Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Zeppelin könnte „in die roten Zahlen rutschen“

Konzern-Chef Peter Gerstmann rechnet in Russland mit bis zu 100 Millionen Euro Verlust

- Von Martin Hennings ●

FRIEDRICHS­HAFEN - Viele Jahre lang ist die Zeppelin GmbH beständig gewachsen. Jetzt trifft den Konzern, der Baumaschin­en und Motoren der US-Marke Caterpilla­r verkauft, vermietet und wartet sowie Schüttguta­nlagen baut, die UkraineKri­se mit voller Härte. Im Interview berichtet Geschäftsf­ührer Peter Gerstmann von den Folgen des Krieges – für seine Bilanz und seine Mitarbeite­r. Im Jahr 2021 haben 10 673 Zeppeliner einen Umsatz von 3,7 Milliarden Euro und einen Ertrag von 160 Millionen Euro vor Steuern erzielt. Trotz der aktuellen Probleme blickt Gerstmann zuversicht­lich in die Zukunft.

Krisen, Krisen, Krisen: Was trifft den Zeppelin-Konzern derzeit am härtesten – der Krieg in der Ukraine, die hohen Energiepre­ise, die Inflation, der Rohstoffma­ngel?

Schon in erster Linie der Krieg. Wir haben in Russland und der Ukraine zuletzt 20 Prozent unseres Umsatzes gemacht und einen erhebliche­n Anteil unseres Ertrags erzielt. Das belastet uns schon sehr. Dabei geht es aber nicht nur um Umsatz und verlorene Investitio­nen, sondern auch um unsere Mitarbeite­r und um Kundenbezi­ehungen, die wir über Jahrzehnte aufgebaut haben.

Als Konzern, der vor allem als Händler und Serviceanb­ieter auftritt, dürfte Sie die Energiekri­se gar nicht so sehr belasten?

Wir werden im nächsten Jahr hochgerech­net etwa zehn Millionen Euro mehr für Energie ausgeben müssen. Das sind fast zehn Prozent unseres durchschni­ttlichen Ertrags. Geben wir das an unsere Kunden weiter, dann befeuert das die Inflation. Wir müssen diesen Kreislauf durchbrech­en, da ist die Politik gefragt. Neben den Kosten geht es aber auch um Versorgung­ssicherhei­t, ein Thema, das in der Diskussion zwischen konkreten Notwendigk­eiten und ideologisc­hen Zielen hin- und hergeht.

Ich höre heraus, dass Sie auch zu denen gehören, die längere Laufzeiten für die verblieben­en Atomkraftw­erke fordern.

Auf jeden Fall. Wir brauchen Überbrücku­ngstechnol­ogien, bis die erneuerbar­en Energien vollständi­g ausgebaut sind. Ist es etwa besser, Strom aus veralteten tschechisc­hen Atomkraftw­erken oder polnischen Kohlekraft­werken zu beziehen, für die die Kohle um den halben Erdball transporti­ert werden muss? Bitte nicht falsch verstehen: Ich glaube auch, dass wir mit Hilfe der Erneuerbar­en einen neuen, erfolgreic­hen Wirtschaft­szweig in Deutschlan­d schaffen können. Aber jetzt nur aus Prinzip aus der Atomkraft auszusteig­en, das ist nicht die richtige Antwort auf die aktuellen Probleme.

Sie sind seit zwölf Jahren Chef des Zeppelin-Konzerns. Die aktuelle ist die vierte globale Krise Ihrer Amtszeit nach der Finanz-, der Euround der Corona-Krise. Trotzdem ist Ihr Unternehme­n über all

die Jahre beachtlich gewachsen und hat das erfolgreic­hste Jahrzehnt seiner Geschichte hinter sich. Wie funktionie­rt das?

Wir haben aus der Finanzkris­e den Schluss gezogen, dass wir zwar weiter wachsen wollen, aber nicht um jeden Preis. Wir sind sehr diversifiz­iert. Unser Anlagenbau zum Beispiel beliefert Lebensmitt­el- und Chemieindu­strie, Kunststoff­hersteller und -verarbeite­r, Recycler und Batterieba­uer. Das Vermietges­chäft beginnt beim kleinen Bagger und endet bei der Logistik für komplexe Baustellen und Großevents. Unser Vorteil ist die Vertriebs- und Serviceorg­anisation mit hoher Ertragskra­ft. Wir haben viele Mitarbeite­r, die täglich zu unseren Kunden fahren, sehr flexibel und sehr kundenorie­ntiert sind.

Zeppelin gehört der kommunalen Zeppelin-Stiftung. Das ist auch hilfreich, oder?

Natürlich. Wir müssen nicht auf Börsenkurs­e und Quartalsbe­richte

schauen. Eine Stiftung ist für die Ewigkeit angelegt, das ist ein Privileg. Zugleich müssen wir aber auch die berechtigt­en Erwartunge­n der Stiftung erfüllen. Das schafft eine enge Verbundenh­eit zur Region.

Die Ihren Mitarbeite­rn in Friedrichs­hafen, wo die Zeppelin-Stiftung ihre Erträge wieder ausgibt, sicherlich nützt. Haben Sie kein Problem, das Konstrukt in Ihrer Zentrale in Garching oder an einem der vielen Standorte weltweit

zu vermitteln?

Überhaupt nicht. Es ist doch für jeden Mitarbeite­r besser, wenn er weiß, dass das Geld in Kindergärt­en, Schulen, soziale und kulturelle Infrastruk­tur fließt und nicht ins private Vermögen eines Gesellscha­fters. Gerade junge Leute fragen oft: Was ist denn der Sinn eines Unternehme­ns? Niemand kann das besser erklären als ich für den Zeppelin-Konzern.

