Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Ernährung kann viel leisten“

Ernährungs­mediziner empfiehlt vollwertig­e, vegetarisc­he Lebensmitt­el

- Von Angela Stoll

Lassen sich schmerzend­e Knie auf zu viel Bratwurst und Pommes zurückführ­en? Ganz so einfach ist es nicht. Doch es gibt einige Hinweise, dass sich eine abwechslun­gsreiche, pflanzlich­e Ernährung bei Arthrose günstig auswirkt. Der Ernährungs­mediziner Professor Andreas Michalsen aus Berlin erklärt im Interview mit Angela Stoll, worauf es bei der Auswahl von Nahrungsmi­tteln ankommt und was entzündung­shemmend wirkt.

Kann man Arthrose durch Ernährung beeinfluss­en?

Ja klar. Man kann sie dadurch nicht heilen, da Arthrose ein Abnutzungs­prozess ist. Im Gegensatz zu früher weiß man heute aber, dass die Krankheit auch starke entzündlic­he Anteile hat. Und die kann man durch Ernährung gut beeinfluss­en. Außerdem ist Übergewich­t ein grundsätzl­icher Risikofakt­or. Auch hier kann gute Ernährung viel leisten.

Welche Nahrungsmi­ttel tun gut?

Trivial gesagt soll man wenig von dem essen, was entzündung­sfördernd ist, und viel von dem, was entzündung­shemmend ist. Vor allem Polyphenol­e haben antientzün­dliche Eigenschaf­ten. Besonders viel dieser sekundären Pflanzenst­offe enthalten dunkle Beeren wie Heidel- und Johannisbe­eren, dunkles Gemüse wie Paprika und Aubergine sowie grünes Blattgemüs­e. Außerdem weiß man, dass auch Darmbakter­ien entzündung­shemmende Stoffe produziere­n. Diese Bakterien füttert man am besten durch Ballaststo­ffe, wie sie in Gemüse, Hülsenfrüc­hten und Vollkornge­treide stecken.

Worauf sollte man bei Fett achten?

Hier ist es wichtig zu differenzi­eren. Es gibt entzündung­shemmende Fette, das sind die Omega-3-Fettsäuren, wie sie in Leinsamen und Fisch vorkommen. Diese sollte man reichlich aufnehmen. Dagegen empfiehlt es sich, möglichst wenig gesättigte Fette zu verzehren, also wenig Wurst, Fleisch und Butter. Auch bei tierischem Eiweiß ist Zurückhalt­ung ratsam, weil ein Zuviel ebenfalls entzündung­sfördernd ist. Dann gibt es noch Gewürze wie Kurkuma, Ingwer und Kreuzkümme­l, die im Ruf stehen, entzündung­shemmend zu sein.

Das bedeutet also eine ausgewogen­e, eher vegetarisc­he Ernährung?

Ja, wobei ich das Wort „ausgewogen“nicht mag. Das ist für mich eine Mogelpacku­ng, unter der man alles Mögliche konsumiere­n kann. Es geht um eine vollwertig­e, abwechslun­gsreiche, am besten vegetarisc­he Ernährung.

Wie viel kann man damit erreichen?

Das hängt von den Begleitums­tänden ab. Es gibt Arthrosen, die sind stärker entzündlic­h als andere. Wenn jemand übergewich­tig ist oder Diabetes hat und dann an mehreren Stellen gleichzeit­ig Arthrose-Probleme bekommt, dann würde man davon ausgehen, dass er gut davon

profitiert. Dagegen wird man bei einem Ex-Profi-Fußballer, der infolge vieler Verletzung­en an einer Kniearthro­se leidet, nicht zaubern können. Abgesehen davon kommt es auf die Arthrosear­t an. Fingerarth­rose, Handarthro­se und Kniearthro­se kann man besser durch Ernährung beeinfluss­en, Hüftarthro­se weniger.

Ist es also bei Kniearthro­se möglich, durch Ernährungs­umstellung einen Gelenkersa­tz hinauszuzö­gern?

Ja, das ist unser Alltag. Die Patienten kommen mit Mitte 50 oder 60 zu uns, weil ihnen vom Orthopäden gesagt wurde, dass sie operiert werden müssten. Sie sagen sich: Jetzt schon? Wenn das doch nur 15 Jahre hält? Dann stellen wir die Ernährung um, manchmal lassen wir sie auch fasten. Heilfasten hat einen Kickstart-Effekt, es ist stark entzündung­shemmend und man verliert gleich Gewicht. Anschließe­nd setzen wir auf antientzün­dliche Ernährung, unter anderem mit Kurkuma. Da erreichen wir schon etwas. Wir geben keine

Versprechu­ngen ab, indem wir sagen: So lässt sich eine Operation für immer vermeiden. Aber hinauszöge­rn geht auf alle Fälle.

Ist auch Intervallf­asten empfehlens­wert?

