Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Nahostkonflikt als „Brandbeschleuniger“?
Freiburger Religionsexperte veröffentlicht mit „Juden im Koran“ein neues Buch über Antisemitismus im Islam
Israelfeindliche Proteste und Angriffe von Muslimen auf Juden haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Kritiker werfen der deutschen Politik vor, das Problem zu tabuisieren. Dabei werde die Gefahr mit der Migration aus Nahost und Nordafrika nicht kleiner. Der Islamwissenschaftler AbdelHakim Ourghi (Foto: Claudius Verlag) geht den Ursachen für muslimischen Antisemitismus in einem neuen Buch nach. „Die Juden im Koran — Ein Zerrbild mit fatalen Folgen“betont, dass der Hass weit über den Nahostkonflikt hinausgehe und religiöse Wurzeln in der Frühzeit des Islam hat.
Er selbst sei mit 23 Jahren als „indoktrinierter Antisemit“aus Algerien nach Deutschland gekommen, bekennt der Freiburger Religionspädagoge. Bewusst spricht er von einem islamischen, nicht islamistischen Antisemitismus, denn Judenfeindlichkeit gehöre zu den gängigen Inhalten muslimischer Kindererziehung und Sozialisation. Das liegt Ourghi zufolge vor allem an entsprechenden Aussagen in den kanonischen Schriften des Islam, angefangen mit dem Koran selbst.
Tatsächlich spiegeln dessen Suren die Geschichte einer verhängnisvollen Eskalation. Zur Zeit Mohammeds leben viele jüdische Stämme auf der Arabischen Halbinsel, drei davon in Medina, wo der Religionsstifter nach seiner Flucht aus Mekka im Jahr 622 ein islamisches Staatswesen gründet. Vergeblich hofft er, die Juden würden den Islam annehmen und ihn als Propheten anerkennen. Schließlich knüpft sein strenger Monotheismus in vielem an die Thora an; selbst die Gebetsrichtung der Muslime weist zunächst nach Jerusalem.
Doch die Juden bleiben ihrer Religion treu. „Du wirst sicher finden, dass diejenigen Menschen, die sich den Gläubigen gegenüber am meisten feindlich
zeigen, die Juden und die Heiden sind“, verkündet Allah seinem Gesandten in Sure 5. Vorwürfe und Schmähungen gegen die Juden nehmen nun im Koran zu. Sie hätten Gottes
Wort in der Thora verfälscht, heißt es, und überträten seine Gebote, etwa durch verbotene Zinsnahme. Einige habe
Allah dafür in Affen und Schweine verwandelt — bis heute ein unter radikalen Muslimen beliebtes Bild.
Juden, aber auch Christen sollten sich die Muslime nicht zu Freunden nehmen, fordert das Heilige Buch. „In diesem Sündenkatalog werden die Juden zum ewigen, historischen Widersacher des Islam“, schreibt Ourghi.
Am Ende lässt Mohammed zwei jüdische Stämme aus Medina
vertreiben, den dritten umbringen bzw. versklaven, weil er angeblich gemeinsame Sache mit den Mekkanern gemacht habe. Für Ourghi der Beginn einer „Geschichte der Gewalt“, die den Umgang von Muslimen mit Juden bis in die Gegenwart prägt. Zumal auch die Erzählungen aus dem Leben des Propheten, die Hadithe, voll seien von antijüdischen Aussagen. Diskriminierung und Pogrome durch die Jahrhunderte sind für den Autor die naheliegende Folge. Nicht einmal den Mythos vom toleranten Zusammenleben der Religionen im mittelalterlichen Andalusien hält er für authentisch.
Ourghi wirft ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass Judenfeindlichkeit — durch das überlieferte
Vorbild des Propheten selbst — im konservativen Mehrheitsislam weit verbreitet ist und von bekannten Gelehrten gepredigt wird. „Möge Allah die verfluchten Juden erniedrigen und zerstören!“— dieses Bittgebet wird bis heute in den Moscheen arabischer Staaten wiederholt.
Auf historische Beispiele für ein fruchtbares und tolerantes Zusammenleben von Juden und Muslimen, die es von Andalusien bis ins Osmanische Reich ja durchaus gab, verzichtet Ourghi fast ganz. Für ihn ändern sie nichts am Gesamtbild. Der israelisch-arabische Konflikt fungiere darin nur als „Brandbeschleuniger“.
Vor allem säkulare Muslime sehen es genau umgekehrt: Israels Besatzung und ungebremste Siedlungspolitik sind für sie die offene Wunde, die die alten religiösen
Vorurteile befeuert und den Islamisten in die Hände spielt.
Aber gerade progressive Muslime werden Ourghis zentraler Forderung zustimmen, dass der traditionelle Islam dringend eine historisch-kritische Analyse seiner kanonischen Quellen braucht, die Mohammed als Menschen seiner Zeit interpretiert. Nicht nur, um mittelalterliche Ressentiments gegen Andersgläubige zu überwinden, sondern um die eigenen Gesellschaften von religiösen Fesseln zu befreien. Anders wird die islamische Welt ihre tiefe sozioökonomische Krise nicht überwinden. (KNA)