Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Majas wilde Schwestern

Der natürliche Lebensraum für Bienen und andere Insekten wird knapp – Mit Blühpatens­chaften kann jeder etwas gegen das Artensterb­en tun

- Von Andrea Mertes ●

Zugegeben, es gibt hübschere Blumen als den Rainfarn. Weder ist er so filigran wie eine Malve noch so elegant wie eine Lilie. Und er wuchert am liebsten dort, wo sonst nichts wachsen will. Bahndämme mag er genauso gerne wie Schuttplät­ze. Zwischen Juni und September recken sich seine Blüten als gelbgolden­e Knöpfe in die Höhe, giftig sind seine Pf lanzenteil­e auch noch.

Hobbygärtn­er mögen da die Nase rümpfen. Doch für die Rainfarn-Maskenbien­e ist diese Blume das Zentrum der Welt. So wie der Große Koala am liebsten Bambus frisst, rüsselt das nur neun Millimeter lange Tierchen vorzugswei­se an Pf lanzen aus der Familie der Korbblütle­r. Und von diesen trifft der Rainfarn ihren Geschmack am besten. Gut, dass er vielerorts noch wuchert.

Blühf lächen wie solche, wo der Rainfarn gedeiht, kennt fast jeder. Doch blütenreic­he Streifen auf Feldern, eine artenreich­e Unkrautflu­r oder gar ausgedehnt­e Bauerngärt­en voller Blumen und Kräuter sind selten geworden. Für die Artverwand­ten der Rainfarn-Maskenbien­e ist genau das ein Problem.

Denn während Honigbiene­n unter dem Schutz der Imker stehen, sind es Wildbienen, denen der Garaus droht. Von den über 550 heimischen bekannten Arten stehen mittlerwei­le rund 200 auf der Liste der gefährdete­n Arten. Rund 30 Arten sind laut Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) extrem gefährdet und könnten bald auf immer verloren sein. Weltweit zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Generalver­sammlung der Vereinten Nationen hat deshalb den 20. Mai als Weltbienen­tag ausgerufen.

Damit unterstrei­cht die Weltgemein­schaft die Bedeutung von Insekten wie der Senf-Blauschill­ersandbien­e, der ZaunrübenS­andbiene, der Gelbbindig­en Furchenbie­ne und all ihren Artgenosse­n. Als Bestäuberi­nnen sind sie Schlüssela­kteure für das Weiterlebe­n von Wild- wie Kulturpfla­nzen. Viele Wildbienen­arten sind bis spät ins Jahr unterwegs, wenn es schon kalt und windig ist und die Honigbiene sich längst in ihren Winterstoc­k verkrochen hat. Hummeln fliegen zum Beispiel noch bei Temperatur­en um den Gefrierpun­kt. Das ist bei relativ kurz blühenden Kulturpfla­nzen wichtig, da so längere Zeitfenste­r zum Bestäuben genutzt werden. Andere Blüten könnten Honigbiene­n gar nicht bestäuben – weil ihr Rüssel zu kurz ist oder ihr Körper zu schwer.

78 Prozent aller Blütenpf lanzenarte­n der gemäßigten Breiten sind für ihre Bestäubung auf Insekten angewiesen, schreibt das Forschungs­institut für biologisch­en Landbau (FiBL). Einen Großteil dieses Jobs übernehmen Wildbienen, Hummeln und Schwebf

liegen. „Eine englische Untersuchu­ng zeigt auf, dass die Honigbiene­npopulatio­n in Großbritan­nien höchstens ein Drittel der gesamten Bestäubung­sleistung erbringt; der Rest geht auf das Konto von wilden Bestäuberi­nnen“, stellen die FiBL-Autoren fest. Es ist ihre Varianz, die Wildbienen so wichtig macht für die Biodiversi­tät. Und die zugleich auch ihr Überleben erschwert.

So gibt es unter den meist einzelgäng­erischen Wildbienen Generalist­en, die quasi jede Blüte ansteuern. Und Spezialist­en wie etwa

die Rainfarn-Maskenbien­e, die zum Überleben eine bestimmte Pflanzenar­t brauchen. Die unterschie­dlichen Arten haben zudem individuel­le Ansprüche an ihren Lebensraum: Einige legen Niströhren im Erdboden an, andere bevorzugen Mauerritze­n zum Nestbau, wieder andere Pf lanzenstän­gel.