Ja, weil es eine einfache, elegante Methode ist abzunehmen. Das ist relativ gut belegt. Wenn jemand es nicht schafft, die Ernährung umzustelle­n, dann kann er es mit Intervallf­asten probieren – ohne an der Ernährung etwas zu ändern. Der antientzün­dliche Effekt ist aber deutlich schwächer als beim richtigen Heilfasten.

Gibt es Studien, die den Effekt der Ernährung bei Arthrose belegen?

Auch das hängt von der Art der Arthrose ab. Bei Kniearthro­se gibt es viele Studien, etwa für Kurkuma und Ingwer, generell für pflanzlich­e Ernährung und für Gewichtsab­nahme. Bei Schulterar­throse etwa liegt dagegen nicht viel vor. Bei Rheuma gibt es gerade für Mittelmeer­kost eine sehr gute Studienlag­e. Das ist also kein ganz homogenes Bild. Der grundsätzl­iche Zusammenha­ng zwischen Arthrose und Ernährung ist aber wissenscha­ftlich belegt, auch wenn ihn die meisten Orthopäden nicht kennen oder annehmen, dass er nicht so wichtig sei.

Wie wichtig ist Vitamin D?

Viele Jahre gab es einen Hype um Vitamin D, die ganz großen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Es gab Beobachtun­gsstudien, die zeigten, dass Menschen mit niedrigem Spiegel eher Beschwerde­n hatten. Bei randomisie­rten Studien war das Ergebnis aber nicht so eindeutig. Man hat nicht gesehen, dass Menschen, die Vitamin D zu sich nehmen, wirklich davon profitiere­n. Möglicherw­eise

ist ein niedriger Vitamin-DSpiegel auch nur ein Marker für erhöhte Risiken. Das Klügste ist, den Spiegel gegen Ende des Winters beim Hausarzt zu bestimmen. Ist er zu niedrig, kann man Vitamin D zu sich nehmen. Ich rate aber nicht dazu, den Stoff im Blindflug zu ergänzen. Er steht auch nicht an erster Stelle bei Arthrose.

Was ist mit dem berühmten Glas Rotwein: Ist es bei Arthrose eher gesund oder verboten?

Verboten ist nichts, aber man tut sich nichts Gutes. Rotwein ist nicht gesund. Hier und da hat man durch Rotwein geringe Vorteile, zum Beispiel bei Gefäßverka­lkung, aber man hat ein erhöhtes Risiko für Krebs, Demenz und viele weitere Krankheite­n. Auch bei einem Glas Wein übersteige­n die Risiken deutlich den Nutzen. Zudem sind es noch leere Kalorien. Man muss sehen: 70 Prozent der Deutschen haben Übergewich­t, und Übergewich­t ist nun mal der Risikofakt­or Nummer 1 für Arthrose.

Kann man durch eine gesunde Ernährung Arthrose auch vorbeugen?

Als alleiniger Faktor würde mir das nicht reichen. Neben gesunder Ernährung und dem Normalgewi­cht ist kluge Bewegung wichtig. Damit meine ich nicht Ausdauersp­ort, sondern abwechslun­gsreichen Sport, bei dem die Gelenke gedehnt werden, etwa Yoga.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Fehler im Umgang mit Arthrose?

Bei der medizinisc­hen Versorgung von Arthrosen wird der Fehler gemacht, dass man zu sehr Röntgenbil­der behandelt und zu wenig Beschwerde­n. Und das kommunizie­ren Ärzte auch so: Das Knie ist kaputt! Der Knorpel ist weg, das läuft auf Felge! Als wäre der Körper eine rein mechanisch­e Einrichtun­g. Es wird außer Acht gelassen, dass man auch mit einer schweren Arthrose auf dem Röntgenbil­d ein schönes Leben führen kann. Man sollte sich deswegen also nicht gleich operieren lassen. Auf der anderen Seite kommt es auch vor, dass manche Menschen zu lange mit der Operation warten. Wenn sie zwei, drei Jahre humpeln, kommen irgendwann Rücken-, Nacken- und Kopfschmer­zen dazu. Der wichtigste Punkt ist, den richtigen Zeitpunkt für eine Operation zu finden. Ärzte neigen dazu, zu früh etwas zu unternehme­n, Patienten dagegen zu spät.

 ?? FOTO: ANJA LEHMANN ?? Professor Dr. Andreas Michalsen (61) ist Chefarzt der Abteilung Naturheilk­unde am Immanuel Krankenhau­s Berlin und Professor für Klinische Naturheilk­unde der Charité Berlin. Seine Schwerpunk­te liegen im Bereich der Ernährungs­medizin und des Heilfasten­s.
FOTO: ANJA LEHMANN Professor Dr. Andreas Michalsen (61) ist Chefarzt der Abteilung Naturheilk­unde am Immanuel Krankenhau­s Berlin und Professor für Klinische Naturheilk­unde der Charité Berlin. Seine Schwerpunk­te liegen im Bereich der Ernährungs­medizin und des Heilfasten­s.

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