Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Majas wilde Schwestern
Der natürliche Lebensraum für Bienen und andere Insekten wird knapp – Mit Blühpatenschaften kann jeder etwas gegen das Artensterben tun
Zugegeben, es gibt hübschere Blumen als den Rainfarn. Weder ist er so filigran wie eine Malve noch so elegant wie eine Lilie. Und er wuchert am liebsten dort, wo sonst nichts wachsen will. Bahndämme mag er genauso gerne wie Schuttplätze. Zwischen Juni und September recken sich seine Blüten als gelbgoldene Knöpfe in die Höhe, giftig sind seine Pf lanzenteile auch noch.
Hobbygärtner mögen da die Nase rümpfen. Doch für die Rainfarn-Maskenbiene ist diese Blume das Zentrum der Welt. So wie der Große Koala am liebsten Bambus frisst, rüsselt das nur neun Millimeter lange Tierchen vorzugsweise an Pf lanzen aus der Familie der Korbblütler. Und von diesen trifft der Rainfarn ihren Geschmack am besten. Gut, dass er vielerorts noch wuchert.
Blühf lächen wie solche, wo der Rainfarn gedeiht, kennt fast jeder. Doch blütenreiche Streifen auf Feldern, eine artenreiche Unkrautflur oder gar ausgedehnte Bauerngärten voller Blumen und Kräuter sind selten geworden. Für die Artverwandten der Rainfarn-Maskenbiene ist genau das ein Problem.
Denn während Honigbienen unter dem Schutz der Imker stehen, sind es Wildbienen, denen der Garaus droht. Von den über 550 heimischen bekannten Arten stehen mittlerweile rund 200 auf der Liste der gefährdeten Arten. Rund 30 Arten sind laut Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) extrem gefährdet und könnten bald auf immer verloren sein. Weltweit zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat deshalb den 20. Mai als Weltbienentag ausgerufen.
Damit unterstreicht die Weltgemeinschaft die Bedeutung von Insekten wie der Senf-Blauschillersandbiene, der ZaunrübenSandbiene, der Gelbbindigen Furchenbiene und all ihren Artgenossen. Als Bestäuberinnen sind sie Schlüsselakteure für das Weiterleben von Wild- wie Kulturpflanzen. Viele Wildbienenarten sind bis spät ins Jahr unterwegs, wenn es schon kalt und windig ist und die Honigbiene sich längst in ihren Winterstock verkrochen hat. Hummeln fliegen zum Beispiel noch bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Das ist bei relativ kurz blühenden Kulturpflanzen wichtig, da so längere Zeitfenster zum Bestäuben genutzt werden. Andere Blüten könnten Honigbienen gar nicht bestäuben – weil ihr Rüssel zu kurz ist oder ihr Körper zu schwer.
78 Prozent aller Blütenpf lanzenarten der gemäßigten Breiten sind für ihre Bestäubung auf Insekten angewiesen, schreibt das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). Einen Großteil dieses Jobs übernehmen Wildbienen, Hummeln und Schwebf
liegen. „Eine englische Untersuchung zeigt auf, dass die Honigbienenpopulation in Großbritannien höchstens ein Drittel der gesamten Bestäubungsleistung erbringt; der Rest geht auf das Konto von wilden Bestäuberinnen“, stellen die FiBL-Autoren fest. Es ist ihre Varianz, die Wildbienen so wichtig macht für die Biodiversität. Und die zugleich auch ihr Überleben erschwert.
So gibt es unter den meist einzelgängerischen Wildbienen Generalisten, die quasi jede Blüte ansteuern. Und Spezialisten wie etwa
die Rainfarn-Maskenbiene, die zum Überleben eine bestimmte Pflanzenart brauchen. Die unterschiedlichen Arten haben zudem individuelle Ansprüche an ihren Lebensraum: Einige legen Niströhren im Erdboden an, andere bevorzugen Mauerritzen zum Nestbau, wieder andere Pf lanzenstängel.
Es ist eine Vielfalt, die ein entsprechend reiches Umfeld braucht. Die heutige Agrarlandschaft mit ihrem Pestizideinsatz und Monokulturen hat Majas wilden Schwestern nichts mehr zu bieten. Ebenso wenig wie Gärten, in denen Mähroboter ganze Arbeit leisten. Was tun also? „Um den Rückgang der Wildbienenbestände zu stoppen, braucht es vermehrt blühende Landschaften, in denen – zusätzlich zu den bekannten Biodiversitätsförderf lächen – maßgeschneiderte, bestäuberfördernde Blühflächen eingerichtet werden“, resümieren die Wissenschaftler der Forschungsanstalt für biologischen Landbau. Wem das zu wenig konkret ist, der wird bei Heinz Wiesbauer fündig. In seinem Buch „Wilde Bienen“beschreibt der Landschaftsökologe den perfekten Wildbienengarten: alte Ziegelgemäuer für Mauerbienen, morsches Holz für Holzbienen,
abgetretene Bodenstellen für Sandbienen. Die Blumenwiese sollte kleinräumig gemäht werden. Denn es sei für Wildbienen eine Katastrophe, wenn eine Blumenwiese plötzlich gemäht wird.
Da aber 77 Prozent der Deutschen in Städten und Ballungsräumen leben, bleibt das Vorhaben eines Bienengartens für die meisten eine Utopie. Außer, sie tun sich mit denen zusammen, die den Platz haben. Und zahlen dafür, dass andere den Wildbienen zumindest einen Nahrungsraum anlegen. Die Idee dahinter heißt Blühpatenschaften. Dabei können Interessierte für einen bestimmten Beitrag eine Patenschaft für eine mit Blühsamen eingestreute Fläche übernehmen. Die Patenschaft läuft über einen vorab festgelegten Zeitraum und beinhaltet keine weiteren Rechte. Die Anbieter verpf lichten sich im Gegenzug, die ausgewiesene Fläche als Insektenweide anzubieten und zu keinem anderen Zweck zu nutzen.
Das Konzept der Blühpatenschaften existiert schon seit einigen Jahren und hat nach dem bayerischen Volksbegehren „Rettet die Bienen“2019 an Aufmerksamkeit gewonnen. Naturschützer kritisierten allerdings, dies sei keinensfalls ein vollwertiger Ersatz
für verlorene Lebensräume und Strukturen wie Weg- und Ackerraine. Richard Mergner, Vorsitzender des BUND Naturschutz in Bayern, sagt: „Wir empfehlen Bürgern, die sich für eine Blühpatenschaft interessieren, sich im Vorfeld gut zu informieren und auf wesentliche Kriterien wie Saatgut, Dauer der Patenschaft und ausreichenden Abstand zu Ackerf lächen zu achten, die mit Pestiziden behandelt werden.“
Wer Blühpatenschaften unterstützt oder auch selbst eine Bienenwiese anlegen will, sollte also genau hinschauen. Denn nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht. So sei die oft zitierte Veitshöchheimer Bienenweide laut Landesbund für Vogelschutz in Bayern „eine häufig verwendete Standardmischung der BayWa, die zwar der Honigbiene nutzt, aber nicht die Artenvielfalt schützt.“Der Grund? „Sie enthält Kulturpf lanzen und ortsfremde Arten.“
Tatsächlich stecken in den Tütchen rund 50 verschiedene Saaten, vom Acker-Vergissmeinnicht bis zur Zottelwicke. Der Rainfarn ist nicht darunter. Das ist nicht weiter tragisch – solange es Bahngleise und Schutthalden gibt, wo er wuchert. Und die Maskenbiene mit ihm weiterleben kann.