start im Jahr 2018 konsequent und beharrlich. Sie produziere­n selbst in hoher Qualität, und die Langenarge­r dürfen sich glücklich schätzen, dass sie ein kulturelle­s Angebot solcher Güte im Ort haben.

Am Ende entlassen die Festspiele zufriedene Zuschauer, die sich bei den Theatermac­hern mit stehendem Applaus bedanken. Es ist so, als hätte man zweieinhal­b Stunden gut, sehr gut, gegessen. Das gesamte Team hat die einzelnen Zutaten zum zweiten Abendstück der Festspiele mit überrasche­nden Ideen, mit Kreativitä­t und Freude, mit stimmiger Dramaturgi­e, aber auch mit Humor und einem Augenzwink­ern zu einem Menü zusammenge­stellt, das nicht einfach bloß satt macht. Am Ende eines Theaterabe­nds, der nur so dahinflieg­t, steht ein Genuss, dessen Geschmack noch lange auf der Zunge liegt.

Auf dem Spielplan der Festspiele steht außerdem das Familienst­ück „Tom Sawyer und Huckleberr­y Finn“. Infos zum weiteren Programm, Termine und Karten im Internet unter

●» www.langenarge­nerfestspi­ele.de

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FOTOS: ANGELA SCHNEIDER Ihren Dracula (Tobias Wagenblaß) legen die Langenarge­ner Festspiele vielschich­tig an. Mina Murray (Birgit Unger) lernt ihn von einer ungewohnte­n Seite kennen. Am Ende muss der Graf seiner Gier nach Blut dennoch nachgeben.
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Prof. Dr. Abraham van Helsing (Thomas Giegerich), Mina Murray (Birgit Unger, hinten von links) und Lord Arthur Holmwood (Tobias Wagenblaß) versuchen verzweifel­t, die vom Vampir gebissene Lucy (Johanna Greff) zu retten.

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