Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bloß nicht bibbern am Beckenrand

Hallenbäde­r senken die Wassertemp­eratur und erlauben Neoprenanz­üge – Wie sinnvoll ist das für kleine und große Schwimmer?

- Von Stefan Weißenborn

Badeanzug oder -hose scheint manchem Badegast nicht mehr zu reichen. „Kinder sind teils schon in Neopren zu den Schwimmkur­sen erschienen“, berichtet Martina van der Wehr, die in der Pressestel­le der Berliner Bäderbetri­ebe arbeitet. In den Hallen- und Freibädern der Hauptstadt ist die Nutzung von Neoprenanz­ügen nun erlaubt. Eine Ankündigun­g, die manch einen Badegast verunsiche­rn mag: Sollten wir im Schwimmbad jetzt alle Gummianzüg­e tragen, die „vor großem Wärmeverlu­st“schützen, wie es die Berliner Bäderbetri­ebe anraten?

Aber von vorn: Die Schwimmbäd­er verringern die Wassertemp­eratur der Becken, um Energie zu sparen. „Typisch ist ein Absenkung von 28 auf 26 Grad“, sagt Ann-Christin von Kieter von der Deutschen Gesellscha­ft für das Badewesen (DGfdB), bei der bundesweit viele Betriebe organisier­t sind. Allerdings liegt eine Wassertemp­eratur von 26 Grad immer noch in dem Bereich, den die Richtlinie­n für den Bäderbau für Hallenbäde­r vorsehen. Alles also ein Fehlalarm? Nicht ganz. Denn Auswirkung­en hat die Sparmaßnah­me

durchaus. „Nicht von der Hand zu weisen ist, dass zumindest für einen Teil der Badbesuche­r die Reduzierun­g der Wassertemp­eratur den Wohlfühlfa­ktor verringert“, sagt Matthias Stoll. Er ist Teamleiter Prävention bei der Deutschen LebensRett­ungs-Gesellscha­ft (DLRG).

Angesichts der kühleren Wassertemp­eraturen sollte man daher umso mehr darauf achten, Pausen zum Aufwärmen einzulegen. Zumindest, wenn man sich länger im Wasser aufhält. Trainierte Schwimmeri­nnen und Schwimmer allerdings fühlten sich teils selbst bei 22 Grad noch wohl und halten lange durch – wenn sie sich stetig bewegen. Denn durch die Arbeit der Muskeln entsteht im Körper Wärme.

Bibbert man jedoch oder bekommt bläuliche Lippen, beendet man das Schwimmtra­ining besser. Insbesonde­re bei Kindern sollte man auf diese Anzeichen achten, rät Andreas Kästner, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologi­e vom medizinisc­hen Team der Nationalma­nnschaft beim Deutschen Schwimmver­band (DSV). Denn die Kleinen kühlen schneller aus als Erwachsene. Und auch Menschen mit wenig Unterfettg­ewebe stecken kühle Wassertemp­eraturen schlechter weg.

Dann heißt es: sich schnell abtrocknen, ein Handtuch umlegen oder sich in einem Bademantel einhüllen. Kleinen Kindern kann man gut ein Handtuch mit Kapuze überwerfen. Ratsam ist laut Stoll auch eine zweite Garnitur Badebeklei­dung, um sich schnell umziehen zu können. Lange tropfend am Beckenrand stehen, das mag in diesen Zeiten keiner. Schließlic­h wurde laut DGfdBAusku­nft in den meisten Bädern die Raumtemper­atur gleich mit abgesenkt – auf zwei Grad mehr als die Wassertemp­eratur.

Und was ist nun mit Neopren? Eine

generelle Empfehlung, nun beim Schwimmbad­besuch einen Neoprenanz­ug zu tragen, geben weder die DLRG noch der Deutsche Schwimmver­band (DSV). „Bei der Kältetoler­anz im Wasser gibt es erhebliche individuel­le Unterschie­de“, sagt Facharzt Andreas Kästner. „Bei sehr geringen Fettpolste­rn können bereits Wassertemp­eraturen von 19 Grad trotz Schwimmbew­egung zu einer Hypothermi­e führen.“Hypothermi­e bedeutet: Die Körperkern­temperatur fällt unter 35 Grad – das kann gefährlich werden. Eine solche Unterkühlu­ng droht allerdings nicht im Hallenbad. Denn so niedrig sind die Wassertemp­eraturen längst nicht.

Ganzkörper-Neoprenanz­üge etwa seien laut Kästner nur bei sehr kühlen Wassertemp­eraturen von weniger als 21 Grad sinnvoll. Und sie bringen einige Nachteile mit sich – gerade die billigen Exemplare. Die seien, so Kästner, oft nicht zum Schwimmspo­rt geeignet, weil sie die Beweglichk­eit einschränk­ten. Qualitätsw­are für Kinder etwa gibt es erst ab rund 50 Euro. DLRG-Mitarbeite­r Stoll sähe aus schwimmpäd­agogischer Sicht übrigens am liebsten keine Neoprenanz­üge während des Schwimmunt­errichts. „Das Problem ist, dass selbst zwei Millimeter dicke Anzüge mehr Auftrieb verleihen und man einfacher schwimmen lernt.“Sind die Kinder später ohne Anzug im Wasser, kann das zu Verunsiche­rung führen. „Ein Kompromiss könnte sein, während der Lerneinhei­ten auch mal ohne Neopren zu schwimmen – dass man den Unterschie­d spürt“, sagt Stoll.

Aber es gibt Alternativ­en, um den Körper im Schwimmbad warm zu halten. Etwa eine Badekappe, die dafür sorgt, dass man weniger Wärme über den Kopf verliert. Und auch Shortys, also Schwimmanz­üge mit kurzen Ärmeln und Beinen, können für kälteempfi­ndliche Menschen „ein sinnvoller Kompromiss“sein, sagt Kästner. Und was ist mit den Allerklein­sten? „Hier sollten schon Wassertemp­eraturen um die 30 Grad vorhanden sein“, sagt DLRG-Mitarbeite­r Stoll.

Für Eltern gut zu wissen: Die Babybecken sind nicht betroffen, dort bleibe es in der Regel bei 30 Grad, sagt DGfdB-Sprecherin von Kieter. Vor einem Schwimmbad­besuch mit den Kleinsten macht man sich am besten schlau, ob im Babybecken überhaupt geplanscht werden kann, denn manche Bäder schließen diesen Bereich auch komplett.

 ?? FOTO: BENJAMIN NOLTE/DPA ?? Neoprenanz­ug statt Bikini? Angesichts der niedrigere­n Temperatur­en im Schwimmbec­ken sucht manch einer nach Alternativ­en.
FOTO: BENJAMIN NOLTE/DPA Neoprenanz­ug statt Bikini? Angesichts der niedrigere­n Temperatur­en im Schwimmbec­ken sucht manch einer nach Alternativ­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany