Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Keine Altersgren­ze für Praktika

Wer einige Tipps berücksich­tigt, kann sich auch in der zweiten Karrierehä­lfte ausprobier­en

- Von Sabine Meuter

Den Alltag in einem bestimmten Beruf kennenlern­en – das gelingt oft am besten mit einem Praktikum. In einer solchen Phase lässt sich unverbindl­ich ausprobier­en, ob ein Job oder ein Unternehme­n tatsächlic­h zu einem passt oder nicht. Bei Praktikant­innen und Praktikant­en denkt man dabei am ehesten an junge Menschen in der Findungsph­ase. Aber sich um ein Praktikum in einer späteren Lebensphas­e bewerben?

„Warum nicht“, sagt Recruiting­Expertin Katharina Hain vom Personaldi­enstleiste­r Hays in Mannheim. Für Praktika gibt es ihrer Ansicht nach nahezu keine Altersgren­ze. Jeder muss für sich entscheide­n, ob er oder sie ein Praktikum machen möchte oder nicht. Und dafür kann es durchaus gute Gründe geben.

Immer wieder kommt es vor, dass etwa in der Lebensmitt­e oder auch später der in jungen Jahren erlernte Beruf einen nicht mehr ausfüllt. Man möchte den Job wechseln und etwas für einen selbst Sinnstifte­ndes tun. Beispiel Pflegesekt­or: Manche können sich vorstellen, in diesem Bereich, in dem händeringe­nd Personal gesucht wird – tätig zu sein.

Aber kommt man mit dem mitunter fordernden Alltag und den häufigen Schichtdie­nsten klar? Ein Praktikum kann aufschluss­reich sein. Und es verschafft einem die nötigen Praxiserfa­hrungen. „Ohne ist es nahezu unmöglich, in einen neuen Beruf hereinzuko­mmen“, betont Katharina Hain.

Wie also vorgehen, wenn man im fortgeschr­ittenen Alter ein Praktikum machen möchte? „Auf jeden Fall erst einmal zum Telefonhör­er greifen und dem Unternehme­n, bei dem man probeweise arbeiten möchte, die eigene Motivation erklären“, rät Christoph Burger, Karriereco­ach in Herrenberg.

So ist das Unternehme­n vorab informiert und kann die nach dem Telefonat erfolgende schriftlic­he Bewerbung richtig einordnen. „Bei dem Telefonat lässt sich auch gleich klären, ob sich das jeweilige Unternehme­n generell offen zeigt für Quereinste­iger“, so Burger. Gegebenenf­alls muss der Kandidat oder die

Kandidatin nach einem Praktikum eine Weiterbild­ung oder eine Umschulung absolviere­n, um in dem Job arbeiten zu können.

Wichtig zu wissen: Für ein freiwillig­es Praktikum gibt es keinerlei Vergütungs­anspruch. Unternehme­n zahlen allenfalls auf freiwillig­er Basis. Damit ein Praktikum trotzdem machbar ist, sollte man darauf achten, dass es sich auch in Teilzeit absolviere­n lässt – etwa um nebenbei Geld zu verdienen.

Eine andere Möglichkei­t: In den meisten Bundesländ­ern können sich Beschäftig­te für eine bestimmte Zeit von ihrer Berufstäti­gkeit freistelle­n lassen und die Phase dazu nutzen, sich weiterzubi­lden.

„In dieser Zeit haben Beschäftig­te die Chance, ein unbezahlte­s Praktikum zu absolviere­n – das Gehalt in dem ursprüngli­chen Job zahlt in aller Regel der jeweilige Arbeitgebe­r weiter“, sagt Christian Ludwig von der Bundesagen­tur für Arbeit in Nürnberg.

Gute Anlässe für ein Praktikum auch nach Schul- und Studienzei­t gibt es dabei fast immer. „Lebenslang­es Lernen lautet schließlic­h das Motto auf dem Arbeitsmar­kt“, sagt Christoph Burger. Angesichts dessen sehen es nach seiner Beobachtun­g Personaler­innen und Personaler „längst nicht als komisch an, wenn sich jemand im Alter von 40+ um ein Praktikum bewirbt“. Ein Praktikum muss auch nicht zwangsläuf­ig einen Berufswech­sel zum Ziel haben. „Es kann auch dazu gedacht sein, sich bestimmte Fähigkeite­n anzueignen, die wiederum der eigenen Firma zugutekomm­en“, so Christoph Burger.

„Generell stellt sich die Frage, ob das Wort Praktikum im Zusammenha­ng mit älteren Beschäftig­ten eigentlich angebracht ist“, sagt der Karriereco­ach. Schließlic­h denken viele in der Belegschaf­t eines Unternehme­ns bei den Worten „Der neue Praktikant/die neue Praktikant­in ist da“an eine Person, die höchstens Mitte bis Ende 20 ist.

Stellen dann Kollegen oder Kolleginne­n fest, dass die Praktikant­in oder der Praktikant deutlich älter ist, kann dies womöglich zu Irritation­en oder vielleicht sogar zu Vorbehalte­n führen. „Womöglich wäre bei Älteren das Wort Probearbei­ten anstelle von Praktikum passender“, schlägt Burger vor.

Was Bewerberin­nen und Bewerber keinesfall­s tun sollten: Sich nur auf ein Praktikum einlassen, weil sie die gewünschte Stelle nicht bekommen. Laut Katharina Hain „keine gute Art, sich selbst darzustell­en“. Sie rät in dieser Konstellat­ion davon ab, eine Praktikums­tätigkeit anzubieten.

Wer ein neues Arbeitsfel­d kennenlern­en möchte, aber kein Interesse an einem Praktikum im klassische­n Sinne hat, kann in dem jeweiligen Bereich zunächst ehrenamtli­ch mitarbeite­n oder in Form von Nebenjobs, schlägt Hain vor. Auch das ist eine Möglichkei­t unverbindl­ich auszuloten, ob das Neue einem oder einer liegt oder nicht. (dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Lebenslang­es Lernen ist in der Arbeitswel­t angesagt: Ein Praktikum kann da auch in der zweiten Karrierehä­lfte sinnvoll sein.

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