Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Europas Ärger über den deutschen „Doppel-Wumms“

Einige EU-Mitgliedss­taaten sehen das milliarden­schwere Entlastung­spaket kritisch

- Von Ellen Hasenkamp

BERLIN - Sie kamen zu dritt über den Prager Burgplatz zum EU-Gipfel gelaufen: Kanzler Olaf Scholz (SPD), Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und der niederländ­ische Regierungs­chef Mark Rutte. Der gemeinsame Auftritt, bei dem Macron den offensicht­lich größten Redeanteil hatte, machte sich an diesem Freitagmor­gen symbolisch ziemlich gut.

Vor allem für Scholz: Denn in den vergangene­n Tagen hatte sich einiger Unmut über den 200-Milliarden-Doppelwumm­s der Deutschen angesammel­t. Nicht wenige EUPartner sind verärgert über das schiere Ausmaß. „Die deutsche Wirtschaft ist so groß, dass die Unterstütz­ung, die die deutsche Regierung ihren Unternehme­n gibt, den EU-Binnenmark­t verzerren könnte“, sagte etwa der lettische Premier Krisjanis Karins. Und sein polnischer Kollege Mateusz Morawiecki warnte sogar vor einem „Diktat Deutschlan­ds“in der Energiepol­itik.

Rutte dagegen hält die deutschen Pläne für „völlig legitim“, weswegen Scholz ihn gern an seiner Seite gehabt haben wird. Mit Frankreich liegen die Dinge komplizier­ter. Nach französisc­hen Angaben war auch der Elysée nicht übermäßig begeistert von der Hilfspaket-Präsentati­on vergangene­n Donnerstag, die aus Sicht von Paris zu wenig abgestimmt wurde und noch dazu just an dem Tag stattfand, an dem eigentlich die neue französisc­he Premiermin­isterin Elisabeth Borne bei Scholz in Berlin eingeladen war. Was wiederum wegen der CoronaInfe­ktion des Kanzlers verschoben werden musste.

Scholz kann die Empörung nicht verstehen. „Viele andere machen etwas Ähnliches jetzt und in den nächsten Jahren“, betonte er. In Regierungs­kreisen wird ergänzt, man müsse das Programm in Relation zur Bevölkerun­g und zur Wirtschaft­skraft setzen – zudem sei es auf drei Jahre angelegt. Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) versucht seinerseit­s mit dem Hinweis zu beruhigen, es sollten ja möglichst weit weniger als 200 Milliarden Euro ausgegeben werden.

Die Debatte ist für Deutschlan­d aber auch deswegen heikel, weil sie einer alten Forderung Auftrieb gibt: der nach einem neuen schuldenfi­nanzierten EU-Programm nämlich, ähnlich dem Corona-Wiederaufb­aufonds von 750 Milliarden Euro. Dessen Vaterschaf­t reklamiert Scholz ziemlich stolz für sich, er hatte das Ganze damals sogar als Hamilton-Moment geadelt, also als Geburtsstu­nde einer neuen EU-Gemeinscha­ftsqualitä­t.

Jetzt löst die Idee weniger Begeisteru­ng aus. Deutschlan­d wäre eher dafür, die vielen ungenutzte­n Milliarden umzuwidmen. „Der größte Teil der Mittel ist bis heute nicht in Anspruch genommen worden“, betont Scholz. Tatsächlic­h abgeflosse­n sind angeblich bislang nur rund 80 Milliarden Euro.

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