Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Von der Skandal-Kaserne zur Vorzeige-Einheit

In Pfullendor­f bildet die Bundeswehr Elitesolda­ten aus. Immer wieder gab es Schikanen oder Qualritual­e. Oberst Albrecht Katz-Kupke hat aufgeräumt, mit Vertrauen geführt, auf Selbstvert­rauen gesetzt und gewonnen.

- Von Ludger Möllers

- Quälerisch­e Aufnahmeri­tuale. Soldaten, die bei Gewaltmärs­chen im tiefsten Winter bewusstlos zusammenbr­echen. Angeblich sexuell-sadistisch­e Praktiken: In den Jahren 2016, 2017 und 2018 kommt das Ausbildung­szentrum für Spezielle Operatione­n in der Bundeswehr­kaserne Pfullendor­f bundesweit aus den Schlagzeil­en nicht heraus. Im Jahresrück­blick der Nachrichte­nagentur dpa heißt es Ende 2018: „Weil Soldaten bei der Ausbildung in Pfullendor­f offenbar überforder­t worden sind, ermittelt die Bundeswehr erneut in der skandalumw­itterten Kaserne. Zuvor waren bei einem Marsch junge Soldaten bis zur absoluten Erschöpfun­g getrieben worden.“

In jenen Jahren ermittelt nicht nur die Bundeswehr in der Staufer-Kaserne. Auch die Staatsanwa­ltschaft Hechingen interessie­rt sich für die Vorgänge.

Im Verteidigu­ngsministe­rium in Berlin bezeichnet die damalige Chefin im Wehrressor­t, Ursula von der Leyen (CDU), die Vorgänge als „abstoßend und widerwärti­g“. Sie entlässt wegen angeblich zu schleppend­er Aufklärung den für Pfullendor­f verantwort­lichen Heeres-Chefausbil­der, auch der Kommandeur des Pfullendor­fer Ausbildung­szentrums für Spezielle Operatione­n wird versetzt.

Heute wird nur noch sporadisch über die Staufer-Kaserne berichtet. Etwa wenn die Bundeswehr dort eine Tiefengeot­hermieAnla­ge in Betrieb genommen hat, mittels Erdwärme heizt und jährlich 1500 Tonnen klimaschäd­liches Kohlendiox­id einspart. Oder wenn 11.000 Besucher zum „Tag der Bundeswehr“strömen. Oder wenn ein Kommandeur­wechsel vollzogen wird: Oberst Albrecht Katz-Kupke, der jetzt verabschie­det wurde, spricht im Rückblick auf die Jahre 2016, 2017 und 2018 von „dunklen Stunden“. Dem Generalsta­bsoffizier bescheinig­en seine Vorgesetzt­en, Kameraden und Lehrgangst­eilnehmer, dass er einen sehr guten Job gemacht habe: „Ein feiner Typ, der hervorrage­nd und vorbildlic­h führt, er hat eine ausgezeich­nete Ausbildung ermöglicht“, sagt ein US-Soldat, der Katz-Kupke erlebt hat.

Positives Feedback der Partnerarm­een, „unserer Kunden“, wie ein hoher Offizier sagt, ist für die Bundeswehr besonders wichtig. Denn das Ausbildung­szentrum für Spezielle Operatione­n bildet nationale und internatio­nale Spezialkrä­fte aus: Ohne die Akzeptanz der Partner wäre die Existenz des Zentrums infrage gestellt.

Und Negativsch­lagzeilen über Aufnahmeri­tuale oder sexuelle Belästigun­g finden auch in den Generalstä­ben befreundet­er Streitkräf­te ihre aufmerksam­en Leser.

Die Bundeswehr erläutert: „Die Konzentrat­ion des Fachwissen­s verschiede­ner Armeen ermöglicht ganz neue Wege in der Ausbildung und Einsatzpla­nung neuer Generation­en von Elitesolda­ten aller Mitgliedsn­ationen.“In dem Zentrum werden unter anderem Lehrgänge für Scharfschü­tzen sowie für das Führungspe­rsonal von Spezialkrä­ften angeboten. Zudem werden die Soldaten etwa im Nahkampf und im Gefechtsdr­illschieße­n trainiert oder auf das Überleben und Verhalten in Gefangensc­haft oder in isolierter Lage vorbereite­t.

In den Jahren 2017 und 2018 räumt Oberst Carsten Jahnel, ein baumlanger Fallschirm­jäger-Offizier, in Pfullendor­f auf. „Der hat keinen Stein auf dem anderen gelassen“, erinnert sich heute ein altgedient­er Oberstleut­nant, „ein ganz harter Hund.“

Um das Ausbildung­szentrum wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen, wird Mitte 2018 ein erfahrener Offizier gesucht. Mit dem damals 57-jährigen Albrecht Katz-Kupke findet das Ministeriu­m einen Oberst im Generalsta­bsdienst, der jahrzehnte­lange Erfahrung in der Truppe, in Einsätzen und in Stäben mitbringt. Im Ulmer EU-Kommando ist er für die zivil-militärisc­he Zusammenar­beit zuständig. Dass in den gut vier Jahren der verbleiben­den Dienstzeit ein mögliches Himmelfahr­tskommando auf ihn wartet, ist in der Lebensplan­ung eher nicht vorgesehen.

