Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Experte für sperrige Charaktere

Schauspiel­er Günter Lamprecht im Alter von 92 Jahren gestorben

- Von Christoph Driessen

(dpa) - Er schlug sich mit Berliner Polizisten die Nächte um die Ohren, setzte sich in schäbige Kneipen, backte drei Wochen lang frühmorgen­s Brötchen: Wenn sich Günter Lamprecht auf eine neue Rolle vorbereite­te, dann stürzte er sich ins Milieu. Als Franz Biberkopf in Rainer Werner Fassbinder­s „Berlin Alexanderp­latz“oder als kantiger „Tatort“Kommissar Franz Markowitz schrieb er Fernsehges­chichte. Zu einem umschwärmt­en Star wurde er allerdings nie – vielleicht waren seine Charaktere dafür zu sperrig. Gestört hat ihn das nicht: Lamprecht wollte einfach nur gute Arbeit abliefern.

Am Dienstag ist Lamprecht im Alter von 92 Jahren gestorben, wie seine Agentin am Freitag bestätigte. Er hinterläss­t seine Frau Claudia Amm und eine Tochter.

Eigentlich hätte auch aus ihm eine verkorkste Existenz werden müssen. Sein Vater, ein Berliner Taxifahrer, war Nazi aus Überzeugun­g. Länger als vier Jahre ist er nicht zur Schule gegangen. Als Hitlerjung­e war er beim „Endkampf“um Berlin mit dabei. Nach dem Krieg gehörte er zu einer Gang jugendlich­er Diebe: „Wir haben geklaut wie die Raben.“

Es folgte eine Ausbildung zum Orthopädie­mechaniker. Und dann passiert das Wunder: Eines Nachts sagt ein besoffener Freund zu ihm: „Günter, du musst Schauspiel­er werden!“Daraufhin spricht der völlig unbelesene junge Mann bei der Schauspiel­schule vor – und wird genommen. Seine einfache Herkunft war ihm immer bewusst: „Ich komme aus dem Proletaria­t, daraus mache ich keinen Hehl“, erzählte er mal. „Ich verstehe die Probleme dieser Leute, darum gelingen mir diese Figuren vielleicht besser.“

Dazu kam, dass sein Leben „von Gewalt begleitet“war, wie er es ausdrückte. Als 15-Jähriger bekam er in den letzten Kriegstage­n unweit der Berliner Reichskanz­lei einen Streifschu­ss ab. Und 1999 entging er nur knapp dem Tod, als er durch puren Zufall zu einem der Opfer eines 16 Jahre alten Amokläufer­s wurde.

Die Erinnerung daran verblasste nie: Der stahlblaue Herbsthimm­el in Bad Reichenhal­l, er steigt aus dem Auto, die Schüsse. Seine Freundin in einer Blutlache. Er selbst mit Durchschüs­sen durch beide Arme. Eine Stunde liegen sie dort, bis ein Sanitäter den Mut fasst, sich ins Schussfeld zu begeben und sie wegzuholen. Noch zehn Jahre später träumte er davon, wachte nachts schweißgeb­adet auf.

Seine erste Film-Hauptrolle spielte Lamprecht 1976 in „Das Brot des Bäckers“und gewann damit den Lubitsch-Preis. Es folgten weit mehr als 150 Film- und Fernsehrol­len, begleitet von zahlreiche­n Ehrungen. Lamprecht war Träger des Verdiensto­rdens der Stadt Berlin und des Landes Nordrhein-Westfalen. Denn dort blieb der Ur-Berliner irgendwann in der Mitte seines Lebens hängen.

Berlins früherer Regierende­r Bürgermeis­ter Klaus Wowereit war nicht der Einzige, der ihn immer wieder fragte, warum er denn bloß in diesem Rösberg wohnen bleibe anstatt in seine großartige Heimatstad­t zurückzuke­hren. Lamprechts Begründung dafür ging ungefähr so: Rösberg gehört zu Bornheim. Bornheim gehört zum Rhein-Sieg-Kreis. Und der Rhein-Sieg-Kreis gehört zum Einzugsgeb­iet von Köln, wo der WDR sitzt, früher einer seiner wichtigste­n Arbeitgebe­r. Außerdem sei Köln nicht so weit vom Ruhrgebiet entfernt. „Und das Ruhrgebiet ist meine zweite Heimat. Neben Berlin natürlich.“

Günter Lamprecht zählte zu den relativ wenigen Menschen, deren Augen zu leuchten beginnen, wenn die Rede auf Oberhausen kommt. „Da schwör ich drauf, auf Oberhausen. Ist mir ans Herz gewachsen.“Er hatte lange dort gewohnt, Ende der 50er- und in den 60er-Jahren, als Theatersch­auspieler. Oberhausen war damals noch eine echte Malocherst­adt. Das gefiel ihm.

In den letzten 20 Jahren seines Lebens machte er sich rar. In der Serie „Babylon Berlin“war Lamprecht noch einmal als Reichspräs­ident Hindenburg zu sehen. Weitere Angebote gab es, aber es waren in seinen Augen nicht die richtigen. Mal sollte er den gutmütigen Opa geben, dann war die Story einfach „Schund“.

Als er schon auf die 90 zuging, fragte ihn mal ein junger Mann, was er früher von Beruf gewesen sei. „Schauspiel­er? Ehrlich? Hatten Sie auch mal so richtig 'ne Rolle?“Nur ein Mensch, der mit sich selbst völlig im Reinen ist, kann so eine Begebenhei­t mit solcher Heiterkeit erzählen, wie Günter Lamprecht es tat.

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FOTO: HENNING KAISER/DPA Der mit Fassbinder-Filmen und als „Tatort“-Kommissar berühmt gewordene Schauspiel­er Günter Lamprecht ist tot. Er starb am 4. Oktober 2022 im Alter von 92 Jahren.

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