Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Man sollte immer in Bewegung bleiben“
Orthopäde Henning Madry empfiehlt, bei Arthrose-Krankheitsschüben von Gehen auf Radfahren umzusteigen
Laut einer aktuellen USStudie schützt bereits der tägliche Spaziergang vor einer fortschreitenden Kniearthrose. Die Forscher hatten rund tausend über 50Jährige ausgesucht, deren Kniegelenke auf dem Röntgenbild einen beginnenden Gelenkverschleiß zeigten. Vier Jahre später hatten die regelmäßigen Spaziergänger unter ihnen rund 40 Prozent weniger schmerzhafte Kniearthrosen als die Couch-Potatoes. Doch worin besteht der Gelenkschutz des Gehens, fragte Jörg Zittlau den Orthopäden Professor Henning Madry (Foto: Olah Tamas) von der Universität des Saarlandes.
Professor Madry, schützt tägliches Spaziergehen tatsächlich vor einer Kniearthrose, wie es in der Studie behauptet wird?
Ja. Die Ergebnisse der Studie würde ich im Großen und Ganzen unterschreiben. Wenn man eine Arthrose im Knie hat, sollte man nicht etwa passiv bleiben, weil man glaubt, dadurch das Gelenk zu schonen. Sondern man sollte immer wieder ins Gehen kommen und in Bewegung bleiben. Dadurch lässt sich in vielen Fällen das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen.
Wodurch kommt denn dieser Effekt zustande?
Genau wissen wir es nicht. Aber es sind vermutlich drei Faktoren, die dabei eine Rolle spielen. Der erste: Beim Gehen wird der Knorpel dynamisch komprimiert. Was konkret heißt: Der Knorpel findet es gut, wenn man immer wieder auf ihn eindrückt. Es stimuliert in ihm die Produktion der extrazellulären Knorpelmatrix, die wie eine Art Füllstoff die Knorpelzellen umgibt, und auch geringgradig die Teilung der Knorpelzellen. Dadurch kann der Knorpel mehr Wasser binden und bleibt elastisch. Der zweite Faktor ist, dass Gehen über die Kräftigung der Muskeln zur Stabilisierung des Gelenks beiträgt, und das verhindert den Knorpelabrieb. Der dritte infrage kommende Faktor ist schließlich, dass man durch Gehen die Versteifungen an der Gelenkkapsel und den Bändern lockert, die infolge der Arthrose oftmals auftreten.
Und was ist mit der Gelenkflüssigkeit, die für die Nährstoffversorgung des Knorpels zuständig ist? Wird deren Produktion durch das Gehen nicht auch angeregt?
Ja, schon. Aber ich glaube nicht, dass dies von vergleichbarer Bedeutung ist. Denn die Gelenkflüssigkeit ist primär so etwas wie ein Motoröl, also eine Art Schmiere, um die Reibungswiderstände im Gelenk zu verringern. Der dynamische Druck, der über das Gehen auf den Knorpel ausgeübt wird, scheint mir der wichtigere Faktor für die Arthroseprävention zu sein.
Gibt es Empfehlungen für das Schuhwerk, das ich dazu benutzen sollte?
Am besten Sportschuhe mit weicher Sohle, damit man sozusagen sanft dahingleitet. Und als Ergänzung sollte man ein Paar Wanderstöcke in die Hand nehmen, um für eine weitere Gelenkentlastung zu sorgen. Das gilt gerade für Übergewichtige, von denen wir unter Arthrosepatienten besonders viele finden. In der
US-Studie hatten die Probanden ja auch einen durchschnittlichen Body-Mass-Index von über 29, also kurz vor der Adipositasgrenze.
Angenommen, ich mag keine Spaziergänge oder WalkingTouren. Mit welcher Sportart kann ich stattdessen etwas Gutes für meine Knie tun?
Man sollte ohnehin das Gehen in dieser Hinsicht nicht überschätzen. Ich würde einem Arthrosepatienten
jetzt wegen der US-Studie nicht raten, dass er 10 000 Schritte pro Tag zurücklegen muss. Gehen ist sicherlich gut, aber was mindestens genauso gut ist: das Radfahren. Dessen großer Vorteil ist, dass dabei noch weniger Stöße und problematische Lasten auf die Gelenke wirken. Außerdem gibt es bei der Arthrose klinisch stumme Phasen, in denen der Patient nur wenig von seiner Krankheit spürt. Und es gibt die klinisch aktiven Phasen, in denen das Gelenk warm wird, schmerzt und sich möglicherweise sogar ein Erguss im Gelenk gebildet hat. Hier würde ich sogar vom allzu fleißigen Gehen abraten, weil es die Entzündung verschlimmern kann. Radfahren wäre da die bessere Wahl.
Welche Sportarten eignen sich gar nicht?
Alle Sportarten mit starken Stoßbelastungen. Wie etwa Fußball, Basketball, Volleyball, Tennis.
In der Studie war davon die Rede, dass gerade o-beinige Arthrose-Patienten vom Gehen profitieren würden? Warum?
Ich würde nicht so weit gehen, dass gerade o-beinige Menschen oft Walken oder Spazieren gehen sollten. Das sollte man individuell beurteilen. Außerdem muss man bedenken, dass O-Beine weit verbreitet sind und ein besonderes Risiko für eine Kniearthrose darstellen, weil dadurch zu viel Druck auf den inneren Teil des Gelenks ausgeübt wird. Wir haben kürzlich eine Studie mit o-beinigen, x-beinigen und gerad-beinigen Schafen durchgeführt, denen teilweise noch ein
Teil des Innenmeniskus fehlte Dabei haben wir festgestellt, dass die mit den O-Beinen am Ende den schwersten Schaden am Gelenkknorpel hatten.
Aber Walken kann ich mit OBeinen und gleichzeitiger Arthrose schon, oder?
Ja. Man sollte jedoch zum Orthopäden gehen und sich entlastende Einlagen verordnen lassen, um die Wirkung der OBeine etwas zu korrigieren. Denn die stellen gerade beim Walking und erst recht beim Jogging eine zusätzliche Belastung dar.
Neben Übergewicht und OBeinen: Welche Risikofaktoren für die Kniearthrose gibt es noch?
Da sind vor allem vorangegangene Unfälle zu nennen, die oft gar nicht von den Betroffenen bemerkt werden. So haben Fußballer beispielsweise immer wieder kleine Traumata beispielsweise hinter der Kniescheibe des Spielbeines, denen sie keine Beachtung schenken, weil etwa nach einem Punktspiel ohnehin alles wehtut. Diese Mikro-Traumata erhöhen das Risiko für einen Knorpelschaden und spätere Arthrose deutlich.