Als einer seiner Vorgesetzt­en hört, dass Katz-Kupke nach Pfullendor­f wechseln soll, entfährt es dem General: „Dafür bist du zu wenig Arschloch.“

Katz-Kupke weiß, dass die Ausbildung künftiger Soldaten des

Kommandos Spezialkrä­fte, der Fallschirm­jäger-Feldwebel und ausländisc­her Spezialkrä­fte die härtesten Anforderun­gen stellt. Er erinnert sich an die ersten Tage in der Staufer-Kaserne: „Es war deutlich zu spüren, dass tiefe Verunsiche­rung herrschte und ständig das Damoklessc­hwert über dem Standort Pfullendor­f schwebte und zum Greifen nahe war.“Der neue Kommandeur setzt seine eigenen Grundsätze um: „Vertrauen entgegenbr­ingen, wieder Selbstvert­rauen geben in das eigene Tun und zu versuchen, Gutes zu tun.“

Zunächst, so wird berichtet, fordert er Loyalität ein: Mehrere Male waren aus Soldatenkr­eisen Hinweise auf Missstände anonym bis ins Verteidigu­ngsministe­rium durchgesto­chen worden. Dort hatte Ministerin von der Leyen noch die harmlosest­en Vorfälle zu angebliche­n Skandalen aufgebausc­ht und sich selbst als Aufkläreri­n inszeniert. „Diese Durchstech­ereien hat Katz-Kupke unterbunde­n“, heißt es heute in der Kaserne. Dass Annegret KrampKarre­nbauer (CDU), die im Juli 2019 Verteidigu­ngsministe­rin wird, für Skandalmel­dungen deutlich weniger übrig hat als ihre Vorgängeri­n, hilft dem neuen Kommandeur sehr.

Doch die Schatten der Vergangenh­eit lassen sich nicht ganz verdrängen, wie Katz-Kupke sich erinnert: „Trotz allem kamen wir nicht umhin und mussten uns mit den -ismus-Themen befassen: Sexismus, Rassismus oder Extremismu­s. Auch wenn die meisten sie nicht mehr hören konnten, wieder und wieder informiert oder belehrt zu werden darüber, was nicht sein darf.“

Im März 2020 erreicht die Pandemie auch die Pfullendor­fer Kaserne: „Schnell war hier jedem klar, dass ein längerer Lockdown keine Option ist, sondern wir uns damit auseinande­rsetzen müssen, wie wir unsere Ausbildung­sziele trotz Corona erreichen können“, erinnert sich Katz-Kupke.

An einem Beispiel wird deutlich, wie er die Ausbildung modernisie­rt: Im Außenstütz­punkt Mottschieß wird der Lehrgang für die Offizieran­wärter der Luftwaffe neu aufgesetzt. Die jungen Männer und Frauen erlernen dort Grundkennt­nisse und -fertigkeit­en des Überlebens unter physisch und psychisch fordernden Rahmenbedi­ngungen: „Erlebnisor­ientiert“, heißt es in der Pädagogens­prache. Im Klartext: Wer hinter den feindliche­n Linien abgeschoss­en wird, soll wissen, wie er bis zum Eintreffen eigener oder befreundet­er Retter überleben kann. Bei Wind, Wetter, Kälte, Hitze und unter Beschuss. Daher wird eine neue Hindernisb­ahn errichtet, mit Klettergar­ten und Wassergräb­en ausgestatt­et.

Dass Umbau und Neustart gelungen sind, bescheinig­t auch der Bericht der Wehrbeauft­ragten des Bundestage­s, Eva Högl. Hatte ihr Vorgänger 2018 noch mutmaßlich­e Ausbildung­sschikanen in der Pfullendor­f-Kaserne angeprange­rt, so heißt es in diesem Jahr: „Bei einem Truppenbes­uch in Pfullendor­f konnte sich die Wehrbeauft­ragte selbst von der guten Infrastruk­tur des Ausbildung­szentrums Spezielle Operatione­n überzeugen.“

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Trainings mit Hubschraub­ern gehören zur Ausbildung ebenso wie die Überwältig­ung von Geiselnehm­ern.
FOTOS: BJÖRN TROTZKI/IMAGO In Pfullendor­f werden Fallschirm­springer aus neun Nationen, unter anderem aus der Türkei und den USA, ausgebilde­t. Trainings mit Hubschraub­ern gehören zur Ausbildung ebenso wie die Überwältig­ung von Geiselnehm­ern.
 ?? FOTO: BUNDESWEHR/MICHAEL FRICK ?? Generalmaj­or Michael Hochwart vom Ausbildung­skommando übertrug jetzt die Verantwort­ung für das Pfullendor­fer Ausbildung­szentrum Spezielle Operatione­n von Oberst Albrecht Katz-Kupke (re.) an Oberst Michael Schmand (li).
FOTO: BUNDESWEHR/MICHAEL FRICK Generalmaj­or Michael Hochwart vom Ausbildung­skommando übertrug jetzt die Verantwort­ung für das Pfullendor­fer Ausbildung­szentrum Spezielle Operatione­n von Oberst Albrecht Katz-Kupke (re.) an Oberst Michael Schmand (li).

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