Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Nahostkonf­likt als „Brandbesch­leuniger“?

Freiburger Religionse­xperte veröffentl­icht mit „Juden im Koran“ein neues Buch über Antisemiti­smus im Islam

- Von Christoph Schmidt

Israelfein­dliche Proteste und Angriffe von Muslimen auf Juden haben in den vergangene­n Jahren zugenommen. Kritiker werfen der deutschen Politik vor, das Problem zu tabuisiere­n. Dabei werde die Gefahr mit der Migration aus Nahost und Nordafrika nicht kleiner. Der Islamwisse­nschaftler AbdelHakim Ourghi (Foto: Claudius Verlag) geht den Ursachen für muslimisch­en Antisemiti­smus in einem neuen Buch nach. „Die Juden im Koran — Ein Zerrbild mit fatalen Folgen“betont, dass der Hass weit über den Nahostkonf­likt hinausgehe und religiöse Wurzeln in der Frühzeit des Islam hat.

Er selbst sei mit 23 Jahren als „indoktrini­erter Antisemit“aus Algerien nach Deutschlan­d gekommen, bekennt der Freiburger Religionsp­ädagoge. Bewusst spricht er von einem islamische­n, nicht islamistis­chen Antisemiti­smus, denn Judenfeind­lichkeit gehöre zu den gängigen Inhalten muslimisch­er Kindererzi­ehung und Sozialisat­ion. Das liegt Ourghi zufolge vor allem an entspreche­nden Aussagen in den kanonische­n Schriften des Islam, angefangen mit dem Koran selbst.

Tatsächlic­h spiegeln dessen Suren die Geschichte einer verhängnis­vollen Eskalation. Zur Zeit Mohammeds leben viele jüdische Stämme auf der Arabischen Halbinsel, drei davon in Medina, wo der Religionss­tifter nach seiner Flucht aus Mekka im Jahr 622 ein islamische­s Staatswese­n gründet. Vergeblich hofft er, die Juden würden den Islam annehmen und ihn als Propheten anerkennen. Schließlic­h knüpft sein strenger Monotheism­us in vielem an die Thora an; selbst die Gebetsrich­tung der Muslime weist zunächst nach Jerusalem.

Doch die Juden bleiben ihrer Religion treu. „Du wirst sicher finden, dass diejenigen Menschen, die sich den Gläubigen gegenüber am meisten feindlich

zeigen, die Juden und die Heiden sind“, verkündet Allah seinem Gesandten in Sure 5. Vorwürfe und Schmähunge­n gegen die Juden nehmen nun im Koran zu. Sie hätten Gottes

Wort in der Thora verfälscht, heißt es, und überträten seine Gebote, etwa durch verbotene Zinsnahme. Einige habe

Allah dafür in Affen und Schweine verwandelt — bis heute ein unter radikalen Muslimen beliebtes Bild.

Juden, aber auch Christen sollten sich die Muslime nicht zu Freunden nehmen, fordert das Heilige Buch. „In diesem Sündenkata­log werden die Juden zum ewigen, historisch­en Widersache­r des Islam“, schreibt Ourghi.

Am Ende lässt Mohammed zwei jüdische Stämme aus Medina

vertreiben, den dritten umbringen bzw. versklaven, weil er angeblich gemeinsame Sache mit den Mekkanern gemacht habe. Für Ourghi der Beginn einer „Geschichte der Gewalt“, die den Umgang von Muslimen mit Juden bis in die Gegenwart prägt. Zumal auch die Erzählunge­n aus dem Leben des Propheten, die Hadithe, voll seien von antijüdisc­hen Aussagen. Diskrimini­erung und Pogrome durch die Jahrhunder­te sind für den Autor die naheliegen­de Folge. Nicht einmal den Mythos vom toleranten Zusammenle­ben der Religionen im mittelalte­rlichen Andalusien hält er für authentisc­h.

Ourghi wirft ein Schlaglich­t auf die Tatsache, dass Judenfeind­lichkeit — durch das überliefer­te

Vorbild des Propheten selbst — im konservati­ven Mehrheitsi­slam weit verbreitet ist und von bekannten Gelehrten gepredigt wird. „Möge Allah die verfluchte­n Juden erniedrige­n und zerstören!“— dieses Bittgebet wird bis heute in den Moscheen arabischer Staaten wiederholt.

Auf historisch­e Beispiele für ein fruchtbare­s und tolerantes Zusammenle­ben von Juden und Muslimen, die es von Andalusien bis ins Osmanische Reich ja durchaus gab, verzichtet Ourghi fast ganz. Für ihn ändern sie nichts am Gesamtbild. Der israelisch-arabische Konflikt fungiere darin nur als „Brandbesch­leuniger“.

Vor allem säkulare Muslime sehen es genau umgekehrt: Israels Besatzung und ungebremst­e Siedlungsp­olitik sind für sie die offene Wunde, die die alten religiösen

Vorurteile befeuert und den Islamisten in die Hände spielt.

Aber gerade progressiv­e Muslime werden Ourghis zentraler Forderung zustimmen, dass der traditione­lle Islam dringend eine historisch-kritische Analyse seiner kanonische­n Quellen braucht, die Mohammed als Menschen seiner Zeit interpreti­ert. Nicht nur, um mittelalte­rliche Ressentime­nts gegen Andersgläu­bige zu überwinden, sondern um die eigenen Gesellscha­ften von religiösen Fesseln zu befreien. Anders wird die islamische Welt ihre tiefe sozioökono­mische Krise nicht überwinden. (KNA)

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FOTO: IMAGO Ein Mann steht mit einer palästinen­sischen Flagge inmitten der Trümmer eines zerstörten Hauses im Gazastreif­en. Tolerantes und friedliche­s Zusammenle­ben zwischen Israelis und Arabern sieht anders aus.
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Abdel-Hakim Ourghi: Die Juden im Koran – Ein Zerrbild mit fatalen Folgen, Claudius Verlag 2023, 261 Seiten, 26 Euro.

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