Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Was Zinsen zu erzählen haben

Rendite von Staatspapi­eren zeigen Erwartunge­n von Anlegern an Politik und Kapitalmär­kte

- Von Thomas Spengler

- Ende September ließ Jerome Powell keine Zweifel daran, dass für die Federal Reserve Bank die Inflations­bekämpfung oberste Priorität hat. „Ich wünschte, es gebe einen schmerzfre­ien Weg dies zu tun – aber den gibt’s nicht“, machte der oberste Notenbanke­r der USA klar. Damit erteilte Powell Hoffnungen am Aktienmark­t eine klare Absage, wonach die US-Notenbank bald die Zinsanhebu­ngen stoppen werde. Im Gegenteil, eine übereilte Umkehr bei der Bekämpfung der Inflation sei falsch, sagte Powell. Daher werde die Fed auf längere Zeit eine restriktiv­e Geldpoliti­k betreiben. Die Folgen einer solchen Rede zeigen einmal mehr, welche Bedeutung die Äußerungen der US-Notenbank für Anleger haben können. Darüber hinaus zeigt es sich, dass Zinsentwic­klungen immer Geschichte­n zu erzählen haben – man muss sie nur zu lesen wissen.

Zunächst gingen nach Powells Rede die Aktienmärk­te auf Talfahrt. Klar, wenn am Zinsmarkt mehr zu verdienen ist, knicken die Aktienkurs­e ein. Aber auch an den Anleiheode­r Rentenmärk­ten setzte sich der Ausverkauf fort. Dies liegt an der Erwartung, dass künftige Anleihen höher verzinst sein werden als die bereits emittierte­n. Also sinken die Kurse der AltAnleihe­n, womit sich deren Rendite erhöht. Gleichzeit­ig ist eine Situation eingetrete­n, die man als inverse Zinskurve beschreibt. Normalerwe­ise müssen langfristi­ge Gelder von ihren Emittenten teurer bezahlt, also verzinst, werden als kurzfristi­ge. Weil aber Marktteiln­ehmer weitere deutliche Leitzinser­höhungen in naher Zukunft erwarten, rentieren derzeit Treasuries, also US-amerikanis­che Bundesanle­ihen mit 30-jähriger Laufzeit, fast 0,4 Prozentpun­kte niedriger als Staatsanle­ihen mit einer Laufzeit von zwei Jahren.

Einen solchen Verlauf der Zinskurve zwischen den zwei- und 30jährigen Renditen gab es zuletzt kurz nach der Jahrtausen­dwende. Sie erzählt von der Erwartung, dass die Zinsen schon bald steigen und in ferner Zukunft niedriger liegen werden als in den kommenden ein bis zwei Jahren. Dahinter verbirgt sich die Erwartung, dass die Währungshü­ter die Inflation durch die schnelle Straffung der Geldpoliti­k auf längere Sicht wieder in den Griff bekommen – das dämpft die langfristi­gen Inflations­erwartunge­n und Renditen. Angesichts der inversen Zinskurve raten Banker wie Ulrich Stephan Anlegern, kurze Laufzeiten bei US-Staatsanle­ihen zu bevorzugen. „Denn sie bieten aktuell nicht nur eine höhere laufende Verzinsung

– auch das Risiko von Kursverlus­ten ist dort geringer als bei Anleihen mit langen Laufzeiten, wenn das Zinsniveau allgemein steigt“, sagt der Chefanlage­stratege der Deutschen Bank.

Eine weitere Geschichte, die die Zinsen derzeit zu erzählen haben, spielt in Italien. Dort ist nach der Wahl der drei Mitte/Rechts-Parteien der Renditeabs­tand zu deutschen Staatsanle­ihen auf bis zu 2,5 Prozent gestiegen. Das heißt, Italien muss eine um diese Rate höhere Risikopräm­ie bieten, damit internatio­nale Investoren die Staatspapi­ere aus Rom kaufen. Die Märkte hegen also ein gewisses Misstrauen gegen die rechtsgeri­chtete Wahlsieger­in Giorgia Meloni, obwohl sie im Vorfeld der Wahl bemüht war, sanftere Töne gegenüber der EU anzuschlag­en, was die Risikopräm­ien italienisc­her Staatsanle­ihen zunächst stabil hielt.

Die Kapitalmär­kte überrascht hat indessen eine andere, erst vor kurzem

gewählte Politikeri­n. „Nach nur wenigen Wochen im Amt schickt sich die neue britische Premiermin­isterin Liz Truss an, Spuren in den Geschichts­büchern zu hinterlass­en“, sagt LBBW-Investment­analyst Frank Klumpp mit Blick auf deren Wirtschaft­sund Finanzpoli­tik. So hat ihr Schatzkanz­ler Kwasi Kwarteng die größten Steuersenk­ungen für Großbritan­nien seit den 1970er-Jahren angekündig­t, die umgerechne­t rund 50 Milliarden Euro schwer sein sollen. Die Anleger fällten jedenfalls ein harsches Urteil über dieses Vorhaben. Ihre Bedenken über die Höhe der Ausweitung der Staatsvers­chuldung lassen sich an den Renditen für zehnjährig­e britische Staatsanle­ihen ablesen, die in der Folge stark auf 3,8 Prozent angestiege­n sind. Auch der Umstand, dass gleichzeit­ig das britische Pfund unter die Marke von 1,09 US-Dollar, den niedrigste­n Stand seit 1985, fiel macht klar, die Anleger sind „not amuesed“.

 ?? ??
 ?? FOTO: SPENCER PLATT/AFP ?? Händler an der New York Stock Exchange: Mit ihren Zinsentsch­eidungen beeinfluss­en die Notenbanke­n auch das Geschehen am Aktienmark­t.
FOTO: SPENCER PLATT/AFP Händler an der New York Stock Exchange: Mit ihren Zinsentsch­eidungen beeinfluss­en die Notenbanke­n auch das Geschehen am Aktienmark­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany