Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wenn Rehe qualvoll sterben
Zäune und Müll im Wald sind eine Gefahr für Wildtiere – Chef der Jäger im Kreis appelliert
- Kein schöner Anblick: Das Geweih in einem altem Zaundraht verfangen, das Maul weit aufgesperrt, die Augen hohl und vom Hals abwärts komplett zerfressen. Aus dem Forstzaun, in dem er hängen geblieben war, konnte sich der Rehbock nicht befreien. Ein schauerlicher Einzelfall? „Nein“, sagt Kreisjägermeister Peter Lutz: „Das ist ein Dauerthema.“
Er sei nicht zimperlich, sagt SZLeser Anton Waibel, der den beschriebenen Rehbock beim Pilzsammeln im Wald zwischen Aitrach und Treherz entdeckt hat. „Aber es ist eben ein Saustall, wenn man sowas im Wald liegen lässt.“Waldbesitzer, aber auch Förster und Jäger, wie es Waibel selber über Jahrzehnte war, seien gleichermaßen gefragt, sich um den Wald und auch die dort vor Jahrzehnten aufgestellten Zäune zu kümmern.
Warum stehen überhaupt Zäune in den Wäldern? „In der Vergangenheit wurden viele solcher Forstzäune aufgestellt, um die jungen Pflanzen vor hungrigen Rehen zu schützen“, erklärt Kreisjägermeister Peter Lutz. Das Problem: „Die Zäune vergammeln im Lauf der Zeit, werden niedergedrückt und wachsen ein – fast niemand räumt sie auf.“Insbesondere für Rehböcke ist das gefährlich. Sie verfangen sich mit ihrem Geweih im Zaun und verhungern, verdursten, werden von Füchsen gefressen. „Natürlich ist so ein Anblick ekelhaft“, weiß Lutz, „das stinkt unter Umständen auch entsprechend“. Für Laien im Wald könnte ein solcher Fund ein Schock sein. „Man muss sich nur mal vorstellen, ein Kind entdeckt so etwas. Das möchte niemand.“
Als Jäger erlebe er das regelmäßig, so Lutz. Und er erklärt aus Sicht des Tieres: „Wenn der Bock Glück gehabt hat, hat er sich das Genick gebrochen – ansonsten ist das ein Sterben über Tage. Eine absolute Qual, ein elendiges Verenden.“
Auch wenn heute weniger Zäune rund um die Anpflanzungen im Wald gebaut werden, sind diese immer noch eine Art Falle für das Wild. Denn: „Die jungen Triebe hinter den Zäunen sind ein Pralinchen fürs Reh.“Die gleiche Funktion wie die Zäune hätten auch die Plastikröhren, die man in den Wäldern um junge Pflanzen gestülpt sieht. Eine Möglichkeit auf Zäune und Plastik zu verzichtet, ist eine konsequente Jagd: „Der Idealfall ist, dass wir den Wildbestand so im Griff haben, dass man die Bäume nicht vor den Rehen schützen muss“, erklärt Lutz.
Aber nicht nur die fürs Wild appetitlichen jungen Triebe können dafür sorgen, dass sich ein Rehbock in einem Zaun verfängt. „Wenn dem Bock das frische Geweih wächst, sägt und schrubbt er es an Bäumen ab – das kann er unter Umständen auch an einem Zaun machen“, so der Jäger.
Eine Schwierigkeit an alten Zäunen im Wald: Sie sind schwer zu entfernen. Ohne Traktor sei das laut Lutz kaum möglich. „Da wachsen irgendwann Brombeeren und Haselnussbüsche drüber und dann kriegt man den Zaun kaum mehr aus dem Wald“, so der Jäger „Deswegen liegen viele Zäune im Wald rum.“Das könne auch für Hunde eine Gefahr darstellen.
Zuständig für den Abbau der Zäune sei „definitiv der Waldbesitzer“, sagt der Kreisjägermeister. Egal ob Privatwald, wo die Zäune häufiger eingesetzt würden, oder Staatsforst gelte: „Irgendwann, wenn die Bäumchen schön gewachsen sind, scheren sich die Leute einfach nicht mehr darum“.
Sollte sich dann ein Tier darin verfangen und ein Spaziergänger oder Pilzsammler entdeckt es, weiß Peter Lutz, was zu tun ist: „Man sollte den Jäger anrufen, der ist zuständig und kümmert sich darum.“Will man herausfinden, wer der entsprechende Jäger ist, ruft man am besten bei der örtlichen Gemeindeverwaltung an. „Wenn das Tier noch lebt, ist der Tierschutz das oberste Gebot. Man kann dann auch die Polizei anrufen, weil es oft darum geht, Leid zu vermeiden und das Tier schnellstmöglich zu töten.“Polizisten machen dies aber, so der Kreisjägermeister, „ganz ganz ungern“. Besser sei es, einen Jäger hinzuzuziehen, um die Situation zu beurteilen.
Das gelte nicht nur dann, wenn ein Reh sich durch einen Zaun in einer misslichen Lage befindet. „Es gibt ganz viele Sachen, die nicht in den Wald gehören und schlecht für die Tiere sein können.“
Ob eine alte Getränkedose oder der Verschluss einer Cola-Flasche: „Da tritt ein junges Reh hinein, wächst und irgendwann schneidet das Plastik ins Fleisch.“Deswegen der generelle Appell des Jägers: „Haltet den Wald sauber, auch im Sinne des Tierschutzes.“Bei seiner Entdeckung hat Anton Waibel noch darüber hinaus gehandelt. „Eigentlich wäre es mich ja nichts angegangen“, sagt der Pensionär, „aber ich habe mir zwei Sonntage Zeit genommen, und den Zaun abmontiert.“