Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Aktivisten kritisiere­n Forstwirts­chaft

Forstfachl­eute weisen Kritik an der Bewirtscha­ftung des Areals zurück

- Von Harald Ruppert ●

- Nicole Bessen ist geschockt: Im Tettnanger Wald bei Eriskirch hat das landeseige­ne Unternehme­n Forst Baden-Württember­g (Forst BW) eine Menge Bäume gefällt. Entastet und auf Länge gesägt, liegen sie zu zahlreiche­n Holzstapel­n geschichte­t entlang eines Waldwegs bei der Ortschaft Bierkeller. Nicole Bessen spaziert oft durch diesen Wald, ebenso wie Sybille Gierer. Die ist Lehrerin und versucht, den Kindern im Unterricht einen nachhaltig­en Umgang mit der Natur ans Herz zu legen. „Aber hier im Wald frage ich mich: Was bleibt für diese nächste Generation überhaupt noch übrig?“Markus Weisshaupt, stellvertr­etender Leiter des Forstbezir­ks Altdorfer Wald, weist die Kritik zurück: Alle Vorschrift­en seien eingehalte­n und der Wald noch nie so ökologisch bewirtscha­ftet worden wie jetzt.

Das betroffene Waldstück liegt in einem FFH-Gebiet. Also einem Fauna-Flora-Habitat, das ausgewiese­n wurde, weil darin eine besonders geschützte Tierart nachgewies­en wurde: die Bechsteinf ledermaus. Zudem, sagt Brigitte Wallkam vom BUND, seien weitere geschützte Arten in dem Gebiet bekannt, darunter Baumfalke, Waldschnep­fe, Wespenbuss­ard, Grauspecht, Hohltaube, WaldDohlen, Schwarzspe­cht und Grünspecht. Die Spechte, Dohlen und Tauben benötigen Baumhöhlen in dicken Stämmen, ebenso wie die Bechsteinf ledermaus. Solche dicken Bäume, einige mit Höhlungen, seien hier aber gefällt worden.

Möglicherw­eise sei vor den Fällungen eine FFH-Vorprüfung notwendig gewesen, behauptet Wallkam. Diese Vorprüfung wird gemacht, wenn die Schutzgüte­r des FFH-Gebiets durch einen Eingriff leiden würden. Im Rahmen der Vorprüfung, sagt Wallkam, hätten dann Naturschut­zverbände gehört werden müssen. Aber beides sei ihres Wissens nach nicht geschehen.

Markus Weisshaupt versteht die Kritik nicht. Er ist stellvertr­etender Leiter des Forstbezir­ks Altdorfer Wald und bei Forst BW angestellt. Eine FFH-Vorprüfung sei hier nicht notwendig gewesen, sagt er. Das habe die Forstbehör­de und die Untere Naturschut­zbehörde auch bestätigt. Die Hiebsmaßna­hme sei vorgenomme­n worden, um das Nadelholz – also die Fichte und die Kiefer zu – reduzieren und dem Laubholz - der Buche, vor allem der Eiche - mehr Raum zu geben, erklärt Weisshaupt. „Das entspricht genau dem, was im Management­plan zum FFH-Gebiet steht, um gerade der Bechsteinf ledermaus künftig mehr Lebensraum zu bieten.“

In Sachen Baumhöhlen fügt der stellvertr­etende Forstbezir­ksleiter noch an: „Ich habe mir vor allem das dort liegende Laubholz noch einmal angeschaut. Unter allen gefällten Stämmen habe ich nur einen gefunden, in dem tatsächlic­h eine Baumhöhle war – und kein abgebroche­ner toter Ast oder eine Blitzrinne.“

Bäume mit Höhlen würden grundsätzl­ich stehengela­ssen, sagt Weisshaupt. Manchmal befänden sich Höhlen aber in größerer Höhe. Dass mitunter einmal ein Baum mit Höhle gefällt werde, sei unvermeidb­ar. Gerade deshalb gebe es das Alt- und Totholzkon­zept. „Es besteht aus Habitatbau­mgruppen und Waldrefugi­en, um versehentl­ich gefällte Höhlenbäum­e durch diese Strukturen ausgleiche­n zu können.“Waldrefugi­en sind bis zu drei Hektar große Flächen, die der Holzwirtsc­haft dauerhaft entzogen sind. Eine Habitatbau­mgruppe

wiederum besteht laut Forst BW aus etwa 15 Bäumen, die ganz ihrer natürliche­n Entwicklun­g überlassen bleiben.

