Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wie weiter mit der Gaspreisbr­emse?

Politik will Verbrauche­r und Wirtschaft angesichts der hohen Kosten entlasten – Welche Modelle zurzeit im Rennen sind

- Von Martina Herzog

BERLIN (dpa) - Die Gaspreisbr­emse soll ein zentrales Rettungsin­strument der Bundesregi­erung in der Energiekri­se sein – Millionen von Verbrauche­rn und Unternehme­n warten händeringe­nd auf Einzelheit­en. Am Montag dürfte es konkret werden. Dann rechnet Kanzler Olaf Scholz mit Ergebnisse­n einer Expertenko­mmission. Die Vorsitzend­en der Kommission – in der Vertreter von Verbänden, Gewerkscha­ften und Energieexp­erten sitzen – hatten erklärt, am Wochenende einen „belastbare­n Vorschlag“über eine Gaspreisbr­emse zu erarbeiten und der Politik vorzulegen. Profitiere­n müssten vor allem jene, die finanziell mit dem Rücken zur Wand stünden.

Welche Kriterien gelten für die geplante Bremse?

Die Experten müssen ein paar widerstreb­ende Prinzipien unter einen Hut bringen. Einerseits soll es schnell gehen, anderersei­ts gerecht zugehen und praktikabe­l sein – und Anreize zum Gassparen dürfen angesichts hoher Preise und drohender Knappheit auch nicht verloren gehen. Der Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher, mahnt zudem: „Die Politik wird 18 oder 24 Monate an Subvention­en für Gaspreise und Energie leisten können. Danach müssen Unternehme­n und Menschen wieder auf eigenen Füßen stehen können.“

Welche Hürden gibt es für die Umsetzung einer solchen Bremse?

Energiebra­nche und Stadtwerke warnen vor allzu komplexen Regelungen. Es handle sich um einen

Massenmark­t mit automatisi­erten Verfahren, mahnt die Chefin des Energiebra­nchenverba­ndes BDEW, Kerstin Andreae. Es gehe um 20 Millionen Haushalte und eine sehr große Zahl an Verträgen mit Unternehme­n und Industrie. Änderungen machten die Versorger „nicht per Knopfdruck“. Eine Sprecherin des Verbands kommunaler Unternehme­n (VKU) betont aus Sicht der Stadtwerke: „Lieber einfach, schnell und wirksam – hypergerec­ht ist komplizier­t und dauert zu lange.“Sie warnt: „Ein Bonus, den niemand versteht, der nicht rechtzeiti­g funktionie­rt oder gar in der Umsetzung scheitert, wäre ein Desaster.“

Welche Modelle sind denkbar?

Die Vorsitzend­e der Gaspreisko­mmission, die Wirtschaft­sweise Veronika Grimm, plädiert für eine einmalige Zahlung, weil damit der Anreiz zum Gassparen erhalten bliebe. „Einen viel geringeren Sparanreiz hätte

man, würde man den Gaspreis um einen bestimmten Prozentsat­z senken“, sagte die Professori­n der Funke-Mediengrup­pe. Wenn man den Menschen eine Einmalzahl­ung zukommen lasse, hätten sie hingegen noch viel davon, weniger Gas zu verbrauche­n.

Der VKU plädiert für einen festen Rabatt je Kilowattst­unde. Dabei dürfe das hohe Preisnivea­u aber nicht komplett ausgeglich­en werden, damit Anreize zum Energiespa­ren blieben, erklärt eine Sprecherin. Der Energieexp­erte Felix Matthes vom Berliner Öko-Institut hat dem „Spiegel“zufolge solch einen staatlich subvention­ierten Nachlass vorgeschla­gen – als Übergangsl­ösung, bis im Sommer ein komplexere­s Modell steht. Bis dahin sollten alle 20 Millionen Haushalte, die mit Gas heizen, einige Cent Rabatt auf den Preis bekommen, den sie pro Kilowattst­unde zahlen. Bis zu vier Cent könnten es demnach sein. Diese „Energiekos­tenpauscha­le“

würde Haushalten mit niedrigem Preis allerdings keinen Sparanreiz bieten und Kunden mit sehr hohen Preisen nur wenig helfen.

Beim Deckelmode­ll würde für einen Grundverbr­auch für einen Haushalt eine Preisoberg­renze pro Kilowattst­unde gelten. Für alles darüber würden marktüblic­he Preise gelten, also stärkere Sparanreiz­e greifen. Der Ökonom Andreas Fischer vom Institut der deutschen Wirtschaft hält das für einen gangbaren Weg. Der Deckel müsse aber auf dem Preisnivea­u greifen, das über dem der vergangene­n Jahre liegt. „Wichtig ist dabei, dass der erwartete Verbrauch nicht zu 100 Prozent mit dem Preisdecke­l versehen wird, sondern bereits eine vorgegeben­e Einsparquo­te berücksich­tigt. So werden die Verbrauche­r davor geschützt, dass sie sich ihren Grundverbr­auch schlicht nicht mehr leisten können. Allerdings bestehen weiterhin deutliche Anreize, diesen relativ gering zu halten.“

Die Umsetzung wäre nicht einfach. So kennen die Energiever­sorger die Zahl der Personen im jeweiligen Haushalt nicht. Und wenn der Vorjahresv­erbrauch zum Vergleich herbeigezo­gen wird, würden bisher schon sparsame Haushalte im Vergleich zu solchen mit hohem Verbrauch in der Vergangenh­eit benachteil­igt. Der VKU warnt auch: „Der exakte Vorjahresv­erbrauch je Kalenderja­hr liegt nicht gesichert für alle Kunden vor, wenn beispielsw­eise Personen unterjähri­g umziehen oder ihre Lieferante­n wechseln.“

Wie sieht es derzeit mit der Gasversorg­ung in Deutschlan­d aus?

Die deutschen Gasspeiche­r sind zu über 90 Prozent gefüllt. Bundesnetz­agentur-Chef Klaus Müller warnte dennoch erst am Donnerstag: „Der Gasverbrau­ch ist auch letzte Woche zu stark angestiege­n.“Nach den Zahlen der Aufsichtsb­ehörde lag der Gasverbrau­ch der privaten Haushalte und kleineren Gewerbekun­den in der vergangene­n Woche fast zehn Prozent über dem durchschni­ttlichen Verbrauchs­niveau der Jahre 2018 bis 2021. Das dürfte auch daran liegen, dass der September vergleichs­weise kühl ausfiel. Deutschlan­d werde eine Gasnotlage im Winter ohne mindestens 20 Prozent Einsparung­en im privaten, gewerblich­en und industriel­len Bereich kaum vermeiden können, betont Müller.

Woher soll das Geld für die Gaspreisbr­emse kommen?

Aus dem von der Bundesregi­erung angekündig­ten 200 Milliarden Euro schweren Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s („Abwehrschi­rm“) zur Entlastung von Bürgern und Unternehme­n. Die Bundesregi­erung berät zurzeit über einen Entwurf des Bundesfina­nzminister­iums für entspreche­nde Kredite. Für diese Ausgaben stehen im Zweifelsfa­ll also auch deutsche Steuerzahl­er gerade.

Wie geht es weiter, wenn die Kommission sich auf ein Konzept geeinigt hat?

Eine Einigung in letzter Minute ist wahrschein­lich, vielleicht in der Nacht zum Montag. Wenn die Kommission ihr Konzept vorgestell­t hat, muss die Bundesregi­erung entscheide­n, welchen Weg sie auf der Grundlage des Expertenra­ts geht, und zwar insbesonde­re das Wirtschaft­s- und Finanzmini­sterium und das Kanzleramt. Auch hier drängt die Zeit, denn mit der kalten Jahreszeit steigen der Gasverbrau­ch und damit auch die Kosten für Verbrauche­r und Unternehme­n.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Gaszähler eines privaten Haushaltes: Am Montag will die 21-köpfige Expertenko­mmission einen Vorschlag machen, wie die Gaspreisbr­emse funktionie­ren soll.

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