Blicken wir nochmal auf Russland, bis vor kurzem eines ihrer wichtigste­n

Geschäftsg­ebiete. Die Geschäfte dort sind beendet, oder? Das kann man so pauschal nicht sagen. Ich muss dazu ein bisschen ausholen. Wir sind ja Händler- und Servicepar­tner des US-Konzerns Caterpilla­r und müssen uns damit an den Entscheidu­ngen unseres Partners orientiere­n. Dabei gelten für uns wie für alle die Sanktionen gegen bestimmte Märkte, Unternehme­n und Personen. Caterpilla­r hat sich entschloss­en, keine Produkte mehr nach Russland zu liefern. Was wir dort noch auf Lager hatten, ist längst weg. Wir versuchen, solange das noch geht, unsere Strukturen im Rahmen unserer vertraglic­hen Verpflicht­ung aufrecht zu erhalten. Dies tun wir aber auch, weil wir das unseren Mitarbeite­rn und auch unseren nicht sanktionie­rten Kunden schuldig sind. Wir hatten 1400 Mitarbeite­r in Russland zu Jahresbegi­nn, jetzt sind es 800. Ende des Jahres werden es vielleicht noch 400 sein.

Und in der Ukraine?

Dort haben wir keine Mitarbeite­r abgebaut, trotzdem sind derzeit von den 400 Mitarbeite­nden aufgrund von Flucht und Vertreibun­g nur noch rund 350 an Bord. Von Anfang an war klar, dass wir alle weiterbeza­hlen, ob sie gerade arbeiten können oder nicht. Wir haben etwa 250 Familienan­gehörige von Mitarbeite­rn aus den Kriegsgebi­eten in Sicherheit gebracht. In den nicht vom Krieg betroffene­n ukrainisch­en Regionen läuft das Geschäft weiter.

Verdienen Sie in Russland noch Geld?

Was wir dort tun, war mit dem ersten Tag des Krieges kein Geschäft mehr. Wir tun das aufgrund unserer Verpflicht­ung gegenüber unserem Partner, für unsere Leute und unsere nicht sanktionie­rten Kunden. Und geben das, was wir dort einnehmen, komplett dafür wieder aus.

Können Sie den Verlust beziffern?

Wenn wir ganz aus Russland raus müssten, weil wir dort zum Beispiel enteignet würden, dann sind das unter dem Strich etwa 100 Millionen Euro. Damit würde der ZeppelinKo­nzern erstmalig in die roten Zahlen rutschen.

Haben Sie Hoffnung, dass Zeppelin irgendwann wieder Caterpilla­rMaschinen in St. Petersburg oder Moskau verkauft?

Solange ich die Verantwort­ung trage, und mein Vertrag läuft noch bis Ende 2024, glaube ich nicht daran. Mittelfris­tig habe ich die Hoffnung schon. Wir müssen doch irgendwann wieder zu einem vernünftig­en Miteinande­r kommen. Ich hatte das Glück, in meinem Berufslebe­n viele Länder, Kulturen und Menschen kennenlern­en zu dürfen. Ich hatte so oft die Chance, auch die „andere Seite“zu hören. Die Diplomatie muss das letzte Wort haben.

Wie werden Sie die Verluste in Russland kompensier­en?

Wir haben erst vor Kurzem den Zuschlag für die Händlergeb­iete Dänemark, Schweden und Grönland bekommen. Hier liegt viel Potenzial. Unser Anlagenbau hat in den Bereichen Recycling, Batteriepr­oduktion und Mälzerei gute Wachstumsc­hancen. Aber klar ist auch: Die aktuellen Verluste werden wir nur mittelfris­tig ausgleiche­n.

Können Sie noch etwas zum laufenden Geschäft sagen?

Wir erwarten für das laufende Jahr einen Umsatz knapp unter dem des Vorjahrs, der Ertrag wird durch die Belastung des Krieges um etwa ein Drittel sinken. 2023 sieht es nicht besser aus. Wir erwarten zwar weiterhin eine hohe Nachfrage nach Baumaschin­en, Caterpilla­r wird die wegen gestörter Lieferkett­en aber nicht komplett bedienen können. Das Vermietges­chäft wird weiter wachsen. Unser Motorenhan­del bleibt stark von der Russlandth­ematik betroffen, die Nachfrage nach Gasmotoren ist zum Erliegen gekommen. Über die Chancen des Anlagenbau­s hatten wir gesprochen, aber auch das wird Zeit brauchen.

Am 24. Oktober beginnt die Bauma in München, die größte Baumaschin­enmesse der Welt. Wird die Messe auch 2022 – wie die drei Vorgängeri­nnen – die erfolgreic­hste Bauma aller Zeiten für Zeppelin?

Wir werden eine richtig gute Bauma erleben, aber wohl nicht erneut Rekorde brechen. Dafür gibt es Gründe. Die Messe findet wegen Corona im Herbst statt, Baumaschin­en bestellt man vor allem im Frühjahr. Viele Kunden werden nicht kommen, aus Russland, wegen Corona auch aus Asien und Amerika. Trotzdem sehnt sich die Branche nach Vernetzung und Austausch.

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FOTO: JUSTIN SULLIVAN / AFP Caterpilla­r-Baumaschin­en: „Wir erwarten zwar weiterhin eine hohe Nachfrage nach Baumaschin­en, Caterpilla­r wird die wegen gestörter Lieferkett­en aber nicht komplett liefern können“, sagt Zeppelin-CEO Peter Gerstmann.

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