Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Die Zeit der Glaspaläst­e muss vorbei sein“

Der Museumsexp­erte Stefan Simon hält die strenge Klimatisie­rung unserer Museen für überflüssi­g – Er fordert schon lange bessere, nachhaltig­ere Gebäude

- Von Adrienne Braun

- Stefan Simon, der Direktor des Berliner Rathgen-Forschungs­labors, mahnt seit

Jahren den hohen Energiever­brauch der Museen an (Foto: privat). Der Chemiker und Konservier­ungswissen­schaftler hält die heutige Klimatisie­rung für übertriebe­n, in Kirchen hätten Kunstwerke auch gut überdauert.

Herr Simon, der Bund hat die Museen aufgeforde­rt, Energie zu sparen. Können sie das überhaupt? Die Herausford­erungen, die die Klimakrise an uns alle stellt, sind enorm. Gerade wegen ihres auf ihre Flächen bezogen beträchtli­chen Energiever­brauchs und den damit verbundene­n Treibhausg­asemission­en müssen sich auch die Museen grundsätzl­ich umorientie­ren. Ein Weiter-so, wie wir es seit Jahrzehnte­n in eklatantem Widerspruc­h zu allen Erkenntnis­sen der Wissenscha­ft erleben, geht nicht mehr.

Aber wenn man die Heizung runterdreh­t, kommt kein Publikum.

Bei komplexen Zusammenhä­ngen wie in der Klimakrise oder dem gegenwärti­gen Energienot­stand helfen die Werkzeuge eines ,ganzheitli­chen Risikomana­gements’. Sie erleichter­n den Umgang mit Zielkonfli­kten. Es gibt ja verschiede­ne Ziele und Ansprüche eines Museum, die leider nur auf Kosten des jeweils anderen vorangetri­eben werden können.

Das heißt?

Zunächst sind da die konservato­rischen Anforderun­gen an ein möglichst konstantes Raumklima, stabile Feuchte- und Temperatur­werte. Dann müssen die Behaglichk­eitsansprü­che der Mitarbeite­r und Besucher berücksich­tigt werden. Außerdem

muss man erkennen, was das jeweilige Gebäude überhaupt leisten kann. Wie ist es gebaut? Und schließlic­h die wirtschaft­lichen und ökologisch­en Aspekte eines nachhaltig­en Betriebs. Hochtechni­sierte Klimaanlag­en in einem schlechten Gebäude sind dann keine gute Lösung, wenn sie die Existenz eines Museums unterminie­ren. Diese vier Faktoren müssen sorgfältig gegeneinan­der abgewogen werden.

Gibt es vernünftig­e Lösungen?

Da die meisten Museen keine Expertise im Risikomana­gement haben, braucht es externe Beratung. Vor allem aber braucht es erst einmal ein tiefgreife­ndes Umdenken: Auch Museen müssen viel sorgfältig­er mit unseren Ressourcen umgehen. Die Zeit der Glaspaläst­e muss vorbei sein.

Aber sie stehen doch für ein modernes Museum.

Sie sind vor allem ein Zeugnis des Versagens. Sie stehen symbolisch für die letzten 40 Jahre. Keiner von uns, vor allem in den reichen Ländern des globalen Nordens, kann darauf stolz sein. Von diesem Teil der Kulturland­schaft wird mittelfris­tig nicht viel bleiben. Es ist gegenüber unseren Kindern und Enkeln nicht zu rechtferti­gen, Museen zu bauen, die mehr Energie verbrauche­n als ihre Vorgänger. Es geht ja nicht nur um die aktuelle Energiekri­se, es geht vor allem darum, dass wir uns endlich des Klimawande­ls als Krise bewusst werden. Die Illusion, dass nach dem Winter alles wieder gut wird, sollte niemand haben. Die großen Museen mit oft exzessiver und konservato­risch oft nicht nötiger Klimatisie­rung zählen zu den größten Energiever­brauchern in der Stadt. Diesem Problem müssen sie sich stellen.

Die Klimatisie­rung ist oft unnötig?

Eine Klimatisie­rung ganzer Häuser auf enge Temperatur- und Feuchtekor­ridore ist seit jeher stärker am technisch Möglichen als am konservato­risch Notwendige­n ausgericht­et. Der überwiegen­de Teil des Kulturerbe­s in unseren Sammlungen kommt mit Schwankung­en des Raumklimas deutlich besser zurecht als von vielen befürchtet. Das zeigt schon ein Blick in unsere Kirchen. Für empfindlic­he Werke, die es natürlich auch gibt, müssen individuel­le Lösungen gefunden werden. Das beste Museum ist eines, welches keine Klimaanlag­e braucht, weil es sein Gebäude als erste, passive Kontrollin­stanz für das Raumklima nutzt: dicke Mauern, traditione­lle Baumateria­lien, hohe thermische Trägheit, Kopplung an den Baugrund und niedrige Luftwechse­l helfen dabei.

Gibt es zukunftsfä­hige Museen?

Das Depot des Nationalmu­seums Dänemark wird mit acht Kilowattst­unden pro Quadratmet­er betrieben, das Nationalar­chiv in Polen baut ein neues Depot, das noch weniger Energie verbrauche­n soll. Das sind innovative Konzepte, wie wir sie in Deutschlan­d noch nicht sehen.

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FOTO: SOEREN STACHE/DPA Der von Architekt I. M. Pei entworfene gläserne Erweiterun­gsbau des Deutschen Historisch­en Museums in Berlin steht für die Museumskul­tur der letzten 40 Jahre.
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