Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Das nächste Kapitel
Judo-Weltmeisterin Anna-Maria Wagner vom KJC Ravensburg strebt Titelverteidigung an
- Für Anna-Maria Wagner vom KJC Ravensburg steht der Höhepunkt ihres Wettkampfjahrs an. In der usbekischen Hauptstadt Taschkent geht sie am kommenden Dienstag bei der Judo-Weltmeisterschaft als Titelverteidigerin auf die Matte. Mit einem erneuten Erfolg würde die 26-Jährige ihrer Karriere das nächste große Kapitel hinzufügen. „Ich bin gut vorbereitet, ich fühle mich gut“, sagt Wagner.
11. Juni 2021: Anna-Maria Wagner wirft in der Verlängerung des WMFinales in der Klasse bis 78 Kilogramm die Titelverteidigerin Madeleine Malonga aus Frankreich entscheidend auf die Matte. Sekundenbruchteile später stößt die aus Ravensburg stammende Wagner einen lauten Schrei aus. Sie hat es geschafft. Nach 28 Jahren hat JudoDeutschland wieder eine Weltmeisterin. Wagner wird in den Schlagzeilen zur „Matten-Queen“ernannt, der Boulevard-Begriff „Wagner-Wahnsinn“folgt unweigerlich. Zurücklehnen darf sie sich nach dem unerwarteten Erfolg bei der WM nicht, denn wenige Wochen später stehen die Olympischen Spiele in Tokio an. Dort holt sie Bronze im Einzel und mit der Mannschaft. Am Ziel ihrer Träume fällt Wagner in ein tiefes Loch. Post-Olympia-Depression, der Gang mit den Problemen an die Öffentlichkeit, dreimal infiziert sie sich mit dem Coronavirus – vom Genuss des Weltmeisterstatus keine Spur. „Bis Ende 2021 haben mir die Lust und Leidenschaft für den Sport gefehlt, ich habe mit dem Gedanken gespielt, mit dem Leistungssport komplett aufzuhören“, sagte die 26-Jährige: „Ich hatte ein tolles Umfeld, auch meine Trainer haben mir zu keiner Zeit Druck gemacht, wann ich wieder zurückkommen muss.“
Wagner, diese große Kämpferin, arbeitete sich wieder an die Spitze. Zur Titelverteidigung tritt sie als Weltranglistenerste an, die ganze Saison hindurch blieb sie ungeschlagen. Die letzte Niederlage ist immer noch die im olympischen Halbfinale gegen die Japanerin Shori Hamada. Gerade einmal zwei Grand-SlamTurniere hat Wagner absolviert – und gewonnen: im April im türkischen Antalya und im Juni im georgischen Tiflis. Den Wettkampf in Budapest verpasste sie wegen ihrer dritten Corona-Infektion, die Europameisterschaft, bei der Landsfrau Alina Böhm den Titel holte, ließ Wagner aus. Die volle Konzentration im Sommer lag auf der WM. Auf dem Turnier, bei dem sie wiederholen will, was sie im vergangenen
Jahr schon einmal geschafft hat: das rote Rückenschild, das sie als Weltmeisterin ausweist.
Wird es also wieder ein ganz besonderer Tag? Anna-Maria Wagner gibt eine typische Anna-Maria-Wagner-Antwort: „Es wird ein Turnier wie jedes andere.“Dass sie mit so einer Einstellung nach Usbekistan gereist ist, hat Methode. Denn damit ist sie in den vergangenen Jahren bestens gefahren. Während andere die Wettkämpfe mit Erwartungshaltung aufluden und überhöhten, blieb Wagner ganz ruhig, konzentrierte sich auf den nächsten Kampf – und gewann. Am Donnerstag ist die Wahl-Kölnerin mit ihren Teamkollegen nach Taschkent
geflogen, um sich vor Ort ein paar Tage lang einzuleben und gezielt vorzubereiten. Darauf wird es sehr ankommen, denn es werden wieder fast alle da sein, mit denen sie sich in den vergangenen Jahren auseinandersetzen musste. Die Französin Malonga natürlich, die insgesamt starke europäische Konkurrenz, die Olympiasiegerin Hamada – und eine starke nationale Konkurrentin. Die heißt diesmal aber nicht Luise Malzahn, sondern Alina Böhm. Nach mehreren schweren Verletzungen und einem Aufstieg in der Gewichtsklasse ist die 24-Jährige voll durchgestartet, hat sich im Sommer den Europameistertitel geholt – und Wagners scheinbar ewige Rivalin bei der nationalen Nominierung ausgestochen.
Am Dienstag wird Anna-Maria Wagner in Taschkent die Wettkampfmatte betreten. „Ich schaue nicht nach links, nicht nach rechts und mache mir keinen Kopf“, sagt sie – in dem Wissen, dass sie dann am stärksten ist: „Ich will gewinnen, das ist wieder das Ziel. Ich will ganz oben stehen.“In der ersten Runde trifft sie auf die Niederländerin Natascha Ausma. Im Viertelfinale könnte es zu einem deutschen Duell zwischen Wagner und Böhm kommen.
„Ich schaue nicht nach links, nicht nach rechts und mache mir keinen Kopf.“
Anna-Maria Wagner