Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Die Zeit der Glaspaläste muss vorbei sein“
Der Museumsexperte Stefan Simon hält die strenge Klimatisierung unserer Museen für überflüssig – Er fordert schon lange bessere, nachhaltigere Gebäude
- Stefan Simon, der Direktor des Berliner Rathgen-Forschungslabors, mahnt seit
Jahren den hohen Energieverbrauch der Museen an (Foto: privat). Der Chemiker und Konservierungswissenschaftler hält die heutige Klimatisierung für übertrieben, in Kirchen hätten Kunstwerke auch gut überdauert.
Herr Simon, der Bund hat die Museen aufgefordert, Energie zu sparen. Können sie das überhaupt? Die Herausforderungen, die die Klimakrise an uns alle stellt, sind enorm. Gerade wegen ihres auf ihre Flächen bezogen beträchtlichen Energieverbrauchs und den damit verbundenen Treibhausgasemissionen müssen sich auch die Museen grundsätzlich umorientieren. Ein Weiter-so, wie wir es seit Jahrzehnten in eklatantem Widerspruch zu allen Erkenntnissen der Wissenschaft erleben, geht nicht mehr.
Aber wenn man die Heizung runterdreht, kommt kein Publikum.
Bei komplexen Zusammenhängen wie in der Klimakrise oder dem gegenwärtigen Energienotstand helfen die Werkzeuge eines ,ganzheitlichen Risikomanagements’. Sie erleichtern den Umgang mit Zielkonflikten. Es gibt ja verschiedene Ziele und Ansprüche eines Museum, die leider nur auf Kosten des jeweils anderen vorangetrieben werden können.
Das heißt?
Zunächst sind da die konservatorischen Anforderungen an ein möglichst konstantes Raumklima, stabile Feuchte- und Temperaturwerte. Dann müssen die Behaglichkeitsansprüche der Mitarbeiter und Besucher berücksichtigt werden. Außerdem
muss man erkennen, was das jeweilige Gebäude überhaupt leisten kann. Wie ist es gebaut? Und schließlich die wirtschaftlichen und ökologischen Aspekte eines nachhaltigen Betriebs. Hochtechnisierte Klimaanlagen in einem schlechten Gebäude sind dann keine gute Lösung, wenn sie die Existenz eines Museums unterminieren. Diese vier Faktoren müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
Gibt es vernünftige Lösungen?
Da die meisten Museen keine Expertise im Risikomanagement haben, braucht es externe Beratung. Vor allem aber braucht es erst einmal ein tiefgreifendes Umdenken: Auch Museen müssen viel sorgfältiger mit unseren Ressourcen umgehen. Die Zeit der Glaspaläste muss vorbei sein.
Aber sie stehen doch für ein modernes Museum.
Sie sind vor allem ein Zeugnis des Versagens. Sie stehen symbolisch für die letzten 40 Jahre. Keiner von uns, vor allem in den reichen Ländern des globalen Nordens, kann darauf stolz sein. Von diesem Teil der Kulturlandschaft wird mittelfristig nicht viel bleiben. Es ist gegenüber unseren Kindern und Enkeln nicht zu rechtfertigen, Museen zu bauen, die mehr Energie verbrauchen als ihre Vorgänger. Es geht ja nicht nur um die aktuelle Energiekrise, es geht vor allem darum, dass wir uns endlich des Klimawandels als Krise bewusst werden. Die Illusion, dass nach dem Winter alles wieder gut wird, sollte niemand haben. Die großen Museen mit oft exzessiver und konservatorisch oft nicht nötiger Klimatisierung zählen zu den größten Energieverbrauchern in der Stadt. Diesem Problem müssen sie sich stellen.
Die Klimatisierung ist oft unnötig?
Eine Klimatisierung ganzer Häuser auf enge Temperatur- und Feuchtekorridore ist seit jeher stärker am technisch Möglichen als am konservatorisch Notwendigen ausgerichtet. Der überwiegende Teil des Kulturerbes in unseren Sammlungen kommt mit Schwankungen des Raumklimas deutlich besser zurecht als von vielen befürchtet. Das zeigt schon ein Blick in unsere Kirchen. Für empfindliche Werke, die es natürlich auch gibt, müssen individuelle Lösungen gefunden werden. Das beste Museum ist eines, welches keine Klimaanlage braucht, weil es sein Gebäude als erste, passive Kontrollinstanz für das Raumklima nutzt: dicke Mauern, traditionelle Baumaterialien, hohe thermische Trägheit, Kopplung an den Baugrund und niedrige Luftwechsel helfen dabei.
Gibt es zukunftsfähige Museen?
Das Depot des Nationalmuseums Dänemark wird mit acht Kilowattstunden pro Quadratmeter betrieben, das Nationalarchiv in Polen baut ein neues Depot, das noch weniger Energie verbrauchen soll. Das sind innovative Konzepte, wie wir sie in Deutschland noch nicht sehen.