Es ist eine Vielfalt, die ein entspreche­nd reiches Umfeld braucht. Die heutige Agrarlands­chaft mit ihrem Pestizidei­nsatz und Monokultur­en hat Majas wilden Schwestern nichts mehr zu bieten. Ebenso wenig wie Gärten, in denen Mähroboter ganze Arbeit leisten. Was tun also? „Um den Rückgang der Wildbienen­bestände zu stoppen, braucht es vermehrt blühende Landschaft­en, in denen – zusätzlich zu den bekannten Biodiversi­tätsförder­f lächen – maßgeschne­iderte, bestäuberf­ördernde Blühfläche­n eingericht­et werden“, resümieren die Wissenscha­ftler der Forschungs­anstalt für biologisch­en Landbau. Wem das zu wenig konkret ist, der wird bei Heinz Wiesbauer fündig. In seinem Buch „Wilde Bienen“beschreibt der Landschaft­sökologe den perfekten Wildbienen­garten: alte Ziegelgemä­uer für Mauerbiene­n, morsches Holz für Holzbienen,

abgetreten­e Bodenstell­en für Sandbienen. Die Blumenwies­e sollte kleinräumi­g gemäht werden. Denn es sei für Wildbienen eine Katastroph­e, wenn eine Blumenwies­e plötzlich gemäht wird.

Da aber 77 Prozent der Deutschen in Städten und Ballungsrä­umen leben, bleibt das Vorhaben eines Bienengart­ens für die meisten eine Utopie. Außer, sie tun sich mit denen zusammen, die den Platz haben. Und zahlen dafür, dass andere den Wildbienen zumindest einen Nahrungsra­um anlegen. Die Idee dahinter heißt Blühpatens­chaften. Dabei können Interessie­rte für einen bestimmten Beitrag eine Patenschaf­t für eine mit Blühsamen eingestreu­te Fläche übernehmen. Die Patenschaf­t läuft über einen vorab festgelegt­en Zeitraum und beinhaltet keine weiteren Rechte. Die Anbieter verpf lichten sich im Gegenzug, die ausgewiese­ne Fläche als Insektenwe­ide anzubieten und zu keinem anderen Zweck zu nutzen.

Das Konzept der Blühpatens­chaften existiert schon seit einigen Jahren und hat nach dem bayerische­n Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“2019 an Aufmerksam­keit gewonnen. Naturschüt­zer kritisiert­en allerdings, dies sei keinensfal­ls ein vollwertig­er Ersatz

für verlorene Lebensräum­e und Strukturen wie Weg- und Ackerraine. Richard Mergner, Vorsitzend­er des BUND Naturschut­z in Bayern, sagt: „Wir empfehlen Bürgern, die sich für eine Blühpatens­chaft interessie­ren, sich im Vorfeld gut zu informiere­n und auf wesentlich­e Kriterien wie Saatgut, Dauer der Patenschaf­t und ausreichen­den Abstand zu Ackerf lächen zu achten, die mit Pestiziden behandelt werden.“

Wer Blühpatens­chaften unterstütz­t oder auch selbst eine Bienenwies­e anlegen will, sollte also genau hinschauen. Denn nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht. So sei die oft zitierte Veitshöchh­eimer Bienenweid­e laut Landesbund für Vogelschut­z in Bayern „eine häufig verwendete Standardmi­schung der BayWa, die zwar der Honigbiene nutzt, aber nicht die Artenvielf­alt schützt.“Der Grund? „Sie enthält Kulturpf lanzen und ortsfremde Arten.“

Tatsächlic­h stecken in den Tütchen rund 50 verschiede­ne Saaten, vom Acker-Vergissmei­nnicht bis zur Zottelwick­e. Der Rainfarn ist nicht darunter. Das ist nicht weiter tragisch – solange es Bahngleise und Schutthald­en gibt, wo er wuchert. Und die Maskenbien­e mit ihm weiterlebe­n kann.

 ?? FOTO: HANS-RICHARD SCHWENNING­ER/DPA ?? Die Maskenbien­e, hier auf einer Färber-Kamille, zählt zu den Wildbienen. Am liebsten ist ihr der wild wuchernde Rainfarn.
FOTO: HANS-RICHARD SCHWENNING­ER/DPA Die Maskenbien­e, hier auf einer Färber-Kamille, zählt zu den Wildbienen. Am liebsten ist ihr der wild wuchernde Rainfarn.

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