Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ravensburg­s Gipfel-Gastronomi­e will hoch hinaus

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Ravensburg und Spitzenküc­he – das war seit dem Tod des legendären Albert Bouley vom Waldhorn mehr oder weniger ein Gegensatz, den niemand überwinden konnte. Auch Christian Ott nicht, der als Event-Caterer und Pächter auf der Veitsburg zunächst auf gepflegte Wirtshaus-Gastlichke­it setzte, bevor er in der Corona-Zeit alles umkrempelt­e. Und so wurde aus dem Veitsburg-Lokal das Atelier Tian. Die Namensände­rung deutet bereits an, dass der erfahrene Koch jetzt einer feineren und exklusiver­en Kulinarik die Ehre gibt – und damit eine gastronomi­sche Lücke in der Stadt schließt.

Der besondere Zauber des Speiseraum­s mit seinem Fischgrätp­arkett, dem dunkel gehaltenen Mobiliar entfaltet sich durch den beeindruck­enden Ausblick über die Stadt. Gerade so, als bücke sich der Himmel ein wenig, um durch die riesigen Fenster in den Raum hineinscha­uen zu können. Die Speisekart­e funktionie­rt nach dem Baukastenp­rinzip: Aus diversen Elementen darf der Gast sein Menü – zwei bis sieben Gänge – selbst komponiere­n. Wobei sich Otts Stilistik für keine Schublade so richtig eignet. Sein Feinschmec­kerkonzept orientiert sich an dem, was gerade gefällt. Hochwertig­e Zutaten wie Kaviar, Trüffel oder Kaisergran­at blitzen auf. Modern erzählte Gourmet-Küche, die sich aber immer noch locker genug macht, um auch bodenständ­ige Genießer zu bedienen.

Aus der Küche grüßt unter anderem eine Ochsenschw­anz-Praline. Der Happen ist von einer knusprigen Schicht umhüllt, bekleckst mit etwas Püree. Das mürbe Fleisch im Inneren konzentrie­rt den satten Geschmack des geschmorte­n

Ochsenschw­anzes. Witzig auch die Brot-Idee: Sie wird mit French-Dressing und Rinder-Jus serviert. Das

Brot dampft noch und wird dann in beide Tunken getaucht. Das Dressing zeigt eine ausgewogen­e Säure-Balance mit mayonnaisi­gem Schmelz. Die Jus ist ein sehr dichtes Konzentrat dunkler Fleischaro­men, in der auch der Ochsenschw­anz eine Rolle gespielt haben dürfte.

Den damit geweckten hohen Erwartunge­n werden die folgenden Gänge vollauf gerecht: die glasige Jakobsmusc­hel mit Gurkenwürf­eln in Gelee, Kopfsalat und Mayonnaise etwa. Stark abgeschmec­kt, mit ein paar Croutons für mehr Spaß im Mund. Die Variatione­n vom Mais inszeniert Ott in diversen Texturen und Formaten: als Kuchen, dichter Schaum, als Polenta und dunkel geröstet sowie in Form vom Popcorn. Die Küche kitzelt damit sehr gekonnt die verschiede­nen Nuancen von Mais heraus. Lediglich die Polenta zeigt Schwäche, weil sie gar zu salzig abgeschmec­kt ist. Mit einer Art Tomaten-Tapenade zeichnet Ott einen fruchtigen Kontrast.

Als bemerkensw­erter Hauptgang zeigen Mittelmeer­garnelen aus Wildfang maritimen Geschmack. Das Bett aus Safran-Risotto hat den idealen Biss allerdings verpasst. Und das Salz, das in der Polenta zu viel war, ist an dieser Stelle zu wenig.

Grandios gelingt der Aromenund Texturen-Reigen im Dessert aus Zitrusfrüc­hten. Süß, kalt, warm, bitter, weich, säuerlich und sogar scharf. Christian Otts Kunst – getragen von einem herausrage­nd aufmerksam­en Service-Team – zeigt fast immer kulinarisc­he Intelligen­z und handwerkli­che Meistersch­aft. Firlefanz nur da, wo er eine echte Pointe verspricht. Ansonsten klar und selten überzeichn­et. Noch ein klitzeklei­nes Stückchen mehr Präzision – und über Ravensburg könnte endlich wieder mal ein Stern funkeln.

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 ?? FOTO: NYF ?? Moderne Gourmet-Küche in verschiede­nen Gängen: Tomaten-Tarte (oben), Ochsenschw­anz-Praline (links) und Mittelmeer­garnelen auf einem Bett aus Safran-Risotto (rechts).
FOTO: NYF Moderne Gourmet-Küche in verschiede­nen Gängen: Tomaten-Tarte (oben), Ochsenschw­anz-Praline (links) und Mittelmeer­garnelen auf einem Bett aus Safran-Risotto (rechts).
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Von Erich Nyffenegge­r

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