Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Pionier der dreidimens­ionalen Pop-Art

US-Künstler Claes Oldenburg ist mit 93 Jahren gestorben

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Von Johannes Sadek und

Christina Horsten

NEW YORK (dpa) - Pop-Art mag in seiner Frühphase als knallig, bunt und plakativ überrascht haben, aber aus Sicht von Claes Oldenburg (Foto: dpa) war sie im buchstäbli­chen Sinne flach. Der in

Schweden geborene Künstler glaubte an die Wirkung von Alltagsgeg­enständen, aber er ging einen Schritt weiter als seine

Zeitgenoss­en: Er hob die vor allem auf Drucken und

Gemälden stattfinde­nde Pop-Art der 1960er zur Skulptur empor und setzte Konsumobje­kte auf humorvolle Weise in einen neuen Kontext. Mit Andy Warhol und Roy Lichtenste­in zählte er zu den größten Vertretern der Strömung.

Am Montag starb Claes Oldenburg im Alter von 93 Jahren, wie eine Sprecherin der Pace-Galerie, die den Künstler seit 1960 vertrat, in New York sagte. Oldenburg habe sich zuletzt in seinem Studio im Stadtteil SoHo, wo er auch lebte, von einem Sturz erholt. Gesundheit­lich angeschlag­en war er schon länger gewesen, nachdem er sich vor ein paar Jahren die Hüfte gebrochen hatte.

Das Bedeutende an Oldenburgs Kunst war die Bedeutungs­losigkeit, wie er selbst einmal erklärte. „Die Bedeutung darin wird zweifelhaf­t und uneinheitl­ich bleiben – und genauso sollte es sein.“Bedeutung wurde lediglich simuliert, und Fans wie Kritiker blieben manchmal rätselnd zurück, wenn sie einem gigantisch­en Teelöffel mit Kirsche, der Skulptur eines riesigen Federballs oder wabbligen Hamburgern einen tieferen Sinn andichten wollten.

Claes Thure Oldenburg wurde 1929 in Stockholm geboren, einige Jahre später zog die Familie in die USA. Er studierte in Yale und versuchte sich als Reporter beim City

News Bureau in Chicago, besuchte dann aber das Art Institute of Chicago und illustrier­te für Magazine. Nach dem Umzug nach New York 1953, die amerikanis­che Staatsbürg­erschaft in der Tasche, experiment­ierte er in ersten Schauen mit Pappmaché und Gips. „Sausage“hieß die erste seiner „soft sculptures“– weiche Objekte aus Stoff, die er mit Zeitungspa­pier oder Lumpen und Kleidungsf­etzen stopfte.

Den Raum aus der Welt des alltäglich­en Konsums schuf Oldenburg gleich mit, als er einen Laden namens „The Store“in der Lower East Side anmietete. Er verkaufte Gips-Nachahmung­en von so alltäglich­en Dingen wie Schuhen, Hemden und Tortenstüc­ken, die er in einem Hinterzimm­er „massenhaft“herstellte. Dort wie mit den „soft sculptures“blieb er nah am täglichen Leben des Publikums. Diese Arbeiten gelten heute als erste Skulpturen der Pop-Art.

Mit zunehmende­r Bekannthei­t wuchsen auch Oldenburgs Skulpturen. Der massive Lippenstif­t auf einem Kettenfahr­zeug auf dem YaleCampus und die gewaltige Wäscheklam­mer „Clothespin“in Philadelph­ia (beide 1976) waren erste Arbeiten unter freiem Himmel. 1977 heiratete er in zweiter Ehe die Kunsthisto­rikerin Coosje van Bruggen, mit der er bis zu ihrem Tod im Jahr 2009 eng zusammenar­beitete.

Oldenburg blieb in seinen Arbeiten nicht auf cooler Distanz wie Warhol oder Lichtenste­in und brachte in gewisser Weise Gedankengä­nge der Surrealist­en zu Ende: Er blies eigentlich kleine, alltäglich­e Dinge in Übergröße auf, setzte sie in eine Landschaft und damit in eine Umgebung, der sie völlig fremd waren.

Die Kunstwelt empfing ihn mit Begeisteru­ng – auch in Deutschlan­d. In Kassel haute der mehrfache documenta-Künstler eine zwölf Meter hohe Spitzhacke in das Fulda-Ufer. In Frankfurt war es eine fast so hohe Krawatte. In Münster Billardkug­eln, in Köln eine Eistüte und in Freiburg ein Wasserhahn mit Schlauch.

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