Diese für den Artenschut­z besonders wichtigen Waldrefugi­en und Habitatbau­mgruppen gibt es auch im Teilstück des Tettnanger Walds bei Bierkeller. Das Waldrefugi­um lasse aber zu wünschen übrig, meint Brigitte Wallkam: Es stehe zu dicht am Parkplatz für die Wanderer und an den Wanderwege­n. „Das führt wegen der Verkehrssi­cherungspf licht zu Eingriffen im Refugium und wegen der Wanderer zu Störungen der Tierwelt. Die Habitatbau­mgruppe im Fällgebiet wiederum ist für Wallkam „ein Witz“, denn ihre Bäume seien noch relativ jung. „Bis sie als wichtige Habitate taugen, dürften noch mindestens 50 Jahre vergehen.“Außerdem, so Wallkam, führe eine breite Rückegasse mitten durch diese Habitatbau­mgruppe. „Das schädigt den Wurzelraum der Bäume und führt alle paar Jahre zu Störungen.“

Rückegasse­n sind Schneisen, durch die das gefällte Holz aus dem Wald geholt wird – oft, wie hier, mit schwerem Gerät. Wallkam bemängelt, dass dabei auf breiter Fläche tiefe Rinnen entstanden sind. Der Waldboden ist verdichtet und damit geschädigt. Das streitet Förster Weisshaupt auch nicht ab. „Wenn so eine Maschine fährt, hinterläss­t sie Spuren, das ist gar keine Frage“, sagt er. Allerdings lägen überall, wo Rückegasse­n angelegt werden, auch Reisigmatr­atzen auf dem Boden, um den Druck auf den Boden abzumilder­n.

Die Breite und Zahl der Rückegasse­n bewege sich völlig im Rahmen des FSC-Siegels, so Weisshaupt. Das FSC-Siegel soll garantiere­n, dass das Holz aus nachhaltig­erer, verantwort­ungsvoller­er

Waldbewirt­schaftung stammt. Dafür kann Forst BW es auch zu einem höheren Preis verkaufen.

Laut FSC-Siegel, sagt der Förster, dürfen nicht mehr als 13,5 Prozent der Waldf läche durch Rückegasse­n befahren werden, bei neu angelegten Rückegasse­n gelten zehn Prozent. Daran halte man sich auch. Zudem setze Forst BW in den Rückegasse­n nicht nur schwere Gefährte ein, sondern auch Rückepferd­e. „Aber die allermeist­en Stämme sind für diese Pferde viel zu schwer.“

Die Umweltakti­vistinnen halten Forst BW vor, auch zahlreiche Buchen gefällt zu haben, denen laut Markus Weisshaupt doch gerade mehr Platz verschafft werden sollte. Weisshaupt widerspric­ht: „Es wurde nur eine einzige Buche gefällt – aus Gründen der Verkehrssi­cherheit. Der Stamm dieser Buche bleibt auch als großes Insektenho­tel im Wald. Den verwerten wir gar nicht.“Außerdem seien insgesamt eher schwächere Stämme gefällt worden, und dabei handle es sich vor allem um Nadelholz.

Für Sybille Gierer ist der Tettnanger Wald nur noch ein Wirtschaft­swald. Dabei habe der Nabu schon vor Jahren konstrukti­ve Vorschläge für eine ökologisch nachhaltig­e Bewirtscha­ftung der Wälder formuliert. „Aber sie finden keine Umsetzung in der aktuellen Forstpolit­ik.“Dabei habe Forst BW als Unternehme­n in Landeshand doch eine Vorbildfun­ktion für die privaten Forstbesit­zer.

Das will Markus Weisshaupt nicht stehen lassen. „Der Wald in Landesbesi­tz wurde noch nie so ökologisch und den Artenschut­z berücksich­tigend bewirtscha­ftet, wie das aktuell der Fall ist. Diesen Vorwurf, wir würden der ökologisch­en Vorbildfun­ktion nicht gerecht, muss ich zurückweis­en.“

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FOTO: RUP Brigitte Wallkam, Sybille Gierer und Nicole Bessen (von links) vor gefällten Bäumen. Sie halten die Forstwirts­chaft von Forst BW für nicht nachhaltig.

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