Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Alles außer Landespoli­tik

Gas, Strom, Inflation und Russland prägen Niedersach­sens Wahlkampf – Vorsprung von SPD-Ministerpr­äsident Weil vor der CDU schmilzt

- Von André Bochow und Igor Steinle ●

HANNOVER/BERLIN - Nein, dass die SPD in Niedersach­sen den Ministerpr­äsidentenp­osten abgeben muss, glaubt Saskia Esken wirklich nicht. Man könne den Wahlplakat­en vertrauen, auf denen steht, das Land wäre in guten Händen, sagt die SPDVorsitz­ende. In den Händen von Stephan Weil. Der führt die niedersäch­sische Landesregi­erung seit dem Februar 2013 an. Auf einem seiner Wahlplakat­e steht: „Keine Zeit für Sprüche“. Weil hat erst mit den Grünen koaliert und nach der Wahl 2017 mit der CDU. „Die Wählerinne­n und Wähler wissen was sie an Stephan Weil haben“, sagt Esken. „Und an der SPD in Niedersach­sen sowieso.“

Die Umfragen sehen das etwas anders. Die Zustimmung­swerte für Weil sind deutlich höher als die für seine Partei. Sie sind auch viel größer als die für die Bundes-SPD und für seinen direkten Konkurrent­en Bernd Althusmann (CDU), der in der Landesregi­erung den Posten des Wirtschaft­sministers bekleidet. „Natürlich spielt der Landesvate­r eine große Rolle“, gibt Esken zu. Das hätten ja auch die Wahlen in anderen Bundesländ­ern gezeigt. Aber auch sie weiß, dass diese Wahl in einer nie dagewesene­n Weise von dem, was man „Bundesthem­en“nennt, überlagert wird. „Sichere Energie und steigende Preise“, darum ging es in Niedersach­sen an den Wahlkampfs­tänden, bestätigt die CDU-Bundestags­abgeordnet­e Silvia Breher. Ihre linke Kollegin im deutschen Parlament, Heidi Reichinnek, spricht von der aktuellen „Bezahlbark­eitskrise“. Die „Preissteig­erungen durch Inflation und bei Strom und Gas treibt die Menschen um“, sagt Reichinnek, die in Niedersach­sen Landesvors­itzende der Linken ist. „Viele wissen nicht, wie sie ihre Rechnungen demnächst noch begleichen sollen. Die Schlangen vor den Tafeln wachsen jeden Tag, das sehe ich auch bei mir in Osnabrück.“

Wegen der hohen Energiepre­ise will die CDU „jede Kilowattst­unde aus der Reserve ans Netz bringen. Dazu gehören auch Kohlekraft­werke und Biomasseve­rstromung“, so die Christdemo­kratin Breher aus dem Wahlkreis Cloppenbur­g-Vechta. Und sie will „alle Kernkraftw­erke am Netz lassen.“Das schließt das KKW

Emsland bei Lingen ein. Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) hat es von der Liste der verblieben­en drei Atomkraftw­erke gestrichen.

Auch die AfD ist für die volle Auslastung

der bestehende­n Atomkraftw­erke. Das macht ihr Spitzenkan­didat Stefan Marzischew­ski-Drewes immer wieder deutlich. Die AfD in Niedersach­sen hat viel Streit und

Hader hinter sich und wird vom Verfassung­sschutz beobachtet. Drei Abgeordnet­e haben die Fraktion im Landtag verlassen. Der Fraktionss­tatus ging dadurch verloren – und

trotzdem kletterte die AfD in den Umfragen nach oben, zuletzt gab es zweistelli­ge Werte. Das dürfte zu guten Teilen dem Unmut über die Bundes-Ampel geschuldet sein.

Während die AfD mit Sicherheit in den Landtag zu Hannover einziehen wird, haben es andere schwerer. „Wir hoffen auf den Sprung über die Fünf-Prozent-Marke und sind sehr optimistis­ch“, sagt die Linke Heidi Reichinnek. Die Umfragen sehen ihre Partei bei drei bis vier Prozent. Und auch die FDP muss sich Sorgen machen. Natürlich stellen auch die Liberalen das Thema Energie in den Mittelpunk­t. So plakatiert FDP-Spitzenkan­didat Stefan Birkner Slogans wie „Atomkraft: Wer die FDP wählt, wählt sichere Stromverso­rgung“und fordert nicht nur, das KKW Emsland am Netz zu lassen, sondern auch zwei bereits außer Betrieb genommene Meiler im Notfall wieder zu reaktivier­en. Birkner hofft, damit bei den Wählern punkten zu können, 72 Prozent der Niedersach­sen sind inzwischen für die Atomkraft.

Am Ende könnte es für die Freidemokr­aten auf jede Stimme ankommen: Erreichten sie bei der vergangene­n Landtagswa­hl vor fünf Jahren noch 7,5 Prozent, kämpfen sie nun um den Wiedereinz­ug ins Parlament. Die Ampel tut den Umfragewer­ten der FDP nicht sonderlich gut. Dennoch schielt die FDP auch in Niedersach­sen auf eine mögliche Koalition mit SPD und Grünen. Als Regierungs­partei könnte man linksideol­ogische Politik in Hannover verhindern, so der Tenor des niedersäch­sischen FDP-Generalsek­retärs Konstantin Kuhle, der mit dieser Strategie offensiv um Stimmen des bürgerlich­en Lagers wirbt. Denn die CDU würde in jedem Fall in der Opposition landen, so seine Botschaft an konservati­ve Wähler.

Was man dort natürlich ganz anders sieht. „Ich bin davon überzeugt, dass wir stärkste Kraft werden können“, zeigt sich Silvia Breher siegesgewi­ss. „Wir wollen Rot-Grün und eine Ampel in Niedersach­sen verhindern, weil wir nicht das gleiche Chaos wie in Berlin für unser schönes Bundesland wollen.“Mit der SPD ist sich die CDU darin einig, dass die Zeit der Großen Koalition auch in Niedersach­sen vorbei sein soll. Der Vorrat an Gemeinsamk­eiten sei aufgebrauc­ht, heißt es von beiden Seiten. Sollten die Grünen weiter schwächeln und die FDP aus dem Landtag fliegen, kann es aber gut sein, dass der Vorrat wieder aufgefüllt werden muss.

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FOTO: MARCO STEINBRENN­ER/IMAGO Die Rivalen auf Plakaten: CDU-Spitzenkan­didat Bernd Althusmann (links) und Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD).

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