Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Sparer gucken trotz Zinswende in die Röhre
Sparkassen und Volksbanken steigen ins Zinsrennen ein – Doch die guten Nachrichten halten sich in Grenzen
- Um die Inflation zu bekämpfen, hat die Europäische Zentralbank (EZB) zuletzt massiv die Zinsen angehoben. Nach Jahren der Nullzinsen ging es seit Juli 2022 in sieben Schritten nach oben, derzeit liegt der Leitzinssatz bei 3,75 Prozent. Knapp darunter, nämlich bei 3,25 Prozent, liegt der sogenannte Einlagesatz. Das ist der Zinssatz, der anfällt, wenn Banken überschüssiges Geld über Nacht auf ihrem Zentralbankkonto parken. Prinzipiell ist das also auch der Zinssatz, den Geschäftsbanken an ihre Kunden weitergeben könnten. Während vor allem kleinere Direktund Onlinebanken schnell in das Zinsgeschäft eingestiegen sind, tun sich die größeren Institute immer noch auffällig schwer mit der Weitergabe der EZB-Zinsen an ihre Kunden. Besonders die Sparkassen und Genossenschaftsbanken gerieten zuletzt in die Kritik. Während die Anhebung der Dispozinsen reibungslos funktioniere, ließe die Anpassung der Guthabenzinsen für Kunden auf Sparbüchern oder Tagesgeldkonten auf sich warten, kritisierten Verbraucherschützer.
Doch mit der Zurückhaltung scheint es nun vorbei. Laut einer Erhebung des Verbraucherportals Biallo zahlen mittlerweile 86 Prozent der Sparkassen in Deutschland Zinsen aufs Tagesgeld, Anfang März waren es lediglich 43 Prozent. Und auch bei den Spitzensätzen mischen öffentlich-rechtliche Institute mit: Die Deka-Tochter S Broker gab vor Kurzem bekannt, den Tagesgeldsatz auf bis zu 2,9 Prozent anzuheben, die Frankfurter Sparkasse bietet durch ihre Vertriebsgesellschaft 1822-Direkt immerhin 2,5 Prozent.
Können Kunden auch in der Region auf attraktive Zinsen auf Sparbuch und Tagesgeldkonto hoffen? Leider nein. Bei der Sparkasse Bodensee gibt es derzeit 0,3 Prozent Zinsen auf Tagesgeldkonten, Sparbücher werden mit lediglich 0,001 Prozent verzinst. Bei der Kreissparkasse Biberach sind die Sparbuchzinsen abhängig von der Anlagesumme: Ab einem Euro liegen sie bei 0,25 Prozent und steigen ab 5000 Euro auf 0,4 und ab 25.000 Euro auf 0,6 Prozent. Das Tagesgeld wird ab 5000 Euro mit 0,2 und ab 25.000 Euro mit 0,5 Prozent verzinst. Die Volksbank-Raiffeisenbank Ravensburg-Weingarten
staffelt die Tagesgeldzinsen ebenfalls: Sie beginnen bei 0,3 Prozent und steigen ab einem Saldo von 250.000 Euro auf 0,9 Prozent. Das klassische Sparbuch wird mit 0,3 Prozent verzinst. Auf das Tagesgeld der Sparda-Bank Baden-Württemberg wiederum erhalten Kunden derzeit 0,7 Prozent Zinsen. Wer höhere Zinsen haben möchte, muss sein Geld fest anlegen, die Zinssätze sind dabei meist abhängig von der Laufzeit. Bei der Sparkasse Bodensee gibt es bis zu 2,5 Prozent, bei der Kreissparkasse Biberach liegen die typischen Festgeld-Zinssätze zwischen 2,2 und 2,55 Prozent. Die VR-Bank Ravensburg-Weingarten zahlt ihren Kunden abhängig von Anlagehöhe und Laufzeit Festgeldzinsen zwischen 1,75 und 2,2 Prozent. Bei der Sparda-Bank gibt es aufs Festgeld zwischen zwei und 2,75 Prozent Zinsen.
Was sind die Gründe für die mauen Angebote? Zum einen verzichten die Institute auf zeitlich befristete Angebote für Neukunden. Gegenüber der „Schwäbischen
Zeitung“distanzierten sich alle befragten Sparkassen und Genossenschaftsbanken von Lockangeboten und erklärten, Neukunden gegenüber Bestandskunden nicht zu bevorteilen. Eine „enge, vertrauensvolle und faire Zusammenarbeit“mit allen Kunden schließe eine Bevorzugung von Neukunden mit speziellen Zinsangeboten aus, sagte Maximilian Leithold von der Ravensburger Geschäftsstelle der Volksbank Raiffeisenbank.
