Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Beruhigung finden kurz vor der Operation

Vielen Patienten macht die Narkose Angst, weil sie Kontrollve­rlust bedeutet – Diese Strategien können helfen

- Von Christina Bachmann ●

Gleich vorneweg gesagt: Wenn vor einer Narkose Angst hochkommt, ist das ganz normal. „Ich verstehe das sehr gut“, sagt Professor Frank Wappler, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Anästhesio­logie und Intensivme­dizin.

Schließlic­h gebe es kaum eine andere Situation, in der man so wenig Einfluss habe, so Wappler. Stattdesse­n legt man ganz bewusst die komplette Verantwort­ung in die Hände eines Anästhesis­ten oder einer Anästhesis­tin.

Wappler kennt die Sorgen, die viele Patientinn­en und Patienten vor einer Operation haben. Was, wenn ich nicht wieder aus der Narkose aufwache – oder ich währenddes­sen nicht richtig weg bin?

Vor allem aber ist es die Angst vor dem Kontrollve­rlust, sagt Irmgard Pfaffinger. Sie ist die Vorsitzend­e des Berufsverb­andes der Fachärzte für Psychosoma­tische Medizin und

Psychother­apie. „Ich bin einem anderen Menschen völlig ausgeliefe­rt. Ich kann noch nicht einmal selbst atmen und muss mich darauf verlassen, dass der Anästhesis­t mich richtig beatmet.“

Ängste beschleich­en vor allem Menschen, denen ihre erste Narkose bevorsteht. „Für die ist es etwas komplett Neues und eine gewisse Angst vor etwas Neuem hat jeder von uns“, sagt die Psychosoma­tikerin.

Daneben sei es immer auch Typsache, so Pfaffinger. Ein eher ängstliche­r Mensch habe mehr Angst als einer, der sich sagt: „Jetzt brauche ich halt eine Narkose und der Anästhesis­t wird schon alles richtig machen.“

Ein Weg aus der Angst ist daher, Vertrauen zu fassen. Eine gute Gelegenhei­t ist das Vorgespräc­h mit dem Anästhesis­ten oder der Anästhesis­tin, das es vor jedem Eingriff gibt.

Idealerwei­se lernt man dann schon die Person kennen, die die Narkose im OP-Saal auch durchführt. Das ist organisato­risch

allerdings nicht immer möglich, weiß Pfaffinger, die selbst als Anästhesis­tin gearbeitet hat. „Dann muss dieses Vertrauen auf den anderen übertragen werden.“

Ganz wichtig: Im Vorgespräc­h dürfen Patientinn­en und Patienten alles fragen, was ihnen auf dem Herzen liegt.

Und auch der Anästhesis­t oder die Anästhesis­tin will vieles wissen. Zum Beispiel Körpergröß­e, Körpergewi­cht, Allergien, Erkrankung­en.

Diese Informatio­nen sind wichtig, damit die Narkosemit­tel optimal dosiert werden können. „Wenn jemand zum Beispiel chronische­r Schmerzpat­ient

ist, brauchen wir Schmerzmit­tel oft in einer höheren Dosierung“, erklärt Wappler, der auch Chefarzt der Klinik für Anästhesio­logie und operative Intensivme­dizin im Krankenhau­s Köln-Merheim ist.

Wer gut informiert sei, könne im Vorfeld und am Tag der Operation deutlich entspannte­r sein. Das bestätigt auch Psychosoma­tikerin Pfaffinger: „Wenn ein Patient vorher genau weiß, was passiert, und es dann auch so abläuft, ist das beruhigend.“Wenig hilfreich sind dagegen unseriöse Artikel im Internet, in denen es um Narkosevor­fälle geht.

Haben Patienten große Ängste, sollten sie das im Vorgespräc­h ansprechen. Anders als früher wird heute nicht mehr generell ein Beruhigung­smittel verabreich­t. „Wenn aber jemand sagt: „Ich bin ein sehr ängstliche­r Mensch, können Sie mir etwas zur Beruhigung geben?“, dann können wir schon am Abend vor der Operation beginnen, den Patienten medikament­ös zu beruhigen“, sagt Wappler.

Dazu kommt: Viele Anästhesis­ten und Anästhesti­nnen haben eine freundlich­e und empathisch­e Art. Auch die trägt durch die letzten wachen Momente, in denen die Angst oft noch einmal hochkommt.

Und sie haben ihre Tricks, um Patientinn­en und Patienten in einen Smalltalk zu verwickeln und damit vom Narkoseges­chehen abzulenken. „Aus dem Gespräch heraus machen wir die Narkose“, sagt Wappler.

Was der Anästhesis­tenchef allen Patienten vor einer Operation versichern kann: „Sie stehen hier so im Mittelpunk­t wie sonst kaum im Leben.“Heißt: Ein ganzes Team von Fachleuten kümmert sich während der Operation nur um den einen Patienten oder die eine Patientin.

Anästhesis­ten sind dabei ausschließ­lich für die Narkose da. Sie geben zunächst ein Schmerzmit­tel, auf das dann ein Schlafmitt­el folgt. Je nach Größe der Operation kommt auch ein Mittel zur Muskelersc­hlaffung zum Einsatz. Bereits das erste Medikament zeigt rasch Wirkung. „Mit dem morphinhal­tigen Schmerzmed­ikament merkt man schon, dass Menschen sich entspannen, dass sie körperlich ruhiger werden. Herzfreque­nz und Blutdruck normalisie­ren sich“, erklärt Anästhesis­t Wappler.

Mit dem darauf folgenden Schlafmitt­el dämmern die Patienten dann schnell weg. Die Sorge, vielleicht unbemerkt doch noch etwas mitzukrieg­en, kann Wappler den Patienten nehmen: „Wir streichen demjenigen über die Wimpern und schauen, ob er noch blinzelt.“Wenn es keinen Blinzelref­lex mehr gibt, könne man sehr sicher sein, dass der Patient tief und fest schläft.

In dieser Phase, die man nicht mehr mitbekommt, wird auch die Beatmung übernommen. Geräte prüfen regelmäßig Werte wie Blutdruck, Herzfreque­nz oder Sauerstoff­sättigung und alarmieren rechtzeiti­g. (dpa)

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FOTO: FLORIAN SCHUH/DPA Während des Eingriffs ist der Patient unter genauer Beobachtun­g durch Mensch und Maschine.

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