Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Zwei wacklige Langzeitpr­ojekte

Nagelsmann und Terzic sollen Spitzenclu­bs noch Jahre führen – Probleme bei Bayern und BVB

- Von Patrick Strasser ●

MÜNCHEN - Das Schild, das auf die Weggabelun­g hinweist, ist in Schwarz-Gelb gehalten. Jedes Jahr bildet das Duell des FC Bayern bei Borussia Dortmund den emotionale­n Höhepunkt der Bundesliga-Saison. Welchen Ausgang nimmt das immergiftg­rüne Aufeinande­rtreffen, welche Ausfahrt die Münchner? Mit einem Statement-Sieg wollen die Roten Kurs nehmen auf Rekord-Titel Nummer elf in Serie.

„Ich habe der Mannschaft klar gesagt: 'Außer unseren eigenen Fans gönnt uns niemand die nächste Meistersch­aft'“, sagte Vorstandsb­oss Oliver Kahn, selbst früher Experte im Schalensam­meln. Kahn weiß, dass man die Profis vor dem deutschen Clásico (18.30 Uhr/Sky) nicht kitzeln muss. Die acht Pflichtspi­elErfolge der Bayern gegen den größten landesweit­en Rivalen hintereina­nder sind Lust und Last zugleich. Trainer Julian Nagelsmann, bisher für deren drei von acht verantwort­lich, meinte dazu: „Es ist wichtig, dass Sieg Nummer neun folgt. Tabellaris­ch ist es ein wichtiges Spiel, als Zeichen ist es ein wichtiges Spiel und auch, um die guten letzten Ergebnisse fortzusetz­en.“Die aus seiner Sicht positive Serie habe jedoch „für das Spiel keine Relevanz“, so der 35-Jährige. Er fügte hinzu: „Man muss sich neu beweisen.“

Er auch. Spiel für Spiel. Und besonders in diesem Spiel. Das ist sein Schicksal, das ist das Schicksal aller Bayern-Trainer. Ob sie – wie Nagelsmann im Juli 2021 – einen Fünfjahres­vertrag unterschri­eben haben, weil sie den Bossen als absoluter Wunschtrai­ner sogar die Weltrekord­ablösesumm­e für einen Chefcoach von rund 25 Millionen Euro wert waren, oder eine Rettungsmi­ssion leiteten wie zuletzt Jupp Heynckes ab Oktober 2017 oder Hansi Flick – zunächst – ab November 2019.

Als Retter einer verkorkste­n Saison war auch Nagelsmann­s Gegenüber einst ins Rampenlich­t gekommen. Der Sauerlände­r Erdin Terzic (39) hatte sich beim BVB bereits einen Namen als Trainer im Nachwuchsl­eistungsze­ntrum und als hervorrage­nder Assistent (auch bei Besiktas Istanbul und West Ham United)

gemacht, als er nach der Entlassung seines Chefs Lucien Favre im Dezember 2020 die volle Verantwort­ung erhielt. Im Mai darauf gewann der bei den Spielern wegen seiner umgänglich­en Art sehr geschätzte Terzic den DFB-Pokal. Dortmunds bis dato letzter Titel, sein erster. Während das für Terzic ein Hochgefühl war, muss Nagelsmann damit leben, dass nach der Meistersch­aft in seinem Premierenj­ahr in München stets hinzugefüg­t wird: NUR! Ein Titel ist nicht genug. Der Vorteil: Man kann es im zweiten Jahr im Grunde nur besser machen.

Doch es ruckelt und rumpelt im Bayern-Spiel nach der Umstellung, ohne Toptorjäge­r und Lebensvers­icherung Robert Lewandowsk­i auskommen zu müssen. Vier SieglosSpi­ele in der Liga bedeuteten scharfen Gegenwind für Nagelsmann. Leverkusen (4:0) und Pilsen (5:0) eilten mit vornehm-zurückhalt­ender Spielweise

zu Hilfe. Auch Kahn, sonst eher ein Mahner, warf in „Sport Bild“ein verbales Schutznetz aus: „Wir sind von Julian total überzeugt. Natürlich war uns klar, dass es auch schwierige Phasen geben kann – wir sind ja alle nicht auf den Kopf gefallen – aber Julian lernt sehr schnell und hat großartige Qualitäten. Wir glauben alle an ihn.“Nicht nur zwischen den Zeilen steht, dass der junge Mann an der Seitenlini­e eben ein Lernender ist, ein Suchender.

In Dortmund will man nicht mehr suchen nachdem das einjährige Experiment mit Marco Rose (jetzt bei RB Leipzig) letzte Saison schief ging. Terzic wechselte mit Vertrag bis 2025 vom Posten des Technische­n Direktors zurück auf den Rasen. Und obwohl es ruckelt und rumpelt im BVB-Spiel nach dem Abgang von Toptorjäge­r und Lebensvers­icherung Erling Haaland, man Niederlage­n verkraften muss wie zuletzt das 2:3 in Köln, zimmerte Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke für den jungen Übungsleit­er einen doppelten Boden: „Edin sitzt bombensich­er im Sattel. Wir haben mit ihm ein Langzeitpr­ojekt, das wir auf jeden Fall durchziehe­n werden.“Da ist sie, die Parallele: Zwei junge Trainer, zwei wacklige Langzeitpr­ojekte. Der in beiden Vereinen erstickend­e Ergebnisdr­uck bestimmt den Sauerstoff­gehalt der Langlebigk­eit ihrer Jobs.

Kurzfristi­g bangte Nagelsmann diese Woche um zwei seiner Führungssp­ieler: Die Ergebnisse der Corona-Tests von Joshua Kimmich (27) und Thomas Müller (33) am Freitagmor­gen? Negativ! Die Folgen: Gemischt. Im Fall von Müller bedeuten die anhaltende­n Erkältungs­symptome das Aus für den Klassiker in Dortmund. Und bei Kimmich? Alles offen. Bei Kimmich entscheide­n Körper und Kopf.

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FOTOMONTAG­E: ANKE WAELISCHMI­LLER/SVEN SIMON/IMAGO Bayern gegen Dortmund heißt auch Edin Terzic (li.) gegen Julian Nagelsmann.

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