In der Tat richten sich viele der aggressiv beworbenen Zinsangebote derzeit an Neukunden, die mit hohen, aber zeitlich begrenzten Zinssätzen gelockt werden. So bietet die zur Commerzbank gehörende Comdirect Neukunden in den ersten sechs Monaten einen Tagesgeldzinssatz von 3,05 Prozent, der anschließend auf 0,75 Prozent fällt. Ein ähnliches Angebot gibt es derzeit bei der Consorsbank, der deutschen Tochter der französischen Großbank BNP Paribas: Neukunden erhalten 3,2 Prozent in den ersten sechs Monaten, danach wird der derzeitige Standardzinssatz
für Bestandskunden von 0,6 Prozent fällig.
Doch hohe Tagesgeldzinsen sind keineswegs nur zeitlich begrenzte Lockangebote. Beispiel Renault-Bank, die zum gleichnamigen französischen Autobauer gehört und ihren deutschen Hauptsitz in Neuss bei Düsseldorf hat: Zwar werden Neukunden auch hier mit aktuell 3,3 Prozent für drei Monate bevorzugt; doch danach verzinst das Institut die Anlagesumme mit immerhin 2,3 Prozent weiter.
Warum ist es Sparkassen und genossenschaftlich organisierten Banken nicht möglich, bei diesem Zinsrennen mitzuhalten? Der offensichtlichste Teil der Antwort ist, dass die Sparkassen und Genossenschaftsbanken ein teures Filialnetz vorhalten, das irgendwie finanziert werden muss. Durch die schlankeren Strukturen und die entsprechend geringeren Kosten können Onlinebanken Zinserhöhungen leichter weitergeben. Doch das ist nicht alles: Durch den Zinsanstieg sehen sich die öffentlich-rechtlichen Geldinstitute auch mit einem strukturellen Problem konfrontiert. Traditionell sind sie nämlich die erste Anlaufstelle für Sparer. Vor allem im ländlichen Raum gibt es kaum einen Haushalt, der kein Sparkonto bei der örtlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank hat. Laut Statistischem Bundesamt lag die Hälfte der Ersparnisse der Deutschen bei Sparkassen, obwohl es keines dieser Institute in die Top 20 der größten Banken Deutschlands schafft. Mit anderen Worten: Bei dem nicht gerade lukrativen Geschäft mit Spareinlagen sind die Sparkassen unangefochtener Marktführer und müssen diese Position nicht durch Lockangebote ausbauen – zumal das Geschäft in den vergangenen Jahren erhebliche Kosten verursacht hat, weil sich viele Sparkassen bei der Weitergabe des negativen Einlagezins der EZB an ihre Kunden zurückhielten. Stark wachsende Geldinstitute wiederum wollen viele neue Kunden anlocken, um Marktanteile zu gewinnen.
Was sollten Sparer also tun? Tagesgeld-Hopping betreiben und alle paar Monate zur Bank mit den dann attraktivsten Zinssätzen wechseln? Oder sich vielleicht doch nach lukrativeren Möglichkeiten wie Investmentfonds umsehen? Finanzexperten raten, sich immer das Gesamtbild vor Augen zu halten. Für Sparer relevant ist nämlich nicht der Zinssatz einer Spareinlage, sondern die daraus resultierende Veränderung der Kaufkraft des eingesetzten Kapitals. Mit anderen Worten: Wer sein Geld spart, sollte die sogenannten Realzinsen betrachten, also seine Guthabenzinsen ins Verhältnis zur Inflation setzen. Denn bei einer Inf lationsrate von sieben Prozent verliert das Gesparte bei einem Tagesgeldzinssatz von zwei Prozent immer noch fünf Prozent an Kaufkraft.
Bei diesen hohen Kaufkraftverlusten fällt es kaum ins Gewicht, ob man einen Tagesgeldzinssatz von 2,5 Prozent ergattern kann oder sich mit 1,5 Prozent zufrieden geben muss. Der Blick auf die von der Deutschen Bundesbank erhobenen Realzinssätze der vergangenen Jahrzehnte zeigt: Seit Mitte 2022 liegen die Realzinsen zwischen minus sechs und minus acht Prozent. Damit müssen Sparer derzeit die höchsten Kaufkraftverluste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1967 